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Avatar von auf_der_hut
  • auf_der_hut

mehr als 1000 Beiträge seit 07.05.2008

Re: Möglicherweise der stärkste Spruch in diesem Jahr:

Ist er nicht.

Die vollständige Einnahme und das Halten einer Millionenstadt, die entschlossen verteidigt wird, ist eine militärische Mammutaufgabe. Da bringt die ganze überlegene Militärtechnik wenig, da geht es um Ortskenntnis und darum, welche Seite von der Bevölkerung unterstützt wird.. Da braucht es vor allem Soldaten, da könnten sich die 150.000 Mann schnell als zu wenig erweisen, wenn die an jeder Ecke in Häuserkämpfe gezwungen werden. Vermutlich könnte Selenskyi ziemlich lange mit den Russen Katz und Maus spielen und sich immer wieder mit Videobotschaften an sein Volk wenden.

Der ganze Plan, Selenskyi in Kiew zu verhaften und durch eine russische Marionette zu ersetzen ist doch komplett krank, erdacht in einer Kremlblase, die offensichtlich den Kontakt zur Realität verloren hat. Wer denkt sich so etwas aus? Das ist noch schlimmer als der berüchtigte "Regime Change" der Amerikaner, wo immerhin i.d.R. Diktatoren oder Taliban verjagt wurden. Hier soll ein demokratisch legitimierter, smarter Präsident durch eine russische Sprechpuppe ersetzt werden. Gibt es in Putins Umgebung denn niemanden mehr, der ihm sagt, dass das der sicherste Weg ist, ein (Bruder)-Volk geschlossen gegen sich aufzubringen? Haben die Russen allen Ernstes geglaubt, die Ukrainer wären ganz scharf darauf, endlich von ihnen "entnazifiziert" zu werden? Das waren die Deutschen nicht mal 1945.

Putin sollte seinen Volksrepubliken ein paar prestigeträchtige Gebietsgewinne verschaffen, das ist ein einigermaßen realistisches Ziel, damit kann er die "Spezialoperation" zuhause noch als Erfolg verkaufen. Das wird aber immer schwerer, je größer die Verluste werden. Ihm läuft jetzt ganz schnell die Zeit davon, insbesondere wenn zuhause noch die Wirtschaft einbricht, was sich bereits abzeichnet.

Dann sollten er sich endlich trauen, gemeinsam mit der Ukraine, dort echte, ergebnisoffene Wahlen unter internationaler Kontrolle durchzuführen. Wahrscheinlich werden schon russlandfreundliche Kräfte gewinnen, die werden allerdings kaum mit den jetzigen "Separatisten" identisch sein. Russland muss einfach akzeptieren, dass es keinen Anspruch auf eine ihm genehme Regierung in einem Nachbarland hat. Nach ein paar Jahren, wenn die Gebiete befriedet sind, könnte man das Referendum wiederholen und dann, einen entsprechenden Ausgang vorausgesetzt, könnte die Ukraine sie in eine wie auch immer geartete Autonomie entlassen.

Ich fürchte aber, dass Kiew das Schicksal Grosnys teilen wird. Die Stadt hat nur ein Zehntel der Größe von Kiew, trotzdem brauchten die Russen mit 70.000 Mann zwei Monate, um sie einzunehmen und konnten sich dann noch nicht einmal halten. Zwei Jahre später zogen sie zermürbt wie geprügelte Hunde ab und Tschetschenien wurde unabhängig. Die Stadt wurde durch wochenlangen Beschuss völlig verwüstet, 25.000 Menschen starben, überwiegend Zivilisten. Wenn man das auf Kiew hochrechnet packt einen das Grausen.

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