Ansicht umschalten
Avatar von Karla Kritikus
  • Karla Kritikus

33 Beiträge seit 28.05.2021

Vom reellen Gehalt eines Sondierungspapiers statt Sorge um dessen Redlichkeit

Statt sich falsche politisierte Sorgen darum zu machen, ob sich Wähler
in dem Sondierungspapier und dessen ausstehende Überführung in
eine Koalitionsvereinbarung von SPD, FDP und Grüne wiederfinden,
ob in unredlicher Weise Versprechen hinausposaunt werden und gar
Verfassungswidriges unterwegs sei, kann man an dem Sondierungs-
papier studieren, wie sich da welche aufmachen, die Schlagkräftigkeit
eines kapitalistisch gestrickten nationalen Standorts sich angelegen
sein lassen - vorausgesetzt, man nimmt einmal Abstand davon, die
Maßstäbe des Gelingens eines H e r r s c h a f t s - Progamms sich
zu eigen zu machen:

Es bezeichnet schon eine gediegene angeberische Tour, mit solchen Leerformeln
wie Modernisierung, Fortschritt, Veränderung, Aufbruch kundzutun, wie jetzt das Regieren in Absetzung vom bisherigen herrschaftlichen Schalten und Walten
ganz neu zu Werke gehe. Unter solche Abstraktionen lassen sich nämlich die
gröbsten Gemeinheiten packen und als fortschrittliches Regierungsprogramm
ausgeben und durchziehen. Es widerspiegelt die hoheitliche Freiheit, souverän, unbehelligt den Insassen des kapitalistischen Gemeinwesens die definierten
nationalen Vorgaben einzutrichtern und die dafür einzuspannen.

Dabei steht längst fest, was über alle Legislaturperioden hinweg die herrschaftliche Sache ist: schon eingangs des Papiers steht, Deutschland gelte es zu stärken. Die Stichworte dafür liefern die neuen Machtkandidaten unter Bezeichnungen wie Wettbewerbsfähigkeit und „Wohlstand“ der Nation, deren Förderung offenbar
immer schon im Fokus demokratischen Regierungshandels steht; die Mittel und
Wege dessen werden u.U. anders/neu justiert.

Klimawandel oder Digitalisierung stünden für eine „umfassende Erneuerung
unseres Landes“, was einerseits in dieser fortgesetzten Abstraktheit nicht schlicht
als Regierungswollen daherkommt, sondern als „Herausforderung“ als was
Äußerliches vorgestellt wird, dem die Politik sich zu stellen hätte: Politik als
Reagieren auf was Sachzwanghaftes hinstellen, dem als dieses niemand
entkomme. Im Kontrast dazu steht dann, wie die Regierenden in der Durchführung
sehr selbstbewusst Klimawandel und Digitalisierung als Werkzeuge für das Voranbringen ihres kapitalistischen Standortes, dessen nationalökonomischen
Nutzen und dessen Abfärbung auf die Potenzen staatlicher Macht und Herrlichkeit handhaben.

So kann man als „digitaler Staat“, der allerdings in Sachen Schnelligkeit der Entscheidungen und Effektivität noch einigen Nachholbedarf habe, selber einiges
an der Nahtstelle unternehmen, wo es um das Anschieben „privater wie öffentlicher Investitionen“ (S. 2) gehe. Haben staatliche Genehmigungsverfahren offenbar ihren Sinn darin, dass die Hoheit bei irgendwelchen Vorhaben übergeordnete Gesichtspunkte, Fragen der Sicherheit geltend macht, die im privaten Kalkül der Investitionsfreudigen aus Kostengründen eben hinten angestellt werden, soll jetzt
die Zügigkeit der Umsetzung der Investitionsvorhaben die „Verwaltungs-,
Planungs- und Genehmigungsverfahren“ (S. 2) bestimmen; man muss nicht gleich
den Verdacht hegen, dass der Staat nun einiges schleifen lässt, was die
Vorgaben für Investoren betrifft; aber auffallend ist schon, wie hier Prioritäten verschoben werden, wenn der Gesichtspunkt der möglichst flotten Herstellung der Voraussetzungen für neue Bereicherungsprojekte betont wird; „die Verfahrensdauer mindestens zu halbieren“ (S. 2) ist schon ehrgeizig, ohne dass die Strenge und Kontrolle der Maßgaben für Bauten, Eingriffe in natürliche Umgebung etc. tangiert
wird. Die „neu aufzusetzende digitale Strategie“ ist allemal dafür gut, von der hoheitlichen Verfahrensseite her einiges für die Konkurrenztüchtigkeit der
nationalen Kapitale zu tun, wenn die schneller erfolgreich die Märkte besetzen.

Mal abgesehen davon, dass über die sog. Klimakrise einiges an Lügen verbreitet
wird, mit der Redeweise von „menschengerechten Klimawandel“ gezielt beiseite geschoben wird, was die Klimasache mit der Produktions- und Wirtschaftsweise
zu schaffen hat, der die Ampel-Sondierer vorstehen – es lässt sich doch glatt aus
den größten klimatischen Sauereien eine dicke Chance für Deutschland und
seinen Industriestandort machen: „neue Technologien und Geschäftsmodelle“ für „klimaneutralen Wohlstand“=nationale/nationalwirtschaftliche Wohlfahrt. Und
dass dabei auch noch „gute Arbeit“ herausspringen soll, ist die Verharmlosung,
wie die, die sich noch nützlich machen dürfen im Rahmen der neuen Geschäftsfelder, alles andere als Mit-Profiteure des Aufbruchs sind: ihre Billigkeit fürs grüne Wachstum ist gefragt, und einige neue Zumutungen der Anpassung an „flexiblen Arbeitseinsatz“ warten auf die lieben Mitarbeiter; dass letztere dabei eben den Anordnungen ihrer Betriebsherren zu folgen haben, wird von den Sondierern schon wieder verniedlicht,
es gelte eigentlich den „Arbeitszeitwünschen“ der Arbeitnehmer gerecht zu werden
(S. 3). Wie es auch SPDler, FDPler sowieso und Grüne beherrschen, dem Kapital
mit der Konzedierung neuer Freiheiten der Benutzung ihres Arbeitsmaterials zu
Seite zu stehen, zeigt die Absicht der Aufweichung des Arbeitszeitgesetzes, nämlich
der Entschränkung der „Tageshöchstarbeitszeit“ – deren Regulierung mal von dem Gesichtspunkt getragen war, der Maßlosigkeit der Ausnutzung lohnarbeitender Arbeitskraft seitens der Kommandierer über die Arbeit Grenzen zu setzen.

Wie das ganze Gerede über die Dringlichkeit des klimafreundlichen Umbaus als Bestimmungsgrund der staatlichen Umtriebigkeit wie Schall und Rauch wirken,
bemerkt man an den Stellen, wo sich die Sondierer wie gestandene nationale Energiepolitiker outen: der schöne Umbau müsse maßgeblich der Günstigkeit der Energiekosten für die nationale Wirtschaft dienen:“wettbewerbsfähige Preise“ auf prognostizierten steigenden „Strom- und Energiebedarf“(S. 3), also auf einen
Bedarf nach entscheidenden Grundstoff der kapitalistischen Wertschöpfungsketten. – Genauso tragen sie dem Aspekt der nationalen Versorgungsicherheit Rechnung:
bloß auf massiven Ausbau der Windkraft oder von Solar setzen um des lieben
Klima willens, wäre zu kurz gegriffen; Gaswerke wären weiter nötig, um den
nationalen Energiebedarf zu decken, sprich: dem unersättlichen Bereicherungstrieb
der Kapitalstätten der Nation entsprechend deren renditedienlichen Energiebedarf
zu Diensten zu sein– wie es sich für Klimafreunde auf den Kommandohöhen der
Macht gehört, natürlich nach Möglichkeit mit der Perspektive der Umstellung auf „klimaneutrale Gase“. Ohne dies hier weiter auszuführen: Energieautonomie hat
mit kleinkariertem Autarkiestreben nichts zu tun, sondern enthält eine
imperialistische Dimension, den Zugriff auf gleich die weltweiten Energiequellen
im Interesse der Metropolen und des kapitalförderlichen Energiehungers ihrer Geldvermehrungsschmieden zu sichern – wofür die Forcierung der
Unabhängigkeit von auswärtigen Grundstofflieferanten gerade durch die moderne landesinterne industrielle Verfügbarmachung von möglichst unschlagbar konkurrenzfähiger Energie einiges an Erpressungsmacht gegen das Ausland
liefert.

Die Kehrseite des nationalen Kapitalakkumulationsregimes, die Betreuung erst
mal von der Politik flächendeckend zugelassener Armutstatbestände und deren Kontinuität, kommt nicht zu kurz, unter euphemistischen Titeln wie „Respekt und Chancen in der modernen Arbeitswelt“ und „soziale Sicherheit“: die dick
umworbene Mindestlohnerhöhung auf 12 Eur wird eingereiht in den Slogan,
dass Leistung anerkannt sein müsse; ob es sich dabei um „gute Bezahlung“ für
„gute Arbeit“ handele, überzeichnet den Sachverhalt nicht nur ein wenig, dass
die SPD-, FDP- und grüne Polit-Fritzen raushängen lassen, dass lohnende
Ausbeutung ihr (Mindest-)Geld wert sei: die Nötigung von Millionen zur Zuarbeit
für die Bereicherung des nationalen Kapitals steht sowieso felsenfest; was sich
einer von 12 Eur leisten kann, sieht man an den nie endenden, sich gerade
gegenwärtig verschärfenden Einteilungskünsten des Arbeitnehmerhaushalts. – Sonderformen der Lohnarbeit wie Midi-/Minijobs haben sich Arbeitsmarktpolitiker
als spezielles Angebot fürs freie Unternehmertum einfallen lassen, freier über
Arbeit hinsichtlich der Bezahlung und Arbeitszeit zu verfügen, nämlich stunden-/tageweiser Abruf derselben zu einem Geld, das keinen Lohnarbeiter
ernährt. Nun heben sie den Minijob-Sold auf 520 an, mit der Warnung vor
Missbrauch, nämlich darüber reguläre Beschäftigung zu ersetzen – ein gekonntes
Stück Heuchelei, diese Sorte Billigstbenutzung armer Leut als anerkanntes
Gewerbe zuzulassen – und wenn dann kräftig davon Gebrauch gemacht wird,
dies als Rüge hinterherzuschicken.

Hartz IV soll in Bürgergeld umgetauft werden. Das Menschenfreundliche der
Achtung der Menschenwürde und gesellschaftlichen Teilhabe taucht in ein
rosiges Licht, dass das Einstellen und Ausstellen der Leute gemäß den Gewinnkalkulationen von Unternehmern und darüber systematisch hervorge-
brachte Not der Eigentumslosen feste Prämisse des sozialstaatlichen Betreuungswesens ist – und was als „Hilfen zur Rückkehr in den Arbeitsmarkt“ daherkommt, ist die Klarstellung, dass abhängige Arbeit, die Nützlichmachung für fremden Reichtum der Lebensinhalt von Lohnabhängigen zu sein hat –
gleichgültig gegen die Kalkulationen der Kapitalisten die unbedingte Dienerschaft
an diesen sich angelegen sein zu lassen haben, wofür schließlich
sozialstaatlicherseits „Mitwirkungspflichten“ eingefordert werden, an die eine
kommende Ampel-Koalition keinesfalls zu rütteln gedenkt.

Bewerten
- +
Ansicht umschalten