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  • EvodurchKoop

133 Beiträge seit 09.10.2021

Der Marxismus hatte und hat mit Ökologie nichts am Hut

"Das Kapital", der erste Band seiner Kapitalismusanalyse, erschien Mitte des 19. Jh., also zu einem Zeitpunkt, da eine vollkommen enthemmte Ausbeutung (i.S. von Übernutzung und Schwächung) der Natur bereits deutlich sichtbar wurde und die natürlichen Lebensbedingungen aller Menschen bereits stark beeinträchtigte.
In der ersten Hälfte des 19. Jh. erschienen zahlreiche zivilisationskritische Umweltstudien, die auf die Gefahr einer Zerstörung der natürlichen Lebensgrundlagen z.B. Abholzung, Monokulturlandwirtschaft usf. aufmerksam machten. Diese Studien ignorierte Marx völlig. Anders dagegen der englische Frühsozialist Robert Owen, der versuchte, industrielle Produktion mit landwirtschaftlicher Selbstversorgung und guter Bildung der Arbeiter zu verknüpfen, auch um die Fruchtbarkeit der Böden und ökologisch reichhaltige Landschaften zu erhalten. Auch Owen wird von Marx ignoriert.
So kam es zu seiner Arbeitswerttheorie, worin die Eigenproduktivität der Ökosysteme nicht als Wert enthalten war, sondern nur der Wert der Arbeit, bestehend aus den Reproduktionskosten für die Arbeitskraft (Lohn), dem "variablen Kapital", den Kosten für die Rohstoffe und Energie, und dem Mehrwert als Wert, den der Kapitalist als Überschuß über den Wert der Arbeitkraft für sich behält, um von der Veranstaltung kapitalistische Produktion selbst leben zu können.
Auf z.B. die Urwaldrodung oder die chemische Verseuchung des Grundwassers durch die Landwirtschaft heute bezogen, ist es ganz offensichtlich, dass diese Arbeitswerttheorie ein falsches Bild ergibt, weil die katastrophalen Folgeschäden der Arbeit - die Erderhitzung infolge Zerstörung der Regenbildung und Kühlwirkung der Wälder bzw. die Verknappung und Verteuerung des Trinkwassers mit der Folge von Preissteigerungen und Gefahren für das Leben überhaupt - in der Marxschen Wertrechnung nicht enthalten sind.
Wenn aber z.B. die Kosten für die Wasserreinigung höher werden als der Ertrag der Arbeit, dann ist auch der Ertrag aus der Arbeit bis hin zum Mehrwert kein wirklicher Ertrag und Mehrwert mehr, sondern nur noch Diebstahl an der Natur und der Allgemeinheit, mit dem die Eigenproduktivität der Natur für den Menschen viel stärker dezimiert wird als die Menschen mit ihrer Arbeit "produzieren".
Folglich wäre es in dieser Situation viel hilfreicher, die Arbeit z.B. in Form der Urwaldrodung überhaupt sein zu lassen und sich statt dessen von den Früchten des Urwaldes zu ernähren.
Während Owens in seinen Projekten in Lanark noch versucht hatte das Leben der Arbeiter ganzheitlicher, auch als Teil der Natur, zu organisieren. ist bei Marx, 50 Jahre später, davon nichts mehr übrig.
Durch Ausklammerung der Eigenproduktivität der Ökosysteme (eigenständiges Wachstum aufgrund der Photosynthese und dem lebensgemeinschaftlichen Zusammenwirken vieler Lebewesen) aus der Wertanalyse tut Marx so, als ob allein durch Arbeit aller Wohlstand geschaffen würde und damit über alle Folgeschäden erhaben sei.
Heute, da die Folgeschäden so gewaltig sind, dass sie die Leistungsfähigkeit ganzer Gesellschaften überfordern und daher laufend Abstriche am gewohnten Lebensstandard verlangen, zu behaupten, dass der Marxismus zu einem Systemwechsel verhelfen könnte ist völlig abwegig.
Ein Systemwechsel verlangt die Anerkennung der Natur als eigenproduktive Ökosysteme, die allesamt dringend eines Schutzes und einer Weiterentwicklung in Verbindung mit subsistenter Daseinsvorsorge der Menschen vor Ort in den Regionen bedürfen. Der "Stoffwechsel mit der Natur" ist also in Wirklichkeit einer sehr komplexer Austausch, worin Gesellschaftssysteme sich auf der Grundlage des Schutzes und der Weiterentwicklung der eigenproduktiven Ökosysteme neu so organisieren, dass die Produktivitätsentwicklung der Ökosysteme den Erträgen aus der Arbeit vorauseilen kann. Was natürlich in einer auf Wirtschaftswachstum, d.h. auf das Wachstum von Profit und Einkommen orientierten Gesellschaft unmöglich ist.
Netsch ist über weite Strecken zuzustimmen, jedoch hat er ein zu lineares, eindimensionales Verständnis der Wirkungen von Natureingriffen. Außerdem überschötzt er die Kenntnis der Naturgesetze, da es viele Gesetzmäßigkeiten gibt, die noch völlig unbekannt sind, wie z.B. über die Interaktionen der Arten in den Lebensgemeinschaften der Ökosysteme, über die Interaktion der verschiedenen Stoffkreisläufe in der Natur, über die Entwicklungsdynamiken beeinträchtigter Ökosysteme und z.B. auch über die der Photosynthese zugrundeliegenden Naturgesezte. Bei Netsch fehlt die Anerkennung des systemischen Charakters von Natur und seiner Produktivität als Wert, der durch unbedarfte Eingriffe geschmälert wird.

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