"Allerdings gibt es für Wahlprogramme keine Kennzeichnungspflicht, was Verhandlungsmasse ist und wo sich die roten Haltelinien befinden. Prozentangaben wie auf den Zutatenlisten verarbeiteter Lebensmittel gibt es dazu schon gar nicht. Die Parteien wollen aber durchaus, dass ihre Wahlkampfaussagen für bare Münze genommen werden. Jedenfalls solange, bis die Stimmzettel in der Urne gelandet und ausgezählt sind. Erst danach berufen sich Parteien auf die Notwendigkeit von Kompromissen. "
Es stimmt natürlich, dass keine Partei ihre Programmpunkte im Wahlkampf unter Vorbehalt stellt. Auch in Interviews geben sich Spitzenkandidaten oftmals schmallippig, wenn sie nach den Aussichten auf eine Realisierung bestimmter Vorhaben im Rahmen einer mehr oder weniger wahrscheinlichen Koalition gefragt werden. Das ist aber auch irgendwie verständlich: Wer bereits vor der Wahl einräumt, dass nicht alles in vollem Umfang realisierbar sein wird, weil man nicht über 50% kommen wird, macht sich klein, und das kostet Stimmen. Oft geben Politiker der Sache einen positiven Dreh, indem sie darauf verweisen, dass möglichst viele Stimmen für ihre Partei die Chancen auf Umsetzung bestimmter Ziele erhöhen. Was ja auch nicht verkehrt ist.
Wer in dieser Demokratie lebt und wählt, der weiß auch ganz genau, dass so ziemlich alles Verhandlungsmasse sein kann und dass dies pure Notwendigkeit ist, denn ohne Regierung isses ganz schlecht. Klar ist aber auch, dass jede Partei zusehen muss und wird, sich innerhalb einer Koalition irgendwie wiederzufinden.
Diesmal ist es besonders knifflig, weil drei Parteien koalieren wollen, deren Programme in Teilen krass gegensätzlich sind. Daran hätte auch eine "Kennzeichnungspflicht" nichts geändert.