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Avatar von trainspotter (1)
  • trainspotter (1)

mehr als 1000 Beiträge seit 16.02.2018

Re: Was nichts kostet, ist nichts wert

Tja, so kann man aneinander vorbei schreiben...
Aus Ihrem Beitrag, auf den ich antwortete, las ich die üblichen Argumente der Vorstadtbewohner mit SUV heraus, die niemals nie einen Fuß in ein öffentliches Verkehrsmittel setzen.

Also auf ein Neues.

w-j-s schrieb am 13.04.2023 20:49:

Im welcher Branche arbeiten Sie?

Ich arbeite in der ÖPNV-Branche. Ich bin also Teil dieses dreckigen Systems. Ich bin bei den Bösen, bei den Unfähigen, werden Leute wie Sie sagen.

Ich nehme das zur Kenntnis. Ich weiß, wie ich Sie einzuschätzen habe.

Ich arbeite nicht in der ÖPNV-Branche, bin aber überzeugter Nutzer derselben, der sich Unzulänglichkeiten nicht schön redet, weil sie dem sinnvollen und notwendigen System Schaden zufügen. Ob Sie zu den durchaus vorhandenen Unfähigen in dem System gehören, vermag ich mangels Kenntnis Ihrer Person nicht zu beurteilen. Da muß ich mich auf Ihre Selbstdarstellung verlassen... ;-)
Im Ernst: Ich kann Ihren Ausbruch verstehen, denn wenn man mit Herzblut oder zumindest mit "Handwerkerehre" in dem Gewerbe unterwegs ist, dann muß man angesichts der vielen Stümper, die einem gute Arbeit kaputt machen, verzweifeln. Und nein, ich gehe erstmal nicht davon aus einen Stümper vor mir zu haben, wenn ich auf einen Beschäftigten des ÖPNV treffe. Allerdings schaffen es die Stümper immer recht schnell, sich selbst zu outen und das sag ich ihnen dann auch... (Wie ich umgekehrt auch nicht mit meiner Meinung hinter dem Berg halte, wenn jemand gute Arbeit abliefert: Letztens war ein Tf von NX total geplättet und hat sich überschwenglich bedankt, als ich ihn dafür lobte und mich bedankte, daß er auf der kurzen Strecke zwischen Ennepetal (Gevelsberg) und Wuppertal Hbf die +5 min. abgebaut hatte...)

Strohmann-Argumente ihrerseits:

Wir reden hier nicht von einem reichen Land wie Luxemburg ohne Problemviertel und mit wenig Einwohnern.

Wir reden hier nicht von der Schweiz.

Auch das sind keine Paradiese und auch dort gibt es Probleme (Ausländeranteil in L: rund 50%). Nur geht man die dort wohl intelligenter an. Ein Punkt ist sicherlich, daß man dort genau weiß, daß öffentlicher Verkehr seinen Preis hat und dort auch bereit ist den vollen zu zahlen. Hierzulande wird ja schon das Gespenst des Kommunismus beschworen, wenn es darum geht einen Ausgleich für populistische Maßnahmen (9€- und 49€-Ticket) der aktuell regierenden Pöstchenjäger zu leisten...

Zu sozialen Problemen bei fahrscheinlosem ÖPNV habe ich mich hier in den Kommentaren an anderer Stelle geäußert (Stichwort: Portland/Oregon).

Wir reden von Deutschland. Ein Land, wo Busse und Bahnen wegen Personalmangel ausfallen, wo das Personal in der Pampa Pausen hat ohne Sozialräume, allenfalls ein Dixie-Klo.

Meine Bemühungen um einen Quereinstieg als Tf wurden von der Mehrzahl der Unternehmen schlicht ignoriert, nur von zweien bekam ich "wenigstens" eine schnelle Absage. So schlimm kann das mit dem Mangel also noch nicht sein, wenn man sich einen der sich eigeninitiativ meldet, noch nicht einmal für ein paar Minuten unter die Lupe nimmt und miteinander redet, sondern nur aufgrund der schlechten Papierform abwinkt, bzw. noch nicht einmal das.
Ich werde aber weiterhin viel Zug fahren, ab Mai sogar verstärkt, nur halt nicht an dem Platz wo alle etwas davon hätten - nämlich vorne - sondern im Passagierraum...

Ein Land, dessen Schienennetz mangels Weichen und Überholstellen Störungen nicht abpuffern kann.

Wir reden von nicht einhaltbaren Bus-Fahrplänen, die weltfremde Planer in Landratsämtern vorgeben.

Wir reden von fehlenden Fahrzeugen, zu knappen Wendezeiten, wodurch Verspätungen sich aufschaukeln.

In den nächsten 10 Jahren werden übrigens fast 50% der jetzt aktiven Busfahrer in den Ruhestand gehen. Wer wird da nachkommen?

Der ÖPNV hierzulande steht personell vor dem Kollaps. Wenn er das in Luxemburg oder der Schweiz nicht tut, so könnte es vielleicht an der Entlohnung des Personals dort liegen.

Die Liste der Mängel ist mir leider nur zu bekannt und viele Punkte davon haben mich schon ein beträchtliches Quantum Lebenszeit gekostet. Den Grund sehe ich darin, daß man (Politik und ihre Wähler) nicht bereit ist den notwendigen Preis zu zahlen, der für ein funktionierendes System nun einmal anfällt und da sind wir noch nicht einmal bei den Löhnen und Gehältern: Pro Kopf der Bevölkerung wurde in 2021 in Deutschland 124€ in die Schiene inverstiert, in der Schweiz 413€ und in Luxemburg 607€. (https://www.allianz-pro-schiene.de/themen/infrastruktur/investitionen/) Die zwangsfinanzierte Parteipropaganda jubelt die Zahl 124 aber in den Schlagzeilen dennoch hoch und versteckt die Unfähigkeit Deutschlands im Kleingedruckten: https://www.tagesschau.de/wirtschaft/verbraucher/schienennetz-investitionen-allianz-pro-schiene-zug-101.html

Entlohnung ist ein schwieriges Thema, angesichts von galoppierender Inflation und sinkenden Reallöhnen. Als Baby-Boomer, der noch andere Sitten und Gebräuche als die heutigen am Arbeitsmarkt gewohnt ist, halte ich ein Einstiegsgehalt von rund 3k€ für einen Tf, der eine zehnmonatige Ausbildung durchlaufen hat, nicht unbedingt für Ausbeutung (gut in 2023 sollten es vielleicht 3,2k oder so sein, aber das sind Details und geht ja jetzt nicht ins Grundsätzliche). Über Nacht- und Wochenendzulagen, sowie Inflationsausgleich muß man vielleicht mal wieder sprechen, aber da sehe ich jetzt keine unüberwindlichen Hürden. Entscheidender schätze ich ein, daß infolge der grundsätzlichen Unterfinanzierung des Systems und dem dafür ursächlichen und sich selbstverstärkenden, mangelden Ansehen der Branche, der Frustfaktor für die Beschäftigten so groß ist/wird, daß sie selbst für Geld und gute Worte nicht mehr dort tätig sein wollen. (Dein Ausbruch, lieber w-j-s, könnte ja auch in diese Richtung deuten.) Vor allem dann nicht, wenn nicht im mindesten absehbar ist, daß sich etwas zum Besseren wendet. (Bitte jetzt kein bullshit-bingo: Mir ist schon klar, daß "der Deutschlandtakt" noch nicht einmal als schlechte Kopie für "Bahn 2000" taugt, weil die tonangebenden Akteure - in der Politik - bis heute nicht begriffen haben, wie die Mechanik von "Bahn 2000" funktioniert...)

Gruß trainspotter

Das Posting wurde vom Benutzer editiert (14.04.2023 12:59).

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