Leider weist der Artikel von Homann viele Fehler und Schwächen auf. Und da er immer wieder mal zitiert oder weitergeleitet wird, nehme ich mir die Zeit und viel Platz für Kritik an ihm.
Vorweg: Ich wird nicht auf alle Punkte im Artikel eingehen können, denn er ist wirklich lang und viele Punkte sind ohnehin recht ähnlich oder bauen aufeinander auf. Und ich muss gleich sagen, dass der Autor oft wirklich unsauber bzw. tendenziös argumentiert und dies nur hinter einem akademisch anmutenden Schreibstil versteckt. Und: Da der Artikel lang ist, fällt auch meine Antwort lang aus. ;)
Auf einige wesentliche Argumente kann ich eingehen:
1. Das Mitleid des Autors mit „der Mindermeinung“ kann ich nicht nachvollziehen, insb. nicht den Vergleich damit, dass ja andere Minderheiten (zB sexuelle Minderheiten) publizistischer Aufmerksamkeit erfreuen würden und quasi nur die Klimawandelleugner*innen nicht. Ein Unterschied ist zB: Bei Sexualität geht es direkt um Identität und persönliche Diskriminierung, beim Klimathema nicht. Und: In der Klimawissenschaft ist die Mindermeinung vernachlässigbar weil schon lang widerlegt (wie erst später im Artikel in Zweifel gezogen wird), während man sexuelle Identität ja nicht widerlegen kann.
2. Eine „Cancel Culture“ gegenüber Klimaskeptiker*innen gibt es nicht in dem Sinne wie im Artikel geschrieben. Es ist nur so, dass man nicht jeder Meinung eine Plattform geben muss – das ist aber noch nicht „canceln“. Nur weil jemand eine Meinung hat (und diese selten ist oder lautstark vorgetragen werden muss), muss man den noch nicht in Talkshows und zu Interviews einladen. Eher umgekehrt: Viele Medien machen das leider immer wieder; die setzen dann zB eine Befürworterin und einen Skeptiker an einen Tisch und wollen damit ausgewogene Berichterstattung suggerieren. Das ist aber nicht ausgewogen, sondern suggeriert, beide Meinungen seien gleich verbreitet oder gleich berechtigt. Das ist unjournalistisch – aber manche Menschen verwenden dafür den von rechts in die Mitte der Gesellschaft gesickerten Kampfbegriff „cancel culture“.
3. Meiner Meinung nach mangelt es dem Autor zum Teil am technischen Verständnis für die Konsens-Studien und Studien im Allgemeinen. a) Es ist total logisch, dass nur Abstracts und nicht ganze Papers auf Schlagwörter durchsucht werden – denn das passiert halbautomatisch mit Algorithmen oder durch manuelles Durchlesen, und sowohl Rechenaufwand als auch manueller Aufwand wären viel zu groß, sollten die Volltexte durchsucht werden; es hätte auch keinen großen Vorteil gegenüber den Abstracts. b) Er macht sich lustig über die 100% Zustimmung bei der Powell-Studie. Dazu muss man wissen: Um den Aufwand vertretbar zu halten, werden ja (wie er selbst schildert) normalerweise nur zufällige Stichproben auf die Suchbegriffe durchsucht. Liegt nun der tatsächliche Zustimmungswert in allen Abstract tatsächlich bei über 99%, ist natürlich die Wahrscheinlichkeit hoch, dass zufällig eine Stichprobe mit 0 skeptischen Papers „gezogen“ wird. Das ist Wahrscheinlichkeitstheorie. c) Der Autor kritisiert hinter vorgehaltener Hand, dass der Studienautor Cook der bekannten 97%-Studie „nur“ Kognitionswissenschaftler ist. Was er dabei übersieht: Es gab noch 8 andere Studienautor*innen, zB ein Physiker mit Schwerpunkt auf Atmosphäre oder ein physikalischer Geograf mit Schwerpunkt auf Klimawandelfolgen. d) Einige weitere Belege für das mangelnde wissenschaftliche Verständnis des Autors kommen noch weiter unten.
4. Der Autor suggeriert auch, dass die Politik die 97% AGW-Zustimmung von Cook et al so ernstnehmen und als Grundlage für eine radikale Klimapolitik hernehmen würde. Da hat er einfach nur ein paar erfreuliche Musterbeispiele in Form von Aussprüchen berühmter Persönlichkeiten rausgegriffen, die ihm in die Argumentation passen – in Wahrheit aber passiert kaum relevanter Klimaschutz bzw v.a. hauptsächlich Scheinklimaschutz/ Greenwashing. Bundeskanzler Nehammer zB hat Österreich neulich zum Autoland ausgerufen, und Größen im EU-Parlament schwadronieren vom Green Deal und grünem Wachstum – letzteres ist aber Scheinklimaschutz, weil so getan wird, als könne es grünes Wachstum geben.
5. Nun zur berühmten Cook-Studie[1], die mit einer großen Stichprobe auf 97% AGW-Zustimmung kommt. Ich hab recherchiert und glaube auch, dass die Studie in ein oder zwei Aspekten (!) methodisch etwas ungenau ist. Das muss aber nicht heißen, dass ihre Ergebnisse (sehr) falsch sind – insb. wäre es ja sogar möglich, dass die Zustimmungsrate damals noch höher war (und nicht niedriger)!
Im Wesentlichen sind die Vorwürfe:
a) Cook habe auch nicht-peer-reviewte Artikel untersucht. Das ist FALSCH, wie ich selbst bei Cook et al (unter „Methodology“) nachgelesen habe. Dort steht: „The ISI search generated 12 465 papers. Eliminating papers that were not peer-reviewed (186), […] reduced the analysis to 11 944 papers“. Spricht wieder gegen die Seriösität des telepolis-Artikels, so leid es mir tut.
b) Je nach Rechnung fehlen laut telepolis-Autor plötzlich 200 Autor*innen – was aber im Angesicht von ca. 29000 rechnerisch vernachlässigbar ist und ich deshalb nicht überprüft habe. Es kann auch sein, dass Homann wieder etwas nicht richtig verstanden hat.
c) Cook berücksichtigt nur Beiträge mit den Stichwörtern „globaler Klimawandel“ und „globale Erwärmung“ – wobei AUCH nicht auszuschließen ist, dass AGW-kritische Papers zwecks Auffindbarkeit diese Stichwörter verwenden; darum muss der telepolis-Autor auch offen lassen, ob diese methodische Ungenauigkeit zu einer starken Verzerrung führt. Laut einer neueren Studie ist jedenfalls die Auswahl der Suchbegriffe tatsächlich ein Kritikpunkt an Cook et al, allerdings führt diese Ungenauigkeit zu keiner starken Verzerrung wie vom telepolis-Autor dargestellt – später dazu mehr.
d) Cook durchsucht nur Papers und keine anderen Dokumenttypen wie Bücher. – Das macht Cook aber in seiner Studie selber deutlich und ist ganz sicher eine pragmatische und mMn auch keine schlechte Entscheidung, weil Papers in Datenbanken viel leichter zu finden und zu durchsuchen sind und außerdem sicher die Vielfalt des wiss. Diskurses gut repräsentieren. Außerdem – und das spricht der telepolis-Autor mal wieder nicht an – hat die Cook-Studie so funktioniert, dass sie 24 Personen die 12.000 Papers nach Zustimmungsgrad und inhaltlicher Kategorie haben manuell kategorisieren lassen. Wie stellt sich das der telepolis-Typ vor: Hätten sie statt der Paper-Abstracts komplette Bücher, völlig uneinheitliche Dokumente wie irgendwelche Unterlagen und komplette Artikel lesen lassen sollen? Unrealistisch!
e) Ein ganz wichtiger Einwand von telepolis: Cook berücksichtigt Beiträge ohne klare Position zum AGW-Modell bei den 97% nicht, was laut Autor das Ergebnis verzerren würde. – Aber: Cook et al können ja nicht manuell alle Abstracts durchlesen, sondern müssen (halb-)maschinell Algorithmen arbeiten lassen, und daher müssen sie logischerweise Papers ohne Position ausschließen. Ich finde sogar – und es wurde auch in Studien so diskutiert –, dass man davon ausgehen kann, dass die meisten dieser 2/3 ausgeschlossenen Papers eher zustimmend als ablehnend sein werden, weil man, wenn man Teilaspekte des menschengemachten Klimawandels untersucht, eben oft nicht nochmal extra auf die Grundlagen (die AGW-These) verweist. (Mehr zu diesem Thema findet man bspw. in Studie [3] unter „4. Discussion“.) Übrigens sprechen Cook et al am Ende der Studie selber eine wahrscheinliche Begründung für die vielen Nicht-Positionen an, die telepolis aus irgendeinem Grund nicht behandeln und deren Google-Übersetzung ich hier kurz reinkopiere:
„Bemerkenswert ist der große Anteil an Abstracts, die keine Stellungnahme zu AGW abgeben. Dieses Phänomen wird in Konsenssituationen erwartet, in denen Wissenschaftler ‚... ihre Diskussionen im Allgemeinen auf Fragen konzentrieren, die noch umstritten oder unbeantwortet sind, und nicht auf Angelegenheiten, über die sich alle einig sind‘ […]. Diese Erklärung steht auch im Einklang mit der Beschreibung des Konsenses [in einer Wissenschaftsdisziplin] als einer ‚spiralförmigen Flugbahn‘, in der ‚anfänglich intensive Auseinandersetzungen zu einer schnellen Lösung führen und eine Spirale neuer Fragen induzieren‘ […]; Die grundlegende Wissenschaft von AGW ist in der publizistischen Wissenschaftsgemeinschaft nicht mehr umstritten und die verbleibende Debatte auf diesem Gebiet hat sich auf andere Themen verlagert. Dies wird durch die Tatsache gestützt, dass mehr als die Hälfte der selbstbewerteten Empfehlungspapiere in ihren Abstracts keine Position zu AGW zum Ausdruck brachten.“
f) Das Interpretationsschema von Cook et al, um AGW-Zustimmungen zu kategorisieren, sei ungenau gewesen, wie man an zwei Beispielsätzen des Interpretationsschemas aus der Studie sehen könne. Satz 1: „Die Kohlenstoffbindung im Boden ist wichtig, um den globalen Klimawandel einzudämmen.“ wurde von Cook et al als implizite Zustimmung gewertet, obwohl darin nicht das Wort „menschengemacht“ vorkommt. – Das ist naiv gedacht vom Artikelautor, denn wer von Kohlenstoffbindung im Boden spricht, spricht höchstwahrscheinlich von Landwirtschaft und somit von einem menschlichen Beitrag, und das kann man sehr wohl als implizite Zustimmung dafür werten, dass der Mensch Einfluss auf die Erderwärmung hat. | Satz 2: „Die Emissionen einer Vielzahl von Treibhausgasen unterschiedlicher Lebensdauer tragen zum globalen Klimawandel bei.“ wurde von Cook et al als explizite Zustimmung gedeutet, obwohl der Großteil der Gesamtmasse an Klimagasen nicht vom Menschen verursacht ist. Das ist gewissermaßen eine berechtigte Kritik, aber möglicherweise hat Cook hier nur ein schlechtes Beispiel für eine sonst sehr gute Filterung angegeben. Für diese Vermutung von mir würde Folgendes sprechen: Ich habe die Studie gefunden[2], in der dieser Beispielsatz im Abstract vorkommt. Gleich zu Beginn nach dem Abstract heißt es darin: „Carbon dioxide, methane, nitrous oxide, and other greenhouse gases increased over the course of the 20th century due to human activities. The human-caused increases in these gases are the primary forcing that accounts for much of the global warming of the past fifty years, with carbon dioxide being the most important single radiative forcing agent“. Das ist eine explizite Zustimmung, wie richtig von Cook et al klassifiziert.
g) Was bei telepolis NICHT angesprochen wird: 8500 Autor*innen der Studien (mind. 60% pro Erscheinungsjahr) wurden durch Cook et al direkt kontaktiert und um eine Einordnung ihrer Studien sowie eine Positionsbeziehung gebeten – das war der zweite Teil der Cook-Studie. Und auch hier war die Zustimmung zu AGW klar! Es war zwar so, dass bei den anonymen Ratings rund 2/3 als „keine Position“ kategorisiert wurden – aber bei der Autor*innen-Befragung waren es nur noch rund 35% positionslose Papers (und übrigens nur ca 2% Ablehnung). Das zeigt, dass Cook et al und die Bewerter*innen eher sehr vorsichtig vorgegangen sind. Und nochmal: „Keine Position“ in einem Paper könnte eher dafür sprechen, dass stillschweigend die AGW-Hypothese als richtig vorausgesetzt wird.
6. Was mich auch sehr stört: Der Autor nennt keine Quellen, wenn er anspricht, dass die Cook-Studie „in methodischer Hinsicht kritisiert worden“ sei. Wenn er schon mit wiss. Quellen arbeitet und sie analysiert, gehören auch Quellenangaben dazu, weil seine Behauptungen sonst nicht überprüfbar sind. Das ist ein weiterer kleiner Baustein, der ehrlich gesagt die Vertrauenswürdigkeit des Autors für mich beschädigt.
Und ich habe noch wesentlich mehr Punkte im Artikel gefunden, die ich auseinandernehmen könnte – aber ich denke, dann ufert dies hier nur noch weiter aus. Und ich denke, es ist auch ohne Anspruch auf Vollständigkeit klargeworden, dass der telepolis-Artikel keine gute Informationsquelle ist.
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So, erfreulicherweise hab ich außerdem eine sehr gute neue Studie zum Thema aus dem Jahr 2021 gefunden[3], die sich sogar auf Cook et al bezieht. Die arbeitet bewusst etwas anders – in den Suchbegriffen genauer und außerdem mit Algorithmen – und durchsucht auf diesem Wege 3000 Abstracts, die etwas ungenaue Methodik von Cook et al vermeidend (und nur bezogen auf Klimastudien seit 2012). ZB werden auch Papers mit dem Stichwort „climate change“ (ohne „global“) berücksichtigt, und es wird der umgekehrte Ansatz verfolgt, so gute skeptische Suchbegriffe wie möglich zu verwenden, um so viele skeptische Papers wie möglich zu finden. Und nun kommts: In einer Stichprobe von 3000 Papers findet der sehr verfeinerte Algorithmus 4 skeptische Papers. Das bedeutet mit einer extrem hohen Wahrscheinlichkeit, dass seit 2012 über 99% wissenschaftlicher Veröffentlichungen nicht den Konsens zum anthropogenen Klimawandel angreifen.
Die Studie geht sogar noch weiter und sucht aufgrund skeptischer Begriffe aus allen ~88.000 klimabezogenen Studien erst mit einer Software und dann händisch Studien heraus, sie mit hoher Wahrscheinlichkeit skeptisch sind. Sie kommen auf diese Weise auf 31 (EINUNDDREIßIG) Papers.
Wer möchte, kann die umrissene Studie selber mal überfliegen; siehe Fußnote. Es lohnt sich!
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Was bleibt unterm Strich:
Höchstwahrscheinlich hat der telepolis-Autor selber ungenau gearbeitet und wollte unbedingt einen Skandal aufdecken. Dabei hat er mindestens die Cook-Studie ungenau und mit mangelndem wiss. Verständnis durchgearbeitet. Selbst WENN er recht haben sollte (was er nicht hat), wären ca. 66% Zustimmung zum menschengemachten Klimawandel (also ein Verhältnis 2:1) angesichts seiner Dramatik immer noch ein Weckruf, alles zu tun, damit das Katastrophenszenario nicht eintritt – und das bedeutet nun mal große Änderungen in Wirtschaft und Gesellschaft.
Was wäre nun verloren, sollte es einen nicht-anthropogenen Klimawandel geben? Wir hätten dann „ganz umsonst“ umgestellt auf gesunde Ernährung, verringerten Luxus-Konsum, autofreie (und somit kinderfreundliche und gesunde) Städte, bessere Luft, verringerten Eingriff in die und Wiederherstellung von Natur, usw. usf. Selbst wenn wir gewisse Gewohnheiten wie das Fliegen großteils über Bord werfen müssen, gewinnen wir viel mehr dazu – und verringern die Wahrscheinlichkeit für ein Katastrophenszenario.
Zuguterletzt möchte ich noch drauf aufmerksam machen, dass hinter dem Artikel eine altbekannte Strategie stecken könnte: Fear, Uncertainty and Doubt (FUD). Das ist die „Strategie, gezielt Zweifel an wissenschaftlichen Erkenntnissen zu säen“. Sie „wurde von der Tabakindustrie eingeführt und wird inzwischen seit mehreren Jahrzehnten genutzt, um politische Entscheidungen zu Umweltfragen wie z. B. dem Klimaschutz zu verzögern. Man bedient sich dabei gezielter, aber dennoch subtiler und eher unterschwelliger Desinformation, zum Beispiel in Pressemeldungen. Häufig werden diese über scheinbar neutrale Quellen („Third-Party Strategy“) verbreitet, deren Verbindung zum eigentlichen Urheber nicht sofort ersichtlich ist.“[4] Dahinter stehen oft einschlägige Thinktanks, Firmen mit Eigeninteressen (zB Ölkonzerne) usw. – und RICHTIG viel Geld. Schon die Tabakindustrie hat früher mit solchen Tricks gearbeitet. Passt auf, dass ihr solchen schmierigen Tricks nicht auf den Leim geht!
Also, lange Rede, kurzer Sinn… Ich denke, man darf sich wirklich sicher sein: Mehr als 97% und mittlerweile eher mehr als 99% der Klimawissenschaftler*innen sind zu dem Schluss gekommen, dass ein menschengemachter Klimawandel stattfindet.
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[1] https://iopscience.iop.org/article/10.1088/1748-9326/8/2/024024
[2] https://www.pnas.org/doi/10.1073/pnas.1006282107
[3] https://iopscience.iop.org/article/10.1088/1748-9326/ac2966
[4] https://de.wikipedia.org/wiki/Fear,_Uncertainty_and_Doubt – mehr dazu hier: https://de.wikipedia.org/wiki/Klimawandelleugnung