1. Der ältliche Autor könnte wissen, daß der Beschluß (kein Urteil!) des BVerfG völlig egal ist. Das BVerfG bezieht sich auf Art. 20a GG, der zu den Grund"rechten" zählt, wobei hierbei ja gar kein Recht formuliert wird, sondern eine weitere staatliche Gewaltmaßnahme. Aber egal. Fakt ist, daß die sog. "Grundrechte" (und nicht nur die...) in Art. 1 bis 20 nicht widerspruchsfrei formuliert sind, so wie das gute Rechtsdekaloge vernünftiger Verfassungen machen (z.B. die Amendments der US Constitution). Aufgrund dieser multiplen Widersprüche im Grundgesetz und speziell in den Grundrechten (tw. widersprechen sich einzelne Artikel in den verschiedenen Absätzen selbst, tw. widerspricht Satz B Satz A, Halbsatz 1 Halbsatz 2). Aufgrund dieser enorm großen Zahl von Widersprüchen wird regelmäßig das nötig, was die einschlägige Literatur "GrundrechteABWÄGUNG" nennt. Sprich: Im konkreten Fall kann das BVerfG sagen: "Ja also da gibts GG Art. 20a, aber GG Art. 14 ist wichtiger, deswegen ist 14 dem 20a vorzuziehen, 20a kommt nicht zur Anwendung." Das kann das BVerfG machen und es kann im nächsten Fall ganz anders entscheiden, mal ist Art 5 Abs. 3 wichtiger als Art.10 oder Art 14 ist wichtiger als Art.20a: Je nach Gusto. Man kann sich im deutschen Recht auf nix verlassen, schon gar nicht bei den Grundrechten, die ad libitum und in vielfältigster Kombination wie Permutation gegeneinander ausgespielt werden können. Wie gesagt, das resultiert alles aus der Tatsache, daß sich bereits die Grundrechte widersprechen. Hätte man widerspruchsfrei formuliert (was durchaus geht, die Amendments in Amerika beweisen es) gäbs das Institut der Abwägung überhaupt nicht.
Deswegen habe ich vor dem BVerfG-Beschluß auch nicht so große Angst. Der Art. 20a kann jederzeit als geringwertiger als ein anderes sog. "Grundrecht" erachtet werden. Allerdings - und das ist die Gefahr! - natürlich auch jedes andere Grundrecht geringwertiger als Art. 20a. Kommt immer auf die konkrete Situation an, was & wie gut die Verfassungsrichter gefrühstückt haben. Und v.a. kommt es natürlich darauf an, welche Flachpfeiffen die Parteibonzenjüngerflachpfeiffen im Richterwahlausschuß des Bundesadlerparlaments nach Karlsruhe abkommandieren.
2. In den Niederlanden hat sich ein Provinzgericht einen Spaß erlaubt. Nein, wirklich. Da ist gar nichts entschieden und gewisserweise finde ich den niederländischen Richter sogar witzig. Es ist nun mal so, daß die Petrochemie existenziell & systemrelevant für die Niederlande ist. Rotterdam ist der größte Ölhafen in ganz Europa, es befinden sich zahlreiche Raffinerien dort. Würde man das abschalten, dann verarmen die Niederlande erheblich und es geht allein deswegen nicht, weil sehr viele Staaten (nicht zuletzt Deutschland!) ganz erheblich von den Öllieferungen und Raffinaden aus Rotterdam abhängig sind. Der niederländische Provinzrichter weiß das natürlich. Sein Urteil wird kassiert und das weiß er auch. Der niederländische Provinzrichter möchte die Regierung der Niederlande ZWINGEN (und hoffentlich gelingt ihm das!) sich eindeutig zu positionieren, daß endlich von seiten der Legislative (und nicht der Iudikative!) klar gesagt wird: "Ja wir brauchen die Petrochemie, der Hafen Rotterdam sichert den Wohlstand vieler Niederländer und es würde zu erheblichen außenpolitischen Verwerfungen kommen, wenn wir da abschalten." Das will der Richter in NL endlich mal hören. Die Wahrheit halt. Oh und wenn die Regierung in Den Haag sich tatsächlich anders äußert: So hats der Richter auch richtig gemacht: Dann hat er nämlich dem niederländischen Volk eine klare Aussage verschafft, daß die niederländische Regierung den Wohlstand der Niederländer zerstören will. Da kann sich der Niederländer ja mal überlegen, ob er solche Vaterlandsverräter weiterhin wählen möchte.
3. In Australien ist noch viel harmloser. Hier hat Richter Bromberg entschieden:
"1. The applicants’ application for an interlocutory injunction is dismissed."
Also was die Gretl-Jünger und die Nonne da wollten ist abgesagt. "interlocutory injection" wäre eine Verfügung gewesen, daß die Bergbaugenehmigung für Vickery Coal erst mal nicht mehr gilt. Genau das wurde ABGELEHNT.
"2. The claims made by each of the applicants (other than those made on behalf of the represented persons) for a quia timet injunction, are dismissed."
quia timet injunction wäre ein SOFORTIGE Verfügung gewesen, wurde ebenfalls abgelehnt.
"3. The parties consult and, on or before 3 June 2021, file proposed orders addressing the matters dealt with at paragraph 520 of the Court’s reasons for judgment."
wobei 520 meint:
"520 It may be that all of those issues can be addressed in writing pursuant to a timetable agreed by the parties for the exchange of submissions and determined on the papers. Alternatively, either or both of the parties may wish to be heard orally. The appropriate course is best determined after the parties have had an opportunity to consult and advise my Chambers of their preference and their available dates for a further short hearing, should such a hearing be considered necessary. I will direct that the parties consult about those issues and provide within 5 working days hereof a draft of the orders they propose."
"I" ist hier Richter Bromberg. Also der sagt einfach nur, daß die streitenden Parteien (das sind einerseits Kinder/Nonne, andererseits das Umweltministerium als Erteiler der Schürferlaubnis und mittelbar das betroffene Bergbauunternehmen) sich zusammensetzen MÜSSEN ("the parties consult" ist ein Befehl!) und da mal irgendwelche Vorschläge unterbreiten sollen und zwar bis zum 3. Juni 2021. Ich schau auf den Kalender und stelle fest: Den haben wir noch gar nicht. Ungelegte Eier. Weiß doch kein Mensch, was da noch diese Woche eingegeben wird.
Das Urteil in Australien ist nachgerade toll, denn die Kläger wollten festgestellt haben, daß das australische Umweltministerium eine ALLGEMEINE Fürsorgepflicht für sie habe. Um Gottes Himmels Willen, mit sowas können sie vielleicht in Deutschland durchkommen, aber doch nicht in angelsächsischen Rechtssystemen. Zuerst zerlegte Bromberg dieses Argument dahingehend, daß er NUR im KONKRETEN Fall (also dieser Schürferlaubnis für Vickery in NSW) urteile und nicht allgemein, daß allgemeine Fürsorgepflichten durch den Staat ziemlich eklig sind und im konkreten Fall sowas natürlich nicht existiere. Außerdem konnte sich Bromberg die Spitze nicht verkneifen, daß er zwar die Klage jetzt mal akzeptiere, aber es ja schon so sei, daß nur australische Kinder (Staatsbürger) da überhaupt einen Anspruch hätten haben können. (im konkreten Fall waren nicht alle klagenden Kinder australische Staatsbürger).
Im Endeffekt urteilte Bromberg nur, daß das Umweltministerium (als Erteiler der Schürferlaubnis) für die Kläger (und für niemanden sonst!) im KONKRETEN Fall eine Fürsorgepflicht hätte, falls diese persönlich & konkret durch die Erweiterung der Kohlemine geschädigt würden. Big fat viel Konjunktiv. Denn wohlbemerkt: Die Erweiterung der Kohlemine gibt es noch gar nicht! Ansonsten ließ der Richter alles offen und bat die Streitparteien bis zum 3. Juni um Vorschläge. Well done & nicely put.
https://www.judgments.fedcourt.gov.au/judgments/Judgments/fca/single/2021/2021fca0560?fbclid=IwAR17zXvBrYMYtiigGtqLr58dMBKzW1M6n1XFqJPGnT3_fFzXhaGEhHNtzLU
So.
LESEN. VERSTEHEN. HANDELN. Oder auch nicht, niemand muß handeln. Aber lesen und verstehen wär schon schön, würd weniger Unsinn gelabert.
Dankeschön!
bd
Das Posting wurde vom Benutzer editiert (31.05.2021 22:58).