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  • Russischer Hacker

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Querdenken 1771

Die Moskauer Pestrevolte entbrannte im Jahr 1771 als Aufstand der Bevölkerung gegen Kirche, Staat und Mediziner. Auslöser war eine Pestwelle. Katharina die II, Kaiserin von Russland, ließ Quarantänemaßnahmen einführen.

Querdenker gab es damals aber auch schon.

Schon im Vorfeld zur eigentlichen Revolte gab es Unruhen in der Bevölkerung. Den Ärzten wurde vorgeworfen, dass sie die Kranken in den Krankenhäusern willentlich umkommen ließen, gar vergifteten. Am 29. August 1771 entkam der Arzt Schafonski im Krankenhaus des Stadtteils Lefortowo nur knapp dem Lynchmord. Am 1. September 1771 vertrieb ein aufgebrachter Mob militärische Truppen, in deren Schutz Habseligkeiten von Pestopfern verbrannt werden sollten. Das Schließen der Geschäfte von Lumpenhändlern führte am selben Tag auf dem Roten Platz zu Krawallen.

Es wurde das Gerücht verbreitet, dass die Ikone der Gottesmutter am Barbara-Tor von Kitai-Gorod Heilung verspräche, wenn man sie ausreichend verehre.

Nach russisch-orthodoxem Brauch heißt es die Ikone wird geküsst. Die Menschenmengen, die sich dort ansammelten, trugen zur Verbreitung der Infektion bei.

Von der Kirche nicht anerkannte Geistliche hielten vor Ort Gottesdienste ab und sammelten Geld. Jeropkin und der Erzbischof gaben den Befehl, die Ikone zu entfernen. Das beschreibt einen Wendepunkt in den Praktiken der Kirche. Amwrossi stellte den Glauben an wundertätige Ikonen hinter das gesundheitliche Gemeinwohl. Rationalistische Einflüsse sind sichtbar. In den Augen der Bevölkerung kam Amwrossi damit vom wahren Glauben ab. Ihm wurde ein Bund mit dunklen Mächten nachgesagt, zumal in dem ihm unterstellten Waisenhaus kein einziger Pesttoter zu verzeichnen war.

Das Volk hatte mit diesem Vorgehen gerechnet und war am 15. September 1771 besonders zahlreich erschienen. Der für die Vorhaben entsandte Schreiber konnte nicht vor der aufgebrachten Menge beschützt werden. Aufständische läuteten im Sturmgeläutturm am Kreml die Glocke, wodurch nach und nach die Glocken anderer Kirchen geläutet wurden, was die ganze Stadt alarmierte. Es kam zu Plünderungen von wohlhabenden Häusern. Am helllichten Tag wurden Morde und Raubüberfälle begangen.

Die erzürnten Bürger bewaffneten sich mit Keulen, Äxten und Steinen und zogen zum Tschudow-Kloster, um den vermeintlichen Übeltäter Erzbischof Amwrossi zu lynchen. Der Mob zerstörte Amwrossis Gemächer, plünderte religiöse Gegenstände und verwüstete den Weinkeller. Der Geistliche war bereits ins Donskoi-Kloster geflohen. Dort wurde ein Gottesdienst abgehalten, als die Meute eintraf. Anschließend zerstörten sie den Chor. Sie fanden den versteckten Erzbischof und prügelten ihn zu Tode.

Die Revolte richtete sich nicht nur gegen die Regierung und Kirchenhäupter, auch gegen Ärzte und Apotheker. Ein beträchtlicher Teil der Ärzte stammte aus westeuropäischen Ländern. Vom 16. September 1771 wird berichtet: "Der Pöbel empörte sich wider alle Ärzte und Wundärzte". Es hieß, die Ärzte hätten die Pest verursacht und die Anordnung gegeben, das Heiligenbild entfernen zu lassen. Die Bevölkerung glaubte, dass die Pest eine Strafe von Gott sei, der mehr verehrt werden möchte. Die Maßnahmen der Ärzte erschienen wie Gotteslästerung, besonders die Regeln, die in die Bestattungstraditionen eingriffen. Es kam zur gewaltsamen Befreiung von Pestkranken, die interniert worden waren. Mehrere Ärzte flohen aus der Stadt.

Die aus Sicht der Administration bedrohlichste Situation ereignete sich am Abend des 17. September 1771 auf dem Roten Platz. Ihr ging ein erneutes Läuten der Sturmglocke voraus. Eine Gruppe von rund 130 Soldaten wurden von Bürgern mit Steinen und Stöcken angegriffen. Aufständische versuchten in den Kreml einzudringen.

Einige versuchten mit den Soldaten über einen Katalog von Forderungen zu verhandeln. Die Forderungen beinhalteten unter anderem die Abschaffung von Quarantäneeinrichtungen, die Erlaubnis von Bestattungen auf den städtischen Friedhöfen, das Abschieben aller Ärzte aus der Stadt und das Unterlassen von Leichenabtransporten mithilfe von Eisenhaken.

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