leachim200 schrieb am 08.02.2018 13:32:
Menarfin schrieb am 08.02.2018 13:26:
Naja, die Jupiter wurden ab 1959 in der Tuerkei und Italien stationiert, Kennedy wurde aber erst 61 Praesident. Und die direkte Ursache des Konflikts war ja wohl schon das Drohpotential durch die Raketen.
MfG
MenarfinDas ist das was uns erzählt wird. Tatsächlich hatten die USA zu der Zeit die 20-fache atomare Vernichtungskapazität der Russen. Damit spielten die paar Raketen auf Kuba keine Rolle.
Zur Zeit der Kuba-Krise bestand tatsächlich ein großes Ungleichgewicht. Aber auch schon ein kleinerer Teil der Zerstörungen durch die Atomwaffen hätte wohl zur gegenseitigen Abschreckung gereicht. Deshalb waren wahrscheinlich die Raketen auf Kuba durchaus relevant. Ein noch stärkeres Ungleichgewicht als bei der Vernichtungskapazität insgesamt bestand damals bei den Langstreckenraketen. Die Sowjetunion hatte zwar am Anfang der 60er Jahre schon viele Atomwaffen, aber sie hatte nur sehr wenige Raketen, welche die USA erreichen konnten (und diese wenigen Raketen hätten bei einem US-Erstschlag mit einer bedeutenden Wahrscheinlichkeit ausgeschaltet werden können).
Die USA hatten damals schon relativ viele Langstreckenraketen, und außerdem hätten sie von Westeuropa und der Türkei aus auch mit Mittelstreckenraketen große Teile der Sowjetunion zerstören können. Die Sowjetunion hatte dagegen 1961/1962 relativ viele Kurz- und Mittelstreckenraketen, aber noch kaum einsatzfähige Langstreckenraketen. Somit war ihre Fähigkeit zur Abschreckung eines atomaren Erstschlages durch die USA stark eingeschränkt. Die USA hätten mit einem Erstschlag einen großen Teil der sowjetischen Städte und auch einen großen Teil der sowjetischen Raketen zerstören können, und die übriggebliebenen hätten auf die westeuropäischen Alliierten der USA abgeschickt werden können, aber die Sowjetunion hatte zum damaligen Zeitpunkt so wenige Interkontinentalraketen, dass die Wahrscheinlichkeit, dass diese mit einem Erstschlag zerstört worden wären, relativ groß gewesen wäre. Es gab US-Generäle, die für einen solchen massiven atomaren Erstschlag waren (Kennedy fürchtete sich vor dieser Möglichkeit, die Atomwaffen waren nicht vollständig unter seiner Kontrolle, bei einer Eskalation eines Konfliktes hätte die Armee auch gegen seinen Willen Atomwaffen einsetzen können).
Es gab damals in den USA Programme für die Vorbereitung eines Atomkrieges (Bunker und andere Schutzvorrichtungen, Duck and Cover). Auf den ersten Blick mögen diese absurd wirken, aber wenn berücksichtigt wird, dass es dabei nicht um einen Atomkrieg, bei dem viele Bomben auf die USA abgeschossen wären, ging, sondern um die Situation nach einem massiven Erstschlag der USA mit sehr eingeschränkten Möglichkeiten der Sowjetunion, darauf zu antworten (die Zweitschlagfähigkeit der Sowjetunion wäre in der damaligen Situation stark eingeschränkt gewesen, und wegen eines Mangels an Interkontinentalraketen hätte sie zwar in die Richtung von Westeuropa zurückschlagen können, aber nach einem verheerenden Erstschlag höchstens sehr eingeschränkt in die Richtung der USA), wirken diese Vorbereitungen nicht mehr so absurd. Gegen die weltweiten, auch die USA betreffenden Folgen eines massiven Erstschlages der USA gegen die Sowjetunion hätten diese Zivilschutz-Vorbereitungen möglicherweise schon etwas geholfen - zumindest nach dem damaligen Kenntnisstand, wenn Modelle für einen nuklearen Winter, die damals noch nicht bekannt waren, berücksichtigt werden, hätten diese Maßnahmen auch nicht viel genutzt.
Es gab in der Geschichte zwei Perioden, in denen es im Kalten Krieg ein starkes Ungleichgewicht zugunsten der USA und zuungunsten der Sowjetunion gab. Die erste war, als die USA Atomwaffen hatte und die Sowjetunion noch nicht. Damals hätten die Angriffe wie in Hiroshima und Nagasaki mit Flugzeugen geflogen werden müssen. Danach gab es Anfang der 60er Jahre erneut ein starkes Ungleichgewicht, als die USA viele Interkontinentalraketen hatten, während die Sowjetunion bereits viele Kurz- und Mittelstreckenraketen, aber noch kaum einsatzfähige Langstreckenraketen hatte. Es war bekannt, dass die Sowjetunion früher oder später diese Lücke schließen und zur Wiederherstellung des Gleichgewichtes eine größere Zahl von Langstreckenraketen bauen würde. Dazwischen gab es aber ein "window of opportunity" für einen US-amerikanischen atomaren Erstschlag der USA gegen die Sowjetunion, der nicht adäquat hätte beantwortet werden können. Es gibt Dokumente, die zeigen, dass Kennedy sich davor fürchtete, dass US-Generäle dieses "window of opportunity" für einen atomaren Erstschlag nutzen wollten.
Die Stationierung sowjetischer Raketen auf Kuba erscheint in dieser Situation durchaus als angemessene Maßnahme, um das Ungleichgewicht der Abschreckung etwas zu verringern. Selbst wenn die Zahl dieser Raketen im Verhältnis relativ klein war, hätte sie wahrscheinlich schon gereicht, um die USA von einem Erstschlag gegen die Sowjetunion abzuhalten.
Ich denke nicht unbedingt, dass die Raketen auf Kuba nur gedacht waren, um in Verhandlungen einen Abzug der US-Raketen aus der Türkei zu erreichen, denn auch nach dem Abzug der sowjetischen Raketen aus Kuba und der US-amerikanischen Raketen aus der Türkei bestand die Situation, dass die USA die Sowjetunion sowohl mit ihren Interkontinentalraketen aus den USA selbst als auch mit Raketen aus Europa mit einem massiven Erstschlag hätte angreifen können, worauf die Sowjetunion nicht adäquat hätte antworten können, noch für eine gewisse Zeit weiter, bis die Sowjetunion genügend Interkontinentalraketen herstellen konnte, um eine genügende Abschreckung wiederherzustellen. Von da her denke ich, dass es Chrushchov wahrscheinlich vorgezogen hätte, die Raketen auf Kuba dort zu lassen, bis diese Lücke bei der Abschreckung geschlossen wurde.
Wenn inzwischen bekannte Fakten zum damaligen Ungleichgewicht zwischen den USA und der Sowjetunion (siehe z.B. das Buch The Doomsday Machine von Daniel Ellsberg) berücksichtigt werden, erscheint die Stationierung sowjetischer Raketen auf Kuba meines Erachtens als eher vernünftige Maßnahme, um trotz der noch weitgehend fehlenden sowjetischen Langstreckenraketen ein genügendes Mindestmaß an Abschreckung aufrechtzuerhalten und somit die Wahrscheinlichkeit eines amerikanischen Erstschlages (zu dem es ja dann glücklicherweise auch trotz der vorübergehend fehlenden adäquaten Abschreckung nicht kam) gering zu halten.
Offensiv, also für einen sowjetischen Erstschlag gegen die USA waren die sowjetischen Raketen auf Kuba sicher nicht gedacht, da diese paar Raketen die US-amerikanische Zweitschlagkapazität nicht bedeutend hätten beeinträchtigen können und die USA als Antwort auf einen sowjetischen Atomangriff immer die Sowjetunion stark hätten zerstören können (nur umgekehrt wäre diese Zweitschlagfähigkeit von der Seite der Sowjetunion nicht immer vorhanden gewesen).
Das Posting wurde vom Benutzer editiert (08.02.2018 15:52).