"Sehenden Auges in die Katastrophe" ist ein Phänomen, das öfters vorkommt. Eigentlich ein alltägliches, stinknormales. Wir tun laufend Dinge, von denen wir wissen, dass wir sie lieber nicht tun sollten, weil sie auf lange Sicht schädlich sind. Ein großes Rätsel ist das aber in dem Moment nicht mehr, wo man sich ehrlich macht und anerkennt, dass Menschen keine von natürlichen Bedürfnissen unabhängige Sonderwesen sind, sondern Tiere, die der Familie der Trockennasenaffen zugerechnet werden.
Ein guter Maulwurf ist ein Lebewesen, das gut graben kann, aber nicht an seiner Sehfähigkeit gemessen wird. Ein guter Biber ist ein Tier, das solide Dämme bauen kann. Ein guter Mensch ist ein Mensch, der auf der Klaviatur der sozialen Interaktion alle Register ziehen kann, um Vorteile zu bekommen. Solche Menschen bewundern wir auch, ganz egal, wie moralisch fragwürdig sie sich eigentlich verhalten.
Die Motivation, unvernünftige Dinge zu tun bzw. vernünftiges Handeln zu unterlassen, ist also sozialer Natur. Man will hier und jetzt, d.h. unter den aktuell herrschenden Bedingungen und Normen, soziale Anerkennung bekommen und ein geachtetes Mitglied der Gemeinschaft sein. Deshalb arbeitet der Ölmanager auch für das Wohlergehen des Konzerns und tritt nicht aufgrund besseren Wissens als Rebell auf. Unbedingt muss man aber noch dazu sagen, dass die Konsumenten des Ölkonzerns ganz genauso drauf sind: Sie machen sich mit dem Öl das Leben angenehm und protzen mehr oder weniger unverhohlen mit ihrem Besitz. Übrigens: Wie bei dem von Wolfgang Pomrehn herangezogenen Vergleich mit der Tabakindustrie ist es nicht so, dass Exxon uns alle verarscht hat; die Folgen des Rauchens sind seit den späten 70ern allseits bekannt und wurden auch gebetsmühlenartig in der Schule thematisiert. Was bei den fragwürdigen Produkten und Geschäftspraktiken der Digitalindustrie heute auch so ist: Jeder weiß, dass er selbst das Produkt ist, trotzdem wird fleißig weiter gewhatsappt, genetflixt und gegoogelt.
Das wirft die Frage auf, wer eigentlich schuld ist am Kapitalismus. Die beklemmende Antwort: niemand. Das mächtige, alle Lebensbereiche durchdringende System hat sich historisch entwickelt, lange Zeit ohne dass irgendjemandem überhaupt klar war, was sich da gerade etabliert. Übrigens ist es auch arg einseitig, den Kapitalismus nur auf Ausbeutung von Mensch und Umwelt zu reduzieren. Er ist das erst dynamische Sozialsystem der Menschheit, mit unfassbar positiven (vor allen Dingen wohlstandsfördernden) Effekten für alle - auch wenn das System sicher nicht dazu tendiert, die Ungleichheit zu beheben. Heute besitzt jeder, auch der Allerärmste, einen Hosentaschencomputer, der ungleich leistungsfähiger ist als ganze Rechenzentren von vor 30 Jahren und darüberhinaus auch noch Kontakt zu jedem Winkel der Erde hält. Powered by Capitalism, unverkennbar.
Ob wir den Klimawandel effektiv bekämpfen können, hängt davon ab, ob wir es schaffen, vom Kapitalismus zu lassen, trotz seiner unterm Strich positiven Effekte. Denn er ist technikgetrieben, und die Technik braucht Unmengen an Energie, und genau die müssen wir nun massiv einsparen.
Wer fängt jetzt damit an? Der Ölmanager? Der Konsument? Aus welcher Motivation heraus?