OtWa schrieb am 26.04.2023 02:25:
kemmerich schrieb am 25.04.2023 19:05:
Die Menschen haben sich schon immer zuallererst darum gekümmert, wie sie mit den aktuellen Gegebenheiten klarkommen, beispielsweise in ihrer Rolle als Volksgenossen im Dritten Reich; die hatten sie sich mehrheitlich ja auch nicht ausgesucht, machten aber mit, ganz einfach, um mit dem Alltag zurechtzukommen.
Das ist ein sehr gewagtes Narrativ. Auch mit dem relativierenden Nachsatz. Erste Regel bei historischen Bezügen (die ohnehin sehr schwierig sind): Beziehe nie heutige Maßstäbe auf die Vergangenheit.
Ich finde, dass der Mensch von heute kein anderes Wesen ist als der Mensch von vor 90 Jahren. Natürlich hat sich seither kulturell eine Menge geändert, doch wenn man nach Verhaltensmustern sucht, ist das nicht entscheidend. (Zumal wir ja aktuell anhand unseres Umgangs mit dem Ukrainekrieg gut beobachten können, wie schnell eine eigentlich aufgeklärte Gesellschaft in überwunden geglaubte Moralvorstellungen zurückfallen kann...)
Meine Behauptung ist einfach nur, dass sich Menschen gerne an bestehende Strukturen klammern, selbst wenn sie wissen, dass sie unheilvoll sind und eigentlich geändert werden müssten. Und da sind Beispiele aus dem Dritten Reich unglaublich lehrreich: Wenn beispielsweise Juden aus ihren Häusern geholt und durch den bürgerlich geprägten Stadtteil Grunewald zum Bahnhof gescheucht werden, dann weiß ein Schaulustiger, der in der Kaiserzeit aufgewachsen ist und die Weimarer Republik erlebt hat, dass das eigentlich eine irre Aktion ist, die gar nicht stattfinden dürfte. Und trotzdem steht er da und denkt: "Isso".
Anders ausgedrückt: Wissen ist total überbewertet.
Heute weiß eine satte Mehrheit, dass ein Wirtschaften ohne Rücksicht auf die Natur keine Zukunft mehr hat und dass jeder Tag des Nichtstuns (Maßnahmen immer wieder vertagen, grüne Sonntagsreden halten und Greenwashing betreiben) die Sache erheblich verschlimmert. Doch dieses Wissen hilft nicht. "Isso".
Daher finde ich es ganz OK, was die Letzte Generation auf den Straßen veranstaltet. Es geht nämlich gar nicht um Wissensvermittlung, sondern um Aufwecken.