csitte schrieb am 20. April 2012 08:33
> Queru schrieb am 19. April 2012 17:09
> [...]
>
> > Na ja - nach meinem Kenntnisstand dürfte "Verfolgung" wohl doch etwas
> > überzogen ausgedrückt sein.
> >
> > Dass man die Säkularität in diesen Staaten ernst nahm, und damit die
> > Befindlichkeiten der religiösen Eiferer verletzte, sollte es wohl
> > eher treffen. Zumal gerade die von Dir angesprochene UdSSR mit allen
> > drei "Weltreligionen" geschlagen war und dann auch noch die
> > orthodoxen Sektierer der Christen am Hals hatte.
> >
> > Also unterdrückt im Sinne von: "Sich nicht den eigenen Ansprüchen
> > gemäß entfalten zu können" *JA*
> >
> Die UdSSR existierte von 1917-1990. In der Zeit vor dem 2. Weltkrieg
> waren die Priester durch Verfolgung, Inhaftierung und Hinrichtung
> bedroht und ihre Zahl nahm von 200.000 auf 50.000 ab.
> Nach dem Überfall Hitlerdeutschlands auf die SU wurden die
> Repressionen reduziert.
>
> Quelle:
> http://de.wikipedia.org/wiki/Christenverfolgung#Sowjetunion
>
Ebenda, und sogar gleich am Anfang:
"Die Kirche war in Russland sehr eng mit dem Zarismus verbunden. Mit
der Oktoberrevolution trat ein grundlegender Paradigmenwechsel ein:
Die alten Mächte von Klerus, Feudaladel und Staat wurden entmachtet.
Hinzu kam die Religionskritik des Marxismus, die jede Religion als
zum „Absterben“ prädestinierten Stützpfeiler der Klassengesellschaft
ansah.
Das orthodoxe Christentum war davon primär betroffen. Die Bolschewiki
trennten rigoros Staat und Kirche, schafften alle konfessionellen
Vorrechte ab, verboten den Religionsunterricht an Schulen, lösten die
Klöster und Parochien auf. Entgegen der Theorie warteten sie dann
aber nicht, bis die Religion mit der Veränderung der sozialen
Verhältnisse von selbst verschwand, sondern ergriffen schon im
Verlauf des russischen Bürgerkriegs (1917–1920) Maßnahmen, denen
zahlreiche Priester zum Opfer fielen: Diese erhielten als
„Nichtarbeiter“ keine Lebensmittelkarten oder wurden als
„Konterrevolutionäre“ ohne Verfahren getötet oder verbannt, was einem
Todesurteil gleichkam.
Diese Verfolgung ergab sich oft spontan vor Ort ohne zentrale
Direktive. Doch ab 1920 erklärte die Partei außerdem alle
Bischofstätigkeiten für illegal: Nur die Pfarreien blieben bestehen.
Zeitweise wurden sogar Sekten, Freikirchen und die sowjetfreundliche
„lebendige Kirche“ staatlich gefördert, um die orthodoxe Kirche zu
zerstören. Diese Abspaltung konnte sich trotzdem nicht lange halten.
1922 wurden die Kirchenschätze landesweit beschlagnahmt. Ein Teil des
orthodoxen Klerus wehrte sich dagegen. Exilrussen forderten 1921 in
Karlowitz und 1922 in Genua die Wiederherstellung der Monarchie in
Russland und drängten die Europäer zu einem Kreuzzug gegen die
Bolschewiki. Darauf reagierten diese mit einem Beschluss, die Massen
aktiv umzuerziehen, um ihr religiöses Bewusstsein zu ersetzen."
Nehmen wir nur einmal den letzten Absatz. Und sehen wir auch darüber
hinweg, dass der Artikel doch sehr tendenziös verfasst ist. Immerhin
erfahren wir, dass von den Exilrussen bereits 1921 in Karlowitz die
Wiederherstellung der Monarchie und ein "Kreuzzug", um dies
umzusetzen, gefordert wurde.
Damit steht die Kirche ganz offen als Feind des jungen Staates - als
Opponent - auf dem Plan. Ob die beschlagnahme der Kirchenschätze vor
oder nach Genua stattfand bleibt der Artikel schuldig. Vermutlich war
aber die Beschlagnahme Reaktion auf Genua.
Dass der Klerus in Russland eine starke Machtposition inne hatte und
nach der Oktoberrevolution den Verlust der Privilegien nicht so recht
verschmerzen konnte, ist dem Artikel durchaus zu entnehmen. Was dem
Artikel nicht so recht zu entnehmen ist, das ist die Tatsache, dass
der Klerus offen und subversiv gegen die neuen Verhältnisse vorging.
Wahre Säkularität ist halt sehr schwer hinnehmbar für Gläubige jeder
Couleur.
Wobei dieser Vorwurf nicht die "Schäfchen", sondern vielmehr ihre
Regisseure - also das führende Personal - trifft.
> Deine Sprache - Verfolgung in Anführungszeichen, religiöse Eiferer,
> mit Weltreligionen geschlagen, orthodoxe Sektierer - lässt eine tiefe
> Abneigung alles Religiösen gegenüber durchblicken, die eine
> realistische Beurteilung der Geschichte erschwert.
Ich muss ja nicht zwangsläufig Deine religiös vernebelte Sichtweise
teilen. Und was bitte sollte an "orthodoxen Sektierern" falsch sein?
Die Russisch-Orthodoxe Kirche hat ihren eigenen Kalender, um nur
einen Punkt zu nennen. Sie hebt sich in ihren Ansichten deutlich vom
katholischen "Mainstream" ab. Für mich zumindest hat das schon etwas
sektenhaftes.
Und ja, ein säkularer Staat ist wahrhaft geschlagen, wenn auf seinem
Gebiet die drei großen monotheistischen Weltregelionen praktiziert
werden. Das sind zwangsläufig drei große innere Feinde.
Und diese Erkenntnis erschwert keineswegs eine realistische
Einschätzung - ein konfessionell getrübter Blick dagegen schon.
Gruß
Queru
> Queru schrieb am 19. April 2012 17:09
> [...]
>
> > Na ja - nach meinem Kenntnisstand dürfte "Verfolgung" wohl doch etwas
> > überzogen ausgedrückt sein.
> >
> > Dass man die Säkularität in diesen Staaten ernst nahm, und damit die
> > Befindlichkeiten der religiösen Eiferer verletzte, sollte es wohl
> > eher treffen. Zumal gerade die von Dir angesprochene UdSSR mit allen
> > drei "Weltreligionen" geschlagen war und dann auch noch die
> > orthodoxen Sektierer der Christen am Hals hatte.
> >
> > Also unterdrückt im Sinne von: "Sich nicht den eigenen Ansprüchen
> > gemäß entfalten zu können" *JA*
> >
> Die UdSSR existierte von 1917-1990. In der Zeit vor dem 2. Weltkrieg
> waren die Priester durch Verfolgung, Inhaftierung und Hinrichtung
> bedroht und ihre Zahl nahm von 200.000 auf 50.000 ab.
> Nach dem Überfall Hitlerdeutschlands auf die SU wurden die
> Repressionen reduziert.
>
> Quelle:
> http://de.wikipedia.org/wiki/Christenverfolgung#Sowjetunion
>
Ebenda, und sogar gleich am Anfang:
"Die Kirche war in Russland sehr eng mit dem Zarismus verbunden. Mit
der Oktoberrevolution trat ein grundlegender Paradigmenwechsel ein:
Die alten Mächte von Klerus, Feudaladel und Staat wurden entmachtet.
Hinzu kam die Religionskritik des Marxismus, die jede Religion als
zum „Absterben“ prädestinierten Stützpfeiler der Klassengesellschaft
ansah.
Das orthodoxe Christentum war davon primär betroffen. Die Bolschewiki
trennten rigoros Staat und Kirche, schafften alle konfessionellen
Vorrechte ab, verboten den Religionsunterricht an Schulen, lösten die
Klöster und Parochien auf. Entgegen der Theorie warteten sie dann
aber nicht, bis die Religion mit der Veränderung der sozialen
Verhältnisse von selbst verschwand, sondern ergriffen schon im
Verlauf des russischen Bürgerkriegs (1917–1920) Maßnahmen, denen
zahlreiche Priester zum Opfer fielen: Diese erhielten als
„Nichtarbeiter“ keine Lebensmittelkarten oder wurden als
„Konterrevolutionäre“ ohne Verfahren getötet oder verbannt, was einem
Todesurteil gleichkam.
Diese Verfolgung ergab sich oft spontan vor Ort ohne zentrale
Direktive. Doch ab 1920 erklärte die Partei außerdem alle
Bischofstätigkeiten für illegal: Nur die Pfarreien blieben bestehen.
Zeitweise wurden sogar Sekten, Freikirchen und die sowjetfreundliche
„lebendige Kirche“ staatlich gefördert, um die orthodoxe Kirche zu
zerstören. Diese Abspaltung konnte sich trotzdem nicht lange halten.
1922 wurden die Kirchenschätze landesweit beschlagnahmt. Ein Teil des
orthodoxen Klerus wehrte sich dagegen. Exilrussen forderten 1921 in
Karlowitz und 1922 in Genua die Wiederherstellung der Monarchie in
Russland und drängten die Europäer zu einem Kreuzzug gegen die
Bolschewiki. Darauf reagierten diese mit einem Beschluss, die Massen
aktiv umzuerziehen, um ihr religiöses Bewusstsein zu ersetzen."
Nehmen wir nur einmal den letzten Absatz. Und sehen wir auch darüber
hinweg, dass der Artikel doch sehr tendenziös verfasst ist. Immerhin
erfahren wir, dass von den Exilrussen bereits 1921 in Karlowitz die
Wiederherstellung der Monarchie und ein "Kreuzzug", um dies
umzusetzen, gefordert wurde.
Damit steht die Kirche ganz offen als Feind des jungen Staates - als
Opponent - auf dem Plan. Ob die beschlagnahme der Kirchenschätze vor
oder nach Genua stattfand bleibt der Artikel schuldig. Vermutlich war
aber die Beschlagnahme Reaktion auf Genua.
Dass der Klerus in Russland eine starke Machtposition inne hatte und
nach der Oktoberrevolution den Verlust der Privilegien nicht so recht
verschmerzen konnte, ist dem Artikel durchaus zu entnehmen. Was dem
Artikel nicht so recht zu entnehmen ist, das ist die Tatsache, dass
der Klerus offen und subversiv gegen die neuen Verhältnisse vorging.
Wahre Säkularität ist halt sehr schwer hinnehmbar für Gläubige jeder
Couleur.
Wobei dieser Vorwurf nicht die "Schäfchen", sondern vielmehr ihre
Regisseure - also das führende Personal - trifft.
> Deine Sprache - Verfolgung in Anführungszeichen, religiöse Eiferer,
> mit Weltreligionen geschlagen, orthodoxe Sektierer - lässt eine tiefe
> Abneigung alles Religiösen gegenüber durchblicken, die eine
> realistische Beurteilung der Geschichte erschwert.
Ich muss ja nicht zwangsläufig Deine religiös vernebelte Sichtweise
teilen. Und was bitte sollte an "orthodoxen Sektierern" falsch sein?
Die Russisch-Orthodoxe Kirche hat ihren eigenen Kalender, um nur
einen Punkt zu nennen. Sie hebt sich in ihren Ansichten deutlich vom
katholischen "Mainstream" ab. Für mich zumindest hat das schon etwas
sektenhaftes.
Und ja, ein säkularer Staat ist wahrhaft geschlagen, wenn auf seinem
Gebiet die drei großen monotheistischen Weltregelionen praktiziert
werden. Das sind zwangsläufig drei große innere Feinde.
Und diese Erkenntnis erschwert keineswegs eine realistische
Einschätzung - ein konfessionell getrübter Blick dagegen schon.
Gruß
Queru