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9 Beiträge seit 10.11.2014

Re: PS: Folgekosten nicht nachhaltiger Nutzung? Beispiel

TomGard schrieb am 10. November 2014 21:41

> ... "Nachhaltigkeit" beginnt, wo der Ökonom anfängt
> zu berechnen, ob, inwieweit, zu welchen MARKTbedingungen sich eine
> intensive Nutzung "rechnet", also Erträge abwirft, die Aufwände der
> Ressourcenschonung kompensieren. 

Ganz vielen Dank für Ihre Erläuterungen. Jetzt verstehe ich besser,
was der Kollege/Kollegin vielleicht meinte. 

Ich nehme an, mit "Marktbedingungen" sind kapitalistische
Marktbedingungen gemeint? Bitte korrigieren sie mich, aber soweit ich
weiß bezieht sich die Idee des kapitalistischen Wirtschaftssystems
auf frei handelbare Güter, die für jeden Marktteilnehmer theoretisch
gleichermaßen nutzbar und verfügbar sind. 
Ich möchte darauf hinweisen, dass dies für viele natürliche
Ressourcen, die nun einmal Grundbedingung unserer Existenz sind,
nicht gilt.

Ausserdem möchte ich fragen, ob der Begriff "Folgekosten" bereits in
den "Marktbedingungen" enthalten ist?

Lassen Sie mich an einem kleinen Beispiel verdeutlichen was ich mit
Folgekosten meine:(Ich bitte einige Zuspitzungen und die
Vernachlässigung gesetzlicher Regelungen in Deutschland zu
entschuldigen, es ist ein grobes Beispiel.)

Nehmen wir einmal an, sie erben im Süden Deutschlands ein Stückchen
Hangwald in einem kleinen Tal mit Bächlein, idyllisch, hochwertiger
Buchen-Eichenmischwald, schlagfertig. 

Sie haben die Option, diesen Laubmischwald nun nachhaltig zu
bewirtschaften, indem Sie nur so viel Bäume pro Jahr herausschlagen,
wie ungefähr nachwächst. Das bedeutet Einzelstammentnahme, extensive
Holznutzung, die Arbeitskosten sind relativ zum Holzerlös relativ
hoch aber sie haben über die Jahre hinweg eine konstante Einnahme.

Als zweites hätten Sie (theoretisch gesehen) die Option, das gesamte
hochwertige Laubholz mit einem Vollernter und anderem schweren Gerät
in kurzer Zeit komplett abzuernten. Die Verwendung der schwerem
Maschinen ist zwar recht teuer aber Sie brauchen sie nur wenige Tage
und Sie ziehen relativ hohen Gewinn aus Ihrem Laubholz. Als Nachwuchs
planen Sie schnellwüchsige Nadelbäume, Fichten oder Douglasien. Die
bringen zwar weniger Gewinn als hochwertiges Laubholz, wachsen aber
schneller.   

Nun warten wir einige Monate.

- Bei Option Zwei werden vermutlich als erstes der Forellenzüchter
und der örtliche Anglerverein bei Ihnen auf der Matte stehen. 

Durch die Waldbeschattung blieb das Wasser des Baches in ihrem Wald
kühl und sauber, ideal für die Forellenzucht einige 100 m unterhalb
ihres Waldstückes. Durch die fehlende Waldbeschattung erwärmt sich
das Bachwasser und ist für Forellenzucht nicht mehr brauchbar. Der
aufgewühlte Waldboden wird in den Bach gespült, das Gewässer ist
nicht mehr klar sondern trübe und Algenwuchs setzt ein. Für Forellen
und hochwertige Anglerfische taugt es nicht mehr.

Der Forellenzüchter möchte also Schadensersatz und Verdienstausgleich
für seine eingegangene Forellenzucht, der Anglerverein will
Schadensersatz für die Jungfische, die sie vergeblich ausgesetzt
haben.

- Als nächstes steht bei Option 2 vermutlich nach 2 Jahren die
Gemeindeverwaltung bei Ihnen auf der Matte.

Die Gemeinde hatte in den Bachwiesen unterhalb ihres Waldes
Trinkwasserbrunnen eingerichtet. Durch den Kahlschlag kann der Wald
seine Flächenfunktion zur Niederschlagsversickerung und als
Zwischenspeicher für Bodenwasser nicht mehr erfüllen. Die meisten
Niederschläge des Tals werden von Baumflächen nicht mehr gebremst
und laufen oberirdisch schnell ab, statt im Boden zu versickern. Der
Grundwasserspiegel des Gebietes sinkt, die Gemeinde sieht ihre lokale
Trinkwasserversorgung in Gefahr.

- Achja, der Katastrophenschutz wird vielleicht auch noch irgendwann
bei Ihnen vorstellig. Durch seine hohe Verdunstungsrate hatte der
Wald ein regulierende Wirkung auf das sommerliche Lokalklima. An den
nun kahlen Hängen heizt sich im Sommer die Luft stark auf, steigt
nach oben, lokale Gewitter mit Starkregenereignissen und
Überschwemmungen sind nun häufiger. Man bittet Sie, sich angemessen
an Dammschutzbauten für das Dorf unterhalb ihres Waldtales zu
beteiligen. 

- Der örtliche Bauerverband ist vielleicht auch nicht erbaut, dass es
aufgrund der häufigeren Gewitter mit lokalem Starkregen und Hagel zu
mehr Ernteausfällen kommt.

- Der örtliche Jägerverband ist ausserdem unglücklich darüber, dass
ihrem Jagdwild jetzt ein wichtiges Rückzugsgebiet fehlt und aus
den Jagdrevieren, in den den ihr Wald lag, abgewandert ist. 

- Dass der örtliche Naturschutzverein unglücklich ist wegen des
Rückschlags bei ihren Artenschutzprojekten und über den Verlust an
Biodiversität durch den Kahlschlag an geeigneten Nistbäumen für
Raubvögel, Eulen, Fledermäuse usw. klagt, erwähne ich hier nur noch
kurz.

- Weil nun die Bussarde, Habichte und Baumfalken fehlen, klagen die
örtlichen Obstbauern über höhere Schäden an ihren Obst- und
Weinpflanzungen durch mehr Elstern, Krähen und Tauben.

Frage: Wie will man die Funktionen eines nachhaltig bewirtschafteten
Waldes, als lokaler Grundwasserspeicher, als lokaler Klimaregulator,
als Bindeglied des lokales Gewässersystems, als
Jagdwildrückzugsgebiet, als Fischlaichgebiet, als Biodiversitätspool
usw. nach kapitalistischen "Marktbedingungen" bewerten?
Wie will man die Folgekosten nicht nachhaltiger Bewirtschaftung nach
"Marktbedingungen" berechnen und wer soll diese zahlen? Der
Waldbesitzer?
Das geht mMn nicht. 

Es sollte klarwerden: All dieses Funktionen eines Waldes (oder eines
Sees, eines Mangrovensumpfes, eines Flussdeltas) sind
"Lebensbedingungen", die wir Menschen als Grundlage benötigen, um in
einem bestimmten Gebiet (hier: in Mitteleuropa) eine stabile
menschliche Siedlungs-Population überhaupt erst aufbauen zu können.
Erst wenn diese Lebensbedingungen nachhaltig gesichert sind, kann der
Überschuss an freien Gütern in einem kapitalistischen Warensystem
gehandelt werden.

Meiner Meinung nach taugt die Berechnung nach kapitalistischen
"Marktbedingungen" absolut nicht für die nachhaltige Bewirtschaftung
grundlegender Umweltressourcen. Ich bin kein Ökonom und weder
Kapitalist noch Kommunist, ich weiß nur, dass das kapitalistische
Wirtschaftsystem bzw. das jetztige Geld-Wirtschaftssystem wichtige
Parameter der menschlichen Lebensgrundlagen auf diesem Planeten nicht
berücksichtigt.

Entschuldigen Sie bitte, dass ich so weit vom Thema abschweifte.
Letztlich ist es doch so, dass wir Menschen durch unsere enorme
Fähigkeit zur Selbstreflexion und Vorausplanung in der Lage sind, uns
als menschliche Population weitgehend der "evolutiven Kontrolle"
durch natürliche Selektionsmechanismen zu entziehen. Warum sollen wir
uns da einreden lassen, dass ein konkurrenzbasiertes
Wirtschaftssystem quasi naturgegeben ist?


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