Eine weitere Frage an den Friedensfreund betrifft den Zerfall der Sowjetunion, den Putin für die größte geopolitische Katastrophe des 20. Jahrhunderts hält.
Kann der Autor nicht zwischen geopolitisch und national unterscheiden?
Was sich durch den ganzen Fragenkatalog zieht wie ein roter Faden ist das konsequente Ausblenden relevanter Interventionen von außen auf die vom Autor geschilderten Beziehungen zwischen ehemaligen Sowjetstaaten.
Putins "größte geopolitische Katastrophe" bezieht sich nicht auf die Auflösung der Sowjetunion, dann hätte er von nationaler Katastrophe gesprochen, sondern auf die geopolitischen Konsequenzen einer danach unipolaren Weltordnung mit einem dann ungebremsten Imperialisten an der Spitze. Die Ergebnisse kennen wir doch, anfangend mit dem ersten Irakkrieg, über Jugoslawien, Afghanistan, wieder Irak, Libyen, Syrien, Iran etc. wenn das nicht Katastrophen in Serie sind, was dann?
Von einer geopolitischen Katastrophe – egal welchen Ausmaßes – war überhaupt nicht die Rede, als Ende Dezember 1991 über dem Kreml die russische Fahne feierlich aufgezogen wurde.
Konnte ja auch gar nicht, weil sich die Rücksichtslosigkeit und deren Folgen mit der geopolitisch seitens der USA und Vasallen nach dem Wegfall der Sowjetunion vorgegangen wurde nicht angekündigt hatte.
Aber um auf die vom Autor benannten Beziehungen unter den ehemaligen Sowjetmitgliedern zurückzukommen, leider bleibt er die Antwort schuldig wo sich Russland oder die RF unkorrekt verhalten hätten gegenüber den ehemaligen Sowjetstaaten. Bei der Schuldenübernahme? Bei der Entscheidungsfreiheit über Austritt oder nicht? Wieder werden die Interventionen von außen, die dann zu Spannungen führten, NATO, Farbrevolutionen, politische Infiltration einfach ausgelassen. Als ob das keine Rolle gespielt hätte.
Eine dritte Frage an den deutschen Friedensfreund bezieht sich auf das außenpolitische Prinzip der Unverletzlichkeit von Staatsgrenzen.
Die Staatsgrenzen blieben unangetastet - bis Jugoslawien zerschlagen wurde und Serbien aufgeteilt. Und selbst nach diesem Sündenfall ließ Russland Staatsgrenzen unangetastet. Den Beleg liefert Georgien, als nach georgischer Aggression das Land entwaffnet wurde und dann zu seinem Ausgangszustand als souveräner Staat zurückkehren konnte. Wenn tatsächlich ein geografischer Ausbreitungsdrang Russlands bestehen würde/bestanden hätte, dann wäre Georgien doch, nach eigener Aggression, auf dem Serviertablett gewesen. Wurde nicht angenommen.
Warum der Autor auf Staatsgrenzen abhebt und nicht auf Souveränität wird klar wenn man sich vor Augen hält, dass er von den USA koordinierte (Obama O-Ton "We Brokered power transition deal in Ukraine") und von der EU unterstützte (sofortige Anerkennung der Putschregierung trotz der von Steinmeier Fabius und Sikorski ausgehandelten Vereinbarung) Regimechange ein klarer Eingriff in die durch das Budapester Memorandum geschützte Souveränität der Ukraine war und es ihm erlaubt wieder die Interventionen von außen, die zur Reaktion Russlands führten, einfach zu unterschlagen.
Abschließend sei auch noch auf den Anfang des Artikels eingegangen.
Wie hältst du es mit der Ukraine?
Auffallend nämlich ist, dass gegen die Ukraine vorgebrachten Vorwürfe schnell und ausreichend bei der Hand sind – das Land sei korrupt, Oligarchie herrsche dort, 2014 sei gegen den rechtmäßigen Staatspräsidenten geputscht worden, überhaupt sei das Land weit entfernt von den westlichen Standards für Demokratie und Rechtsstaatlichkeit, obendrein sei es mit der behaupteten nationalstaatlichen Existenz nicht weit her, es zudem ehemalige Sowjetrepublik, die folglich auch gegenüber Moskau besonderen Spielregeln zu folgen habe und von vornherein begrenzt sei in ihren außenpolitischen Optionen.
Da versteckt der Autor den verfassungswidrigen und wie oben bereits genannten von außen unterstützten Putsch in einem Gewirr von Attributen, die nie als sachliche Begründung, allenfalls als Beschreibung der dortigen Rahmenbedingungen, genannt wurden.
Im Grunde sind es wieder jene Stimmen, die bereits nach der Krim-Annexion 2014 eilfertig mit dem Argument operierten, die Halbinsel sei geschichtlich gesehen ohnehin russisch, jedenfalls niemals ukrainisch gewesen.
Wieder nennt er nur Rahmenattribute. Dass die dortige Bevölkerung, auch aufgrund ihrer Historie, lieber Teil Russlands als Teil der Ukraine sein wollte scheint für den Autor irrelevant zu sein. Nicht ein Gedanke dazu was die Menschen dort wollen und wo die Konfrontationslinien innerhalb der Ukraine verlaufen. Formalismus geht offenbar über Bevölkerungswunsch.
Und lange muss der Betrachter zurückblicken, will er einen zweiten Fall solch brachialer Gewalt einer großen europäischen Macht gegen das kleinere und militärisch unterlegene Nachbarland fixieren.
So sehr lange liegt die brachiale Abtrennung des Kosovo von Serbien doch gar nicht zurück.
Als Fazit bleibt: Ohne die Berücksichtigung aller relevanten Player, deren Motivation und Interventionen ist der Artikel nur Stückwerk und kann so auch keine Hilfe bei der Findung einer Lösung des Problems sein.