In Kommentarbereichen deutscher Medien erhalten die eher wenigen Latino-Berichte oft sehr viele Beiträge. Inhaltlich sind sie lechts wie rinks oft geprägt von
a) absolut manichäische Perspektiven frei nach dem Motto "ist doch normal: Bei Nscho-tschi und Winetou war doch auch klar, wer die Guten und wer die Bösen waren".
b) Inkompetenz. Es gibt in deutschen Medien sehr wenig ausgewogene Berichte zu Lateinamerika. Das Thema erfordert eine gewisse Einarbeitung, um Nachrichten halbwegs einordnen zu können. Kulturell ist Lateinamerika in vielen Punkten ähnlich zu Europa, aber in anderen halt doch wieder verschieden. Die Geschichte ist sehr verschieden.
c) Lateinamerika selbst hat ein faked news Problem. Zumindest eine wichtige Politsendung Chiles hat jetzt Freitag einen 20 minütigen faked news Bereich eingerichtet, in dem Experten die wichtigsten faked news der vergangenen Woche von Experten besprechen lassen.
d) das Internet inklusive dem bekannten Buchhändler ermöglichen einen gewaltigen Zugriff auf den lateinamerikanischen Diskurs über Politik.
Frischgebackene Bücher etwa zu dem Oktoberaufstand erscheinen beim bekannten Internetbuchhändler 4 Tage nach dem Verkaufsstart in Chile... sie kosten übrigens in Deutschland 6,74 Euro als ebook, in Chile 17 Euro als Printbuch.
Um dieses Angebot wirklich nutzen zu können, muss man irgendwann im Leben die Fremdsprache Spanisch gelernt haben ... und mit der Zeit ausreichend mit Geschichte, Kultur, etc. auseinandergesetzt haben, um ein Verständnis zu den Dingen haben, die da referenziert werden.
Ich werde mir das im Artikel genannte Nicaragua-Buch kaufen, weil der Typ hat sich Jahrzehnte mit Nicaragua auseinandergesetzt. Und genau das verspricht Spannung.
Die sachliche Beschäftigung mit Chile hat mein politisches Denken in jedem Fall beeinflusst. Ich hätte sicher in den letzten Jahren nicht so oft SPD gewählt... und die brauchen wirklich Stimmen.
Auch wenn ich steuerlich und krankenkasslich ordentlich zur Kasse gebeten werde, so ein Sozialsystem ist halt schon sehr, sehr, sehr wichtig. Das habe ich im Wunderland des Neoliberalismus auch auf die harte Tour gelernt.
Ich schätze wohl auch den Wert der EU als supranationalen Ordnungsrahmen höher ein. In Lateinamerika sind Integrationsbestrebungen oft ideologisch exkludierend und kurzlebig. Mag imperialistisch klingen, aber die aktive Anti-Korruptions-Politik der EU ist gerade für die neueren Demokratien in Osteuropa eher ein feature als ein bug. Die ständigen und oft unglaublichen Korruptionsskandale in Lateinamerika besitzen zwar einen gewissen Unterhaltungswert, schwächen aber die Gesellschaften sehr.
Einige Leute in Europa scheinen von Lateinamerika bewußtseinssprengende Innovationen erwarten. Ich nicht. Aber ich mag es. Und irgendwann wird alles gut.