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mehr als 1000 Beiträge seit 26.09.2005

Widerspruch :-)

cip22 schrieb am 29. Dezember 2006 9:02

> Joachim Durchholz schrieb am 29. Dezember 2006 8:07

> > Die Ausflüge in die Wortherkunft sind komplett überflüssig, und ob es
> > sich bei "Killerspiel" um ein Possesivkompositum oder gerührten Quark
> > handelt, ist einerlei: wichtig ist, wie der Begriff gemeint und
> > verstanden wird, und da spielt die Wortherkunft kaum (noch) eine
> > Bedeutung, eher, wie und in welchem Zusammenhang er verwendet wird.

> Das sehe ich nicht so. Die Wortbildung selbst ist ja implizit ein
> »Sinnangebot«, das auf eine Interpretation, d.h. hier: Festlegung,
> angewiesen ist.

Natürlich. Aber es spielt nur dann eine Rolle, wenn dem Sprecher bzw.
den Hörern der Zusammenhang bekannt ist.
D.h. statt der (im doppelten Sinne) erschöpfenden Beschreibung der
Wortherkunft wäre es für die Diskussion wesentlich wichtiger gewesen,
die gemeinte und die verstandene Bedeutung des Begriffs zu
analysieren. Aber das wär natürlich Arbeit gewesen, die ein unter
Zeitdruck schreibender Autor nicht so ohne weiteres leisten kann -
aber dann hätte sich der Mann eben ein anderes Thema suchen sollen.
So hat er nur die Zeit seiner Leser verschwendet.
Schlimmer noch: dadurch, dass er jetzt die Wortherkunft in den
Mittelpunkt rückt, lenkt er von der tatsächlich gemeinten bzw.
verstandenen Bedeutung ab. Wer sich nur auf seine Analyse stützt,
kommt zum Schluss, dass völlig unklar ist, was der Begriff eigentlich
bedeuten soll - meiner Ansicht nach ist das genaue Gegenteil der Fall
(siehe unten).

> Ich habe mal einen Artikel über das Übersetzen von
> Techniktexten gelesen, in dem die Schwierigkeit der deutschen
> Komposita am Beispiel »Schragenwagen« erläutert wurde: Ist das ein
> Wagen in Form einer Schrage? Oder ein Wagen, der auf Schragen läuft
> (was immer das ist)? Oder zum Transport von Schragen dient? In
> manchen Sprachen, z.B. dem Russischen, muß man hier eine Festlegung
> treffen.

Ich weiß. Ich habe selbst als technischer Übersetzer gearbeitet.
In der Praxis stellt man allerdings häufig zusätzlich fest, dass die
Begriffe zusätzlich zu diesen Schwierigkeiten auch noch einen
Bedeutungswandel durchgemacht haben; in dieser Situation läuft die
ganze elegante Klassifikation der verschiedenen Arten von Komposita
nur noch ins Leere.

Ein Beispiel: Ein "Linienstrom" ist weder ein Strom aus Linien noch
hat er sonstwie mit Linien zu tun: er ist ursprünglich ein aus dem
Englischen ins Deutsche falsch übersetzter "line current", also
"Leitungsstrom"; in der Telegraphie hat sich laut Technischem
Wörterbuch aber "Linienstrom" durchgesetzt und ist jetzt "richtig".
Sprachtheorie ist ja schön und gut, aber sie taugt eigentlich nur zur
Systematisierung, d.h. zur Grobklassifikation der Sprachformen, die
man so sieht. Für die Analyse einzelner Wörter kann sie zwar
Erhellendes, aber nie Verbindliches beitragen - für Verbindliches
muss man sich die im Kontext gemeinte Bedeutung ansehen.

> Der Autor hat finde ich ein sehr elegantes Verfahren gewählt, um den
> immantenten Un-Sinn (bzw. metaphorischen Sinn) des Begriffs
> »Killerspiel« offentsichtlich zu machen, indem er herausarbeitet, daß
> der vermeintliche, vordergründige Sinn des Begriffs weder lexikalisch
> noch morphologisch gedeckt ist.

Und genau deshalb halte ich seinen Artikel für vernebelnd. Er erweckt
den irreführenden Eindruck, dass der Begriff "Killerspiel" ungenau
und verlogen sei, wischt damit die Argumente unserer
Scharfmacher-Innenminister als unbrauchbar vom Tisch, und geht damit
jeder inhaltlichen Diskussion aus dem Weg.
Das ist mir zu bequem. Diese Innenminister würden nicht diese
Hetzparolen ausgeben, wenn sie (oder ihre Berater) nicht der Meinung
wären, es gäbe eine Resonanz dafür im Wahlvolk. Und damit stellt sich
die Frage: welche Vorstellungen werden damit bedient, welche
Meinungen werden damit erzeugt, welche unausgesprochenen Interessen
werden damit verfolgt?
Aber wenn man schon den Begriff abtut, verbaut man sich jede
weitergehende Analyse.

Lass es mich kürzer fassen: Höltgen stürzt sich auf die Morphologie
und Ethymologie, statt die für die öffentliche Debatte eigentlich
wichtige Semantik in den Mittelpunkt zu stellen.

> Damit ist (notwendige) Vorarbeit geleistet für die von dir
> angemahnten »interessanteren« Überlegungen.

Die Vorarbeit, die Höltgen da geleistet hat, ist weder notwendig noch
hinreichend. Sie ist allenfalls ergänzend - und das, was sie ergänzen
könnte, nämlich die Bedeutung, fehlt schlicht und einfach.

> Ist ja schon einmal
> interessant festzustellen, daß ein Begriff in einer Debatte
> »konkrete« Bedeutungen annimmt, der von sich her allenfalls als
> Metapher durchgehen kann (wobei ich denke, daß es sich nicht wirklich
> um eine Metapher handelt).

Interessant: ja.
Aber es trägt nicht wirklich zur Debatte bei.

> Man würde viel analytisches Potential
> verschenken, wenn man damit so umginge, daß man annimmt,
> »Killerspiele« sei einfach ein Label, das auf bestimmte Titel
> draufgeklebt wird und auf andere halt nicht.

Man verliert damit allenfalls die Möglichkeit, die Bedeutung des
Wortes näher zu begründen (aber genau dem weicht Höltgen ja aus).
Angesichts dessen, dass die Wortbedeutung nur sehr bedingt aus der
Wortzusammensetzung und -herkunft erschlossen werden kann, ist der
Verlust nicht groß.

> An welche »konkreten Bedeutungen« hast du gedacht?

Ich denke, die allermeisten Leute verstehen unter einem "Killerspiel"
eines, das sie durch Tötungsdarstellungen schockiert.
Sie machen das natürlich eher an konkreten Merkmalen fest (ob Blut
fließt, ob das Töten im Spielkontext positiv, negativ oder neutral
gewertet wird, die Ausführlichkeit der Darstellung), aber ich glaube,
der wesentliche Punkt ist das Schockieren - was natürlich auch heißt,
dass die Grenze für jeden anders verläuft.

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