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  • ent-täuschen

362 Beiträge seit 02.03.2011

Zum Begriff "Härte": hart - härter - am hartherzigsten?

Herr Nowak verwendet hier den Begriff "Härte" in einer ähnlichen Weise, die mir bereits in vielen Texten Thomas Panys hier auf Telepolis merkwürdig aufstieß.
"Härte" - welche Handlungen und Haltungen von Menschen werden damit sprachlich "ummantelt"? Welche Konsequenzen hat diese Art der Ummantelung? Wovon ist dieser sprachliche Duktus selbst Ausdruck?

Nicht allen diese Fragen gehe ich im folgenden nach. Es ist eher eine Annäherung an mein eigenes "irritiert-sein" was folgt.

Wie Herr Nowak zurecht schreibt war Angela Merkel das freundlich wirkende Aushängeschild einer kontinuierlich verschärften rassistischen Gesetzgebung und auch einer entsprechenden Praxis der in der Exekutive tätigen. (Über die massive Unterstützung durch die SPD, FDP und Teile der Grünen für diese Politik lasse ich mich jetzt nicht aus. Sie sollte aber stets mitgbedacht werden.)

Die Begriffe, die Herr Nowak zur Charakterisierung der "alten Härte" hier verwendet, wie beispielsweise "konsequente Abschiebung", sind ihrerseits bereits durchdrungen von der "normalisierenden" Diskursgestaltung im Sinne des unten von ihm zitierten Ansatzes von Jürgen Link.

Ich habe viel Zeit in meinem Leben damit verbracht, auch in Einzelfällen Menschen vor der Abschiebung aus diesem Land zu bewahren. ((Falls sich jemand fragt: Das übrigens ohne jedes Entgeld, obwohl ich selbst nicht viel Kohle habe. Soviel "Gutmenschentum" ist den meisten rechten Foristen hier wohl kaum vorstellbar. Aber so verhalten sich viele aus meinem (ex-)autonomen Bekanntenkreis. Soviel von mir zu den Themen 'Anti-Abschiebe-Industrie' und 'Juste-Milieu')).
Zum Beispiel unterstützte ich gemeinsam mit anderen einen jungen knapp 20 jährigen Mann, der im Alter von wenigen Monaten von seinen Eltern auf ihrer Flucht aus dem damals noch zu Serbien gehörenden Kosovo nach Deutschland gebracht und damit gerettet wurde.
Er war einen großen Teil seines Lebens als jugendlicher Heranwachsender in Deutschland von einer Abschiebung bedroht, da die Anerkennung seiner Eltern als asylberechtigt (oder mindestens aus "humanitären Gründen" bleibeberechtigt) von Behördenmitarbeiter*innen immer wieder aktiv bestritten wurde.
Was so etwas mit jungen Menschen macht, vermag sich meines Erachtens niemand vorzustellen, der das nicht irgendwie miterlebt hat.
Die quasi alltäglichen Ausgrenzungserfahrungen auch hierzulande, weil mensch die "falsche" Hautfarbe hat und zur "falschen" Ethnie gehört - er stammt aus einer Roma-Familie - taten ein übriges, um diesen jungen Mann schwer zu verunsichern.
Er wurde dann schließlich nach vielen Monaten intensiver Unterstützungsbemühungen durch uns von der Abschiebe-Industrie ins Kosovo "rückgeführt", wie Abschiebung verharmlosend auch oft bezeichnet wird. In ein Land, das er als Säugling verlassen hatte, und ihm völlig fremd war, nachdem er die ersten 2 Jahrzehnte seines Lebens hier in Deutschland gelebt hatte.

Was suggeriert denn der auch von Herrn Nowak verwendete Begriff der "konsequenten" Abschiebung?
Zum einen wird dem Handeln der Akteure etwas "logisches" versucht zuzuschreiben: "aus A folgt B".
Gleichzeitig haftet auch etwas "entschiedenes" dem Begriff an. "zwangsläufig" habe etwas gemacht werden müssen.
Das Wortgeklingel (nicht das meinige, sondern hier verstanden als die Assoziationen und impliziten Nebenbedeutungen zu einem verwendeten Begriff) wird aufgeboten um etwas zu maskieren, zu verbergen. Nämlich, dass es auch andere Handlungsmöglichkeiten gebe. Z.B. dafür Sorge zu tragen, dass dieser junge hierzulande sozialisierte Mensch auch hier bleiben kann, statt in ein Land abgeschoben zu werden, in dem er als Rom keine Perspektive hat.

Das Wörtchen "konsequent" hat die Funktion, die Akteure von den Folgen ihres Tuns zu entlasten.
Da muss dann nicht mehr gefragt werden, ob eine Handlung denn moralisch zu rechtfertigen ist, wenn sie denn als "konsequent" bezeichnet wird.

Hannah Arendt hatte es mal in der Auseinandersetzung mit Eichmanns Berufung auf den Kantschen Imperativ so formuliert: "Niemand hat das Recht zu gehorchen bei Kant". Siehe dazu den informativen Text von Gerald Krieghofer:
"Niemand hat das Recht zu gehorchen." Hannah Arendt (angeblich)
http://falschzitate.blogspot.com/2017/07/niemand-hat-das-recht-zu-gehorchen.html

In diese Richtung geht auch meine Kritik am Begriff "Härte".
Was mir zur Geschichte des Begriffs einfällt ist jenes berüchtigte Nazi-Motto "Zäh wie Leder; hart wie Kruppstahl; schnell wie ein Windhund."
Im Begriff "Härte" schwingt der Wunsch mit, menschlich-lebendiges - also eher weiches und verletzliches - in unbelebtes zu überführen, wie im zitierten Motto. Und genau dieser Transformationswunsch sollte uns hellhörig werden lassen.
Die Erzeugung von "harten", nicht gefühlsfähigen Menschen war Teil der nationalsozialistischen Erziehungsprogramme. Ich habe dazu an anderer Stelle mehr ausgeführt, was ich hier nicht wiederholen will. Wen das interessiert, lese bitte hier nach:
Nazis: arme Würstchen, die zwar halbwegs wissen, aber kaum spüren.
https://www.heise.de/forum/p-25343600/
und als Ergänzung
Weil das Nazisprache ist - Genug ist genug!
https://www.heise.de/forum/Telepolis/Kommentare/Kein-Sex-mit-Zecken-Aufkleber-im-Polizeifahrzeug/Weil-das-Nazisprache-ist-Genug-ist-genug/posting-24766252/show/

Wenn ich eben gleichsetzte: "hart" mit "nicht gefühlsfähig" mache ich damit eine grobe und gefährliche Vereinfachung.
Es geht nicht um ein entweder fühlen oder überhaupt nicht fühlen sondern um eine Art von "Immunisierungsstrategie".
Also darum, in sich bestimmte Gefühle möglichst frühzeitig bekämpfen zu lernen, bevor sie den Handlungen, die von eine*m erwartet werden - oder von denen mensch das glaubt - in die Quere kommen könnten. Und mensch dann wirklich mit dem scheinbaren Dilemma von eigenen moralischen Empfinden und erwarteter Handlung konfrontiert wäre.

Ich finde es zutiefst widerlich wie Politiker*innen vom Schlage Merkels und Kramp-Karrenbauers, Seehofers, Maas' und Konsorten sich der Humanität entledigen, um ihre Spielchen zu treiben.

Am Mittwoch gab's hier bei heise in den news einen krassen - die Realität recht ungeschminkt darstellenden - Artikel zu den "Segnungen" der schönen, neuen Grenzregime:
Border Security: Die neusten Standards der Sicherheitsindustrie
https://www.heise.de/newsticker/meldung/Border-Security-Die-neusten-Standards-der-Sicherheitsindustrie-4308630.html?seite=all
"Mit einem Paukenschlag stellte Szekelly Zoltan von der ungarischen Grenzpolizei die martialische Sicherung der ungarischen Grenze mit Robotern vor. Durch das Projekt "Roborder" würden bald Drohnen und andere unbemannte Flugträger die ungarischen Grenzen inspizieren. "Die Roboter werden nicht bewaffnet. Noch nicht", sagte er." schreibt Valerie Lux dort.

Unterdessen werden Fluchtbewegungen auch mit tatkräftiger Unterstützung deutscher Polizei- und Bundeswehrangehöriger weit ausserhalb der Grenzen des Schengen-Raums in praktisch allen afrikanischen Staaten nördlich des Äquators aktiv unterbunden. Die Menschen, die dabei auf der Strecke bleiben, werden nicht gezählt. Die Menschlichkeit auch nicht. Alle tun ja nur "ihre Pflicht", gelle? Soviel zum Ethik-Unterricht in Deutschland 2019 nach Christi Geburt (Sorry, bin in der Kindheit christlich sozialisierter Atheist und konnte nicht widerstehen.)

Die Vorgeschichte des moralischen An-Alphabetentums vieler liegt übrigens nicht nur in der spezifisch deutschen NS-Vergangeheit. Dazu gehören die Prozesse der neoliberalen Menschenprägung, die spätestens seit der "geistig-moralischen Wende" der Kohl-Genscher-Regierung hierzulande viele Verheerungen angrichtet hat.

@TP und @Peter Nowak: Danke für den Artikel!

ent-täuschen

PS: In der taz erschien ein Kommentar zu AKKs Flüchtlingspolitik, der manches ganz gut auf den Punkt bringt, bei andrem aber zu kurz springt. Hier wird von Ulrich Schulte das "Härte"-Konzept auch wenig reflektiert, aber stärker kritisiert.
"Madame Gnadenlos"
http://www.taz.de/Kommentar-AKK-und-Fluechtlingspolitik/!5572712/

edith fügte den Link zu "Weil das Nazisprache ist - Genug ist genug!" ein, um die Chance verstanden zu werden zu vergrößern und korrigierte dann noch den Typo in der Überschrift.

Das Posting wurde vom Benutzer editiert (14.02.2019 12:57).

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