Eine Kanone schießt auf einer flachen Bahn. Das heißt nicht, dass sie einfach geradeaus schießt. Dafür sorgen schon Erdkrümmung und Gravitation. Selbst beim Gewehr musste man das beim Visier mit Kimme und Korn berücksichtigen. Eine Kanone schießt trotzdem kein Steilfeuer, und schon gar nicht wie eine Flak. Kanonen schießen i.d.R. in einem Anstellwinkel bis max. 30 Grad, Haubitzen haben einen höheren Anstellwinkel bis 60 Grad und teilweise mehr, Granatwerfer etc. schießen richtiges Steilfeuer. Der Autor hatte Recht mit seiner Behauptung. Kanonen haben i.d.R. längere Rohre und damit eine höhere v0 (Startgeschwindigkeit der Geschosse). Kanonen werden im "Direktbeschuss" verwendet, "Haubitzen im "Indirektbeschuss". Bei großen Reichweiten würde ich aber behaupten, dass diese auch eine Art Indirektbeschuss darstellen. Inwieweit auf diese Entfernung Ziele getroffen werden, ist auch von der verwendeten Rechentechnik abhängig. Aber wenn man Berichte liest, können moderne Artilleriesysteme auf 40 km Entfernung Ziele bis auf 2-3 Meter genau treffen.
Und klar, gibt es Systeme, welche bestimmen können, von wo aus der Beschuss kam, und Gegenbeschuss steuern. Aber: erstmal gibt es davon nur wenige Systeme, auf 1200 km Frontlänge definitiv zu wenige (auf beiden Seiten). Zweitens schießen nur wenige westliche Geschütze 40 km weit und stehen auch nicht gleich an der Frontlinie, sondern meist 5-10 km im Hinterland. D.h. Ziele, die mehr als 30 km von der Front entfernt stehen, lassen sich so nicht erreichen. Himars schaffen 80 km, die Wirkung ist dank elektronischer Kriegsführung allerdings eingeschränkt. Außerdem gilt für Hilmars das Gleiche: zu wenige, und Stationierung weit hinter der Frontlinie. Bleiben nur Raketen, von Flugzeugen abgeschossen, oder Drohnen. Drohnen fliegen meist auch nicht weiter als 20 km, und die Ausnahmen, die weiter fliegen können, fliegen auch relativ langsam. Sollte die Kanone 70 km weit schießen, steht sie vielleicht 60 km von der Frontlinie entfernt. Normalerweise schießen SFL ein paar Schuss und wechseln den Standort. Eine Drohne, sollte sie sofort abfliegen und superschnell sein (100 km/h), bräuchte bis zum Ziel trotzdem 40 Minuten. (bei optimalen Bedingungen) Und der Einsatz von Flugzeugen ist auch eher limitiert. Der Einsatz in Frontnähe ist hochgefährlich, weitreichende Raketen sind wenige vorhanden.
Es ist immer möglich, unter günstigen Umständen einen Gegner zu zerstören. Doch die Wahrscheinlichkeit ist geringer als viele denken. Nicht umsonst setzen Ukrainer und Russen auch heute noch Panzer ein, trotz Drohnen, Artillerie und RPG und Javelin. Wenn man Pech hat, hat der Gegner genau in diesem Moment an dieser Stelle diese Abwehrwaffen zur Hand, wenn nicht, hat man alles richtig gemacht.
Übrigens berichtete gestern Oberst Reisner bei ntv über einen fast nuklearen Einsatz durch die Russen Ende 2022 bei Cherson. Wir erinnern uns: die Russen saßen bei Cherson auf der anderen Seite des Dnepr. Die Ukrainer zerstörten jedoch mit Hilmars u.a. alle Brücken und Behelfsbrücken über diesen Fluss, so dass Russland seine Logistik auf der Cherson-Seite des Dnepr nicht aufrechterhalten konnte. Wäre der Rückzug der Russen über den Dnepr arg in Bedrängnis geraten, hätten die Russen Atomwaffen eingesetzt. Laut Oberst Reisner gab es damals heftige Diplomatie zwischen USA, Russland, China, Indien, Ukraine und weiß wer noch. Es gibt inzwischen wohl sogar veröffentlichte schriftliche Aufzeichnungen hiervon. Und Oberst Reisner schätze ich als vertrauenswürdig ein. Wenn er dies so behauptet, dann wird dies stimmen.
Und seitdem sind die Russen ja auch nie wieder in größere Bedrängnis geraten. Weder die gelieferten Panzer noch die F-16 noch Angriffe auf Kursk waren Gamechanger. Dadurch fühlten sich die Russen auch nicht in die Enge getrieben und zum Atomwaffeneinsatz genötigt. Das bedeutet jedoch nicht, dass sie diese in schwierigen Momenten nicht doch einsetzen würden. Aber nun sind die Russen auf dem langsamen, aber kontinuierlichen Vormarsch. Im Gegenteil: in Kursk haben die Ukrainer mit ihren besten Truppen bis auf Sudscha mit 6000 Einwohnern nur kleinere Dörfer erobert, nix Kriegsrelevantes. Dafür haben sie die Frontlinie um über 100 weitere km verlängert und ihre besten Truppen auch wertvolles Equipment verloren. Und diese Truppen fehlten, um die russischen Truppen im südlichen Donbass zu stoppen. Außerdem ist der Beschuss durch russische Artillerie in Kursk einfacher, da das von den Ukrainern eroberte Gebiet weit ins russische Gebiet ragt und für die Ukrainer zu gefährlich ist, Patriot, Hilmars etc. in diesen "Halbkessel" zu stationieren, da der Halbkessel nur etwa 30 km groß war. Und wenn man bedenkt, wie wenige Soldaten an der Front sind, macht sich jeder km bemerkbar. Die Ukrainer haben nach Schätzungen ja 500.000 Soldaten an der Front. Zieht man Etappe, Versorgung, Unterstützungskräfte, Rotation, Reserven, Drohnen etc. ab, sind vermutlich nur 1/3 dieser Soldaten direkt an der Frontlinie im Einsatz. Sagen wir 180.000 Soldaten an 1.200 km Frontlänge. Wenn man noch anschaut, ist die Front ja nicht gerade, sondern mit Ausbuchtungen auf beiden Seiten, mit Städten und Dörfern etc. belegt. Grob gesagt kommt alle zehn Meter ein Soldat. Daher gelingen beiden Seiten auch immer wieder Durchbrüche. Aber ich weiche vom Thema ab. Weitreichende Artillerie ist nie vom Nachteil für eine Kriegspartei und wird auch bei gut geführtem Einsatz selten zerstört. Und wir standen bereits kurz vor einem realen Kernwaffenszenario. (siehe Oberst Reisner) Daher waren Biden und Scholz auch so vorsichtig bei der Aufrüstung der Ukraine mit modernen Waffensystemen. Man testete, was für den Russen eine echte Schmerzgrenze bedeutete. Glücklicherweise auch für uns ist das Szenario bislang nicht eingetreten. Im Klartext aber auch: auf dem Schlachtfeld wird der Russe keine große Niederlage hinnehmen. Ansonsten kommen Atomwaffen zum Einsatz.