Ich habe bereits Argentinien erwaehnt. Das Land ist immer wieder dafuer gut, krasse wirtschaftliche Fehlentwicklungen im Zeitraffer zu studieren. So auch im Gesundheitssektor.
Zuerst etwas Vorgeschichte: Es gibt (*) ein oeffentliches System, das jeder, egal welcher Nationalitaet oder in welchem Land er seinen Wohnsitz hat, oder was sein Leiden ist, gratis benutzen kann. Ohne hier auf Details einzugehen, fuehrt das zu einer Ueberlastung. Ausserdem ist das oeffentliche System schlecht finanziert, was die Situation verschlimmert. Viele Leute waehlen deshalb eine private Krankenkasse, sei es ueber per kollektiven Vertrag ueber Arbeitgeber bzw. Gewerkschaft (Obra Social) oder individuell (Prepaga). Dazu kommt noch fuer Rentner eine staatliche Krankenkasse (PAMI).
(*) Diese Grosszuegigkeit wird allerdings derzeit zurueckgebaut, weil sie schlicht nicht praktikabel ist.
Die privaten Krankenkassen werden ueber monatliche Beitraege finanziert. Ausserdem kann man natuerlich als Privatpatient seine Behandlungen selbst bezahlen - so man dazu im Ernstfall in der Lage ist. Die Beitraege der privaten Krankenkassen wurden bislang vom Staat strikt kontrolliert. Auf der Seite der Krankenkassen gab es eine Vereinigung (Union Argentina de Salud, UAS), die mit dem Staat verhandelte, und der Staat genehmigte dann alle paar Monate (*) fuer alle Krankenkassen geltende Erhoegungen.
(*) Bei zuletzt 250-290% Jahresinflation sind Preise in Argentinien recht dynamisch.
Ende 2023 wurde dann der liberale, sich selbst als Anarchokapitalisten bezeichnende Praesident Javier Milei gewaehlt. Seither macht Argentiniens Wirtschaft eine Rosskur durch, mit dem Ziel, die Inflation unter Kontrolle zu bringen, zu retten, was noch zu retten ist, und die Bedingungen fuer eine langfristige Erholung zu schaffen.
Besonders hart traf das die Rentner, die schon vorher kaum genug zum Ueberleben lassen, und deren Rentenerhoehungen nun weit hinter der Inflation zurueckblieben. Ausserdem wurde die Preiskontrolle der Krankenversicherungen aufgegeben, es herrscht also seit Ende 2023 in diesem Bereich ein freier Markt.
Der geneigte Leser wird schon ahnen, was dann geschah. Die Krankenkassen begannen, die Beitraege drastisch zu erhoehen, etwa um das Doppelte der jeweiligen Inflation. Das wiederholte sich Monat um Monat. Es wurden rasch Proteste laut. Viele Kunden gingen gegen die Preiserhoehungen vor Gericht. Die wurden oft in Sammelklagen kanalisiert, bis auch diese ueberliefen, und keine neuen Nebenklaeger akzeptierten. Also totales Chaos.
Viele Kunden wechselten zu einer billigeren Krankenkasse, oder stiegen ganz aus dem privaten System aus. Vielen Rentnern blieb keine Wahl, als letzteren Schritt zu waehlen.
Von all dem unbeeindruckt, erhoehten die Krankenkassen ihre Beitraege weiter. Auch Warnungen von der Regierung verhallten ungehoert.
Dem Irrsinn wurde dann schliesslich ein Riegel vorgeschoben. Dazu bediente sich die Regierung eines Kunstgriffs: an sich durften die Krankenversicherungen ihre Preise jetzt frei gestalten, wobei wohl niemand damit gerechnet hatte, dass das derart ausufern wuere. Allerdings begangen sie den fatalen Fehler, sich weiter ueber ihren Verband (UAS) zu organisieren. Frueher, als der Staat die Preise kontrollierte, war eine solche Koordination kein Problem. Nun, mit einem freien Markt, und dessen Regeln, sind solche Preisabsprachen dagegen so ziemlich das Illegalste, was Firmen tun koennen.
Die Krankenversicherungen waren also nicht nur drauf und dran, ihr eigenes Geschaeft - unter massiven Kollateralschaeden - zu zerstoeren, sondern sie sind auch mit beachtlicher Merkbefreiung in diese Falle gerannt. Die entsprechenden Verfahren laufen noch, aber die Regierung nahm sie schon zum Anlass, eine dem offiziellen Inflationsindex entsprechende Obergrenze, auf Basis der Beitraege vom Dezember 2023, zu verordnen, und ausserdem eine Rueckzahlung der ueberhoehten Beitraege einzuleiten (das ist noch in Entwicklung).
Offenbar reichte das, um die Krankenkassen aus ihrem Wahn zu wecken, und sie fuegten sich, ohne gross zu murren.
Haben wir ein Happy End ? Nicht ganz. Erstens sind die Beitraege weiter hoch, wegen der Inflation. Und es stellt sich die Frage, was mit denen geschieht, die ihre langjaehrigen Vertraege waehrend des Amoklaufs gekuendigt haben, die nun aber wieder zurueck moechten.
Hier sehen wir eine weitere Eigenheit von Krankenkassen, die einer rein marktwirschaftlichen Loesung entgegensteht: es besteht keineswegs freie Wahl unter konkurrierenden Angeboten. Das Modell ist eigentlich, dass man in jungen Jahren, wenn man i.R. wenig Gesundheitskosten verursacht, eine einem passende Krankenkasse sucht, und dann dort fuer den Rest seines Lebens bleibt, um dann auch im Alter, wenn man sie tatsaechlich braucht, Versicherungsschutz zu haben.
Wechselt man, werden in vielen Systemen saemtliche bis dahin angesammelte Leiden als Vorerkrankungen von den Leistungen ausgeschlossen, was einen solchen Wechsel in vielen Faellen praktisch unmoeglich bzw. ruinoes macht.
Dem koennte man entgegenwirken, indem das Ausschliessen von Vorerkrankungen generell untersagt ist. Sowas steht aber der Idee einer freien Angebotsgestaltung entgegen.
Wie man's dreht und wendet, eine Loesung zu finden, die den Anspruechen Aller einigermassen gerecht wird, ist ein schwieriges Thema.
- Werner