Ansicht umschalten
Avatar von Atalanttore
  • Atalanttore, Ettore Atalan

mehr als 1000 Beiträge seit 06.03.2010

Re: Positiv, daß er praktisch die Schuldfrage gar nicht angesprochen hat... span

HierIstMarco schrieb am 24.02.2023 23:28:

Atalanttore schrieb am 24.02.2023 18:59:

Das ist keine Information für ein frei zugängliches Internetforum.

Jetzt verstehst du, warum ich das verklausuliert geschrieben habe. Du kannst es ja z.B. ähnlich andeuten wie ich. Ich würde dann vielleicht besser verstehen, warum wir so unvereinbare scheinende Positionen besitzen - obwohl wir ja hoffentlich beide Frieden wollen, oder?

Wer meint, dass Frieden jeden Preis wert ist, sollte einmal nach Nordkorea, Iran oder Russland reisen. In all diesen Ländern herrscht Frieden. Also alles in bester Ordnung, oder?

Ist der Straftäter nicht schuld? Ist das Opfer schuldig, wenn es die (illegalen) Forderungen des Straftäters nicht mit vorauseilendem Gehorsam erfüllt?
Störst du gemäß deinem Vorgehen auch Verhandlungsführer der Polizei bei Geiselnahmen? Stellst du die Propaganda der Polizei, die den Geiselnehmern eine aussichtslose Lage einreden soll, auch richtig?

Wenn man das ganze nur auf Staatenebene betrachtet, ist es so einfach, ja. Da gibt es ausschließlich zwei Parteien und jeder Staat hat seine Erklärung parat, warum die Situation so ist wie sie ist und der andere auf jeden Fall Schuld ist. Da bin ich als Werkraftzersetzer natürlich der Feind - von beiden - denn der nächste Schritt in dem von mir individuell begonnenen Friedensprozess wäre ja auch die Vergebung der den Ukrainern durch Russland vorgeworfenen Dingen.

Eine Bereitschaft zur Vergebung kann erst ernst genommen werden, wenn der nach Vergebung Fordernde selbst Opfer einer entsetzlichen Straftat wurde.

Mein Ansatz basiert aber nicht auf Staaten, sondern auf individueller Ebene, denn jeder Einzelne kann für oder gegen etwas arbeiten. Ein Krieg lässt sich also nur führen, wenn genügend Menschen ein passendes Feindbild angenommen haben. Auch Putin wäre machtlos, wenn das Feindbild Ukraine in Russland medial nicht so immens gepflegt worden wäre. Nur so lassen sich Menschen gewinnen, die entweder direkt kämpfen, oder bereit sind, andere Menschen zum kämpfen zu zwingen.

Meine Beobachtung im letzten Jahrzehnt war, dass beide Seiten in ihren Medien diese Feindbilder aufgebaut haben und keinen Widerspruch zuliesen. Dabei schaukelten sie sich gegenseitig hoch, indem sie sich auf feindliche Aussagen der jeweils anderen Seite der Propaganda bezogen. Nur so war es möglich, dass immer mehr Individuen feindliche Ansichten guthießen.

Wenn also eine Seite ihre Rhetorik proaktiv entschärft, würde es der anderen immer schwerer fallen, ihr Feindbild aufrecht zu erhalten und dieses über kurz oder lang auch entschärfen. Da jeder Mensch individuell für seine Feindbilder und die daraus entstehende Rhetorik verantwortlich ist, kann ich auch individuell dafür sorgen, dass es bei mir anders ist.

Die Interpunktion ist bei gegenseitigen Schuldzuweisungen wichtig.
https://de.wikipedia.org/wiki/Interpunktion_(Kommunikation)

Das Feindbild Ukraine besteht in „Russland“ schon mindestens seit dem Holodomor der 1930er Jahre.
https://de.wikipedia.org/wiki/Holodomor

In der russischen Sprache existieren dementsprechend auch abwertende Bezeichnungen für Ukrainer, wie z. B. „khokhol“.
https://en.wiktionary.org/wiki/khokhol

Eine Unterdrückung von allen Sprachen außer Russisch ist ein traditioneller Bestandteil der Russifizierung.
https://de.wikipedia.org/wiki/Russifizierung

Der korrekte Landesname für „Russland“ ist übrigens Moskowien, weil der Name „Russland“ von Moskowien auch aus der Ukraine gestohlen wurde.
https://www.publicsphere.eu/2022/07/diebstahl-der-geschichte/

Ich würde dein Konzept in Anlehnung an die Täter-Opfer-Umkehr als Opfer-Hintergehung bezeichnen.
https://de.wikipedia.org/wiki/T%C3%A4ter-Opfer-Umkehr

Auf individueller Ebene sind Täter und Opfer aber etwas anders besetzt. Wenn eine Truppe Eintreiber einen Mann zum Kämpfen zwingt, ist er das Opfer, die Eintreiber die Täter. Wenn ein anderer vor lauter Hass Kriegsverbrechen begeht, ist er Täter und die ihm ausgelieferten die Opfer, übertragen sind aber auch all die, die seinen Hass geschürt haben in ähnlichem Maße ebenfalls schuldig - auf welcher Seite sie auch stehen. Wenn wieder jemand anderes den Einsatz von Streubomben anordnet, ist er Schuld an den direkten Opfern, aber auch daran, dass nach dem Krieg weiterhin Gefahr besteht, vielleicht sind aber auch diejenigen Schuld, die ihm keine andere Wahl lassen als diese Art des Angriffs anzuordnen. Kurzum - es gibt kein einfaches Gut-Böse-Schema. Und genau darum ist Vergebung so wichtig, damit die Kettenreaktion des gegenseitigen Hasses unterbrochen wird und es möglich wird, Schritt für Schritt zu einer besseren Situation zu gelangen.

Ob ein Opfer einem Täter vergeben mag oder nicht, ist eine persönliche Entscheidung. Serienkriegsverbrechern wird wahrscheinlich weniger oft vergeben werden als Waschmaschinendieben, aber das ist nur meine Einschätzung.

Bewerten
- +
Ansicht umschalten