Was mir an der aktuellen Berichterstattung zum Ukraine Krieg auffällt, ist eine allgemeine Verrohung der Sprache.
Es werden „Prinzipien“ definiert, die bei näherem Hinsehen - wenn überhaupt, dann - nur auf die Feinde des Westens angewendet werden. Da wird menschliches Leid auf allen Seiten negiert zugunsten der Einhaltung ebendieser „Prinzipien“, da wird einem Waffen- und Militärfetisch gefrönt, der an längst vergangene - und so dachte ich – nie wiederkehrende Zeiten erinnert.
Meine Erschütterung darüber ist so groß, dass ich gar nicht weiß, womit ich beginnen soll. Daher nachfolgend lose Impressionen
1. Waffen sind toll
Mittlerweile wissen wir aus den Medien alles über die Spitzenprodukte der westlichen Waffenschmieden. Wir kennen die Überlegenheit der amerikanischen Mehrfachraketenwerfer, die Klasse der westlichen Panzer, wie den Leopard, wir wissen, dass die Ukraine zum Sieg eine moderne Luftwaffe mit F16 Kampfflugzeugen und Marschflugkörper benötigt, die ja den russischen so was von überlegen sind usw. usw.
Was vollkommen ausgeblendet wird, ist das Leid, das diese Waffen verursachen. Und jetzt komme mir jetzt nicht damit, dass russische Waffen auch Leid verursachen. Selbstverständlich tuen sie dies. Wenn aber mit Vorsatz ignoriert wird, dass Waffen (und Kriege) vorwiegend Leid, Tod, Verstümmlung und Hass verursachen, dann ist etwas Faul.
Und dieses dumpfe Gefühl in mir wird durch die Tatsache bestätigt, dass unsere Presse (und unsere Regierung) offenbar kein Problem mit dem Einsatz von Waffen haben, die per Definition des Kriegsrechts illegal sind – auch wenn diese Illegalität von unserer Führungsmacht negiert wird.
Die Ukraine / der Westen setzen im Ukraine Krieg nämlich Clusterbomben und Uranmunition ein – wie im übrigen schon seit Jahrzehnten in den anderen Kriegen des Westens auch. Zur Wirkung dieser Waffen und warum sie aus meiner Sicht illegal sind, lasse ich mich weiter unten aus.
Der Einsatz dieser Waffen wird für die Gebiete, in denen sie eingesetzt werden, jahrzehntelange Folgeschäden verursachen. Bisher wurden diese Waffen nur „fern der Heimat“ eingesetzt, in Vietnam, Laos, in Afghanistan, im Kosovo, im Irak etc. Jetzt ist es das erste mal, dass sie durch einen Staat im eigenen Land eingesetzt werden. Ohne Rücksicht auf die Folgeschäden für die „eigene“ Bevölkerung. Aber vielleicht ist die ukrainische Regierung mehr den bereits oben angedeuteten und weiter unten ausgeführten „Prinzipien“ des Westens verpflichtet...
Nun aber zur Uranmunition:
Uran ist nicht nur ein wesentlicher Rohstoff für den Bau von Atomwaffen, sondern auch ein Schwermetall mit einer hohen spezifischen Dichte. Geschosse aus Uran verfügen daher über eine deutlich höhere Durchschlagskraft, als solche aus z.B. Blei. Uranmunition wird durch den Westen mindestens seit dem Golfkrieg 1991 eingesetzt. Durch den Einsatz der Munition wird das beschossene Gebiet mit Uran verseucht. Beim Aufprall auf Ziele entwickelt sich uranhaltiger Feinstaub.
Beim Golfkrieg 1991 wurden ein paar Hundert Tonnen Uranmunition verschossen. Als der britische Journalist Robert Fisk Anfang 1998 mehrfach über die verstärkt auftretenden Krebserkrankungen im Irak und den Zusammenhang mit der Uranmunition berichtete, wurde er von der britischen Regierung und weiten Teilen der Presse angegriffen. Lord Gilbert verstieg sich im Independent dazu, dass es "logischerweise und erwiesenermaßen zwischen den Krebsfällen im Irak und dem Einsatz uranhaltiger Munition keinen Zusammenhang gäbe".
Leider war es so, dass sich darauf zahlreiche Menschen bei Herrn Fisk meldeten, die das Gegenteil beweisen konnten. So wies bereits am 21.04.1991 Paddy Bartholomeus von der britischen Atomenergiebehörde darauf hin, dass uranhaltige Munition Langzeitprobleme verursache, und er rein rechnerisch angesichts des Umfangs der verschossenen Munition von 500.000 zusätzlichen Krebstoten ausgehe.
Angehörige der britischen Armee wiesen Herrn Fisk auf umfangreiche Sicherheitsvorschriften hin, die bei Übungsschießen mir Uranmunition gelten: Alle Teile müssen eingesammelt werden, Staub soweit möglich abgeschieden und mit Beton versiegelt werden, auch werde alles gewaschen, wobei die festen Rückstände des dabei anfallenden Abwassers in Beton einzubinden seinen.
Und als letztes Beispiel: Am 21.3.1991 stellte ein Major Larson von den Los Alamos National Laboratory fest, dass uranhaltige Munition extrem umweltgefährdend sei. Daher bestehe die „Gefahr" dass die Öffentlichkeit dies erfahre und dass so diese Munition politisch unakzeptabel werde. Diese Ächtung gelte es, so Larson, so lange zu verhindern, bis eine gleich gute Munition mit weniger Langzeitgefährdung gefunden werde…
Wo setzte der Westen sonst noch Uranmunition ein: Im Kosovo wurden schon über 1.000 t verschossen, in Afghanistan mehrere 1.000 t, im Irakkrieg 2003 schon über 10.000 t. Für die Ukraine habe ich keine Zahlen.
Und zu Clusterbomben:
Clusterbomben werden von den USA seit den 70iger Jahren eingesetzt. Sie setzen eine Vielzahl kleinerer Sprengkörper frei, die auf eine große Fläche verteilt werden. Erstmals wurden sie in Laos getestet. Noch heute sterben in Laos zahlreiche Menschen an den Bomblets, auch nach offiziellem Kriegsende mussten bis zu 20.000 Tote pro Jahr durch Clusterbomben beklagt werden. In Vietnam warfen die US-Streitkräfte alleine 285 Mio. Clusterbomben CBU-24 ab, 7 für jeden Vietnamesen. Jede CBU-24 war mit 640 bzw. 670 BLU-26 Bomblets beladen, die jeweils 300 Stahlpellets enthielten. Je CBU-24 wurden daher fast 200.000 Stahlpellets mit hoher Geschwindigkeit an der Explosionsstelle der Bombe "verteilt". Neben dem 285 Mio. CBU-24 wurden – wenn auch in einem deutlich geringeren Umfang – weitere Clusterbomben in Vietnam abgeworfen.
Nun verbietet das Kriegsrecht – für unsere Regierung unglücklicherweise – den Einsatz von Waffen, die übermäßige Leiden verursachen oder unterschiedslos wirken können. Wer wollte aber bestreiten, dass Krebsfälle auch lange nach Ende eines Krieges oder Bomblets, die ebenfalls lange nach Ende eines Krieges explodieren, sowohl übermäßiges Leiden verursachen als auch unterschiedslos Militärs und Zivilisten töten und verstümmeln.
2. Es geht um Prinzipien, Opfer sind zweitrangig
Unisono wird behauptet, Verhandlungen seien nicht möglich, solange Russland sich nicht vollständig aus der Ukraine zurückziehe. Man könne aus prinzipiellen Gründen nicht zulassen, dass ein gewaltsames Verschieben von Grenzen auch nur ansatzweise akzeptiert werde. Ansonsten öffne man anderen Aggressoren Tür und Tor. Aggressoren, so wird behauptet, verstünden nur die Sprache der prinzipienfesten militärischen Verteidigung.
Das erinnert doch sehr an die Aussage von Frau Albrigth im Jahr 1996 über den Tod von mehr als 500.000 (irakischen) Kindern als Folge der Bombardierung von Kraft- und Wasserwerken in Verbindung mit den Sanktionen. Daher hatte die überwältigende Mehrheit der Iraker keinen Zugang mehr zu sauberem Trinkwasser (= biologische Kriegführung der MATO gegen den Irak). Schon Ende 1991 stellte ein Team der Harvard-Universität fest, dass als Folge der Zerstörung der Wasserwerke bereits 46.700 Kinder unter fünf Jahren gestorben seinen. Als am 12.5.1996 in „CBS 60 Minutes" die spätere US Außenministerin Frau Albrigth auf die 500.000 toten Kinder angesprochen wurde, sagte sie, ja, diese toten Kinder seien ein notwendiger Preis.
Mein Eindruck ist, dass der Preis immer dann notwendig ist, wenn er nur von Irakern, Russen und Ukrainern bezahlt werden muss.
Dabei wäre es doch einmal an der Zeit, z.B. folgende Aussage von Lew Tolstoi als moralische Richtschnur zu benutzen:
Es gibt ein untrügerliches Kennzeichen, das die Handlungen der Menschen in gute und böse scheidet: Vergrößert eine Handlung die Liebe und Einigkeit unter den Menschen, ist sie gut, erzeugt sie Feindschaft und Trennung, ist sie böse.
Zumal – und darauf weisen ja Menschen in den Leserbriefspalten der Medien permanent hin – der Westen in der Vergangenheit (und der Gegenwart) das Völker- und Kriegsrecht häufiger gebrochen hat. Ich nehme mal nur die letzten 25 Jahre: Die Kriege gegen Jugoslawien 1999 und den Irak 2003, der Regimechange in Libyen 2011, zahlreiche Umstürze / Putsche / Undercoveroperationen / Drohnenmorde in fremden Ländern bis zum heutigen Tag. Wenn der Westen / die NATO Täter sind, sind diese Prinzipien nicht so wichtig?
3. Russische Opfer
In unserer Presse und bei unserer Regierung fehlt jegliche Empathie gegenüber den russischen Kriegsopfern, außer sie lassen sich gegen „Putin“ instrumentalisieren. In unseren reißerischen Medien, vom Express über Bild, den Merkur hin zum Tagesspiegel wird von Russen-Soldaten, Russen—Panzern etc. geschrieben. Dies ist nicht nur abwertend, sondern für mich die erste Stufe, um russischen Soldaten ihr Menschsein abzusprechen.
Was mich daran am meisten stört ist, dass es in den Massenmedien niemanden gibt, der darauf hinweist. Wo ist der Presserat?
Ist es die Aufgabe der Medien, den unbedingten Siegeswillen der Bevölkerung zu wecken? Wo wir doch gar nicht Kriegspartei sind. Oder doch?
Wäre es nicht vielmehr an der Zeit, dass auch für die westlichen Medien das Selbstverständnis von Robert Fisk als Journalist gilt: „
[Ein Journalist] hat die Macht herauszufordern, ... insbesondere falls Regierung und Politik uns in den Krieg führen, falls sie entschieden haben, zu töten, so dass andere sterben werden.
“ Dies gilt meines Erachtens auch, falls die eigene Regierung nicht offiziell Krieg führt und falls es sich bei diesem Krieg um einen Verteidigungskrieg handelt. Wieder sei Robert Fisk zitiert: „
Krieg - selbst falls er legitimiert ist - bedeutet vorwiegend Leiden und Tod
.“
4. Seltsame Verbündete
Noch irritierender ist es zu sehen, dass rechtsradikale politischen Formationen der Ukraine vom Westen hofiert werden. Deren militärische Verbände werden in unseren Medien als Helden und Eliteeinheiten gefeiert.
Dass es sich dabei um rechtsradikale Nationalisten handelt – geschenkt. Schließlich sammeln sich Rechtsradikale gerne beim Militär, erst recht in Zeiten militärischer „Not“. Aber bei den Asow Brigaden handelt es sich um Nazis, die im russischen Einmarsch in die Ukraine das Werk jüdisch bolschewistischer Weltverschwörung gesehen haben (so konnte ich jedenfalls kurz nach dem russischen Einmarsch unserer Presse entnehmen). Zwar ist richtig, dass diese Herrschaften keinen großen Rückhalt in der ukrainischen Bevölkerung haben. Aber in der ukrainischen Regierung schon. So ist der ehemalige Botschafter der Ukraine, Herr Melnyk, ein bekennender Fan der hakenkreuzverherrlichenden Asow Truppen. Was unsere Presse nicht daran hindert, ihn als ehrlichen aber undiplomatischen Menschen mit dem Herzen am rechten Fleck zu feiern. Ich musste keine 5 sec. im Internet suchen, um zahlreiche positive Meldungen über Herrn Melnyk zu finden, z.B. die Tagesschau: „
Mitten im Krieg bleibt er der unermüdliche Mahner, der den Deutschen ins Gewissen redet
...“. Wie gesagt, ein Mahner der den Nazis wohlwollend gegenübersteht.
5. Machtpolitik - Russland muss besiegt werden
Aber man benötigt doch Verbündete, will man Russland endgültig besiegen. Oder, wie es Frau Baerbock schon im Mai 2022 formuliert hat: „Russland darf jahrelang nicht mehr auf die Beine kommen“. Warum? Mal ganz abgesehen davon, dass dadurch kein Mensch wiederaufersteht, kein Leid vergessen ist.
Warum aber versuchen, Russland als Macht auszuschalten, zumal die russische Regierung mehr als einmal auf die Atomwaffendoktrin Russlands hingewiesen hat: Es gibt keinen Ersteinsatz von Atomwaffen, außer Russland ist hinsichtlich seiner Substanz bedroht. Nebenbei eine ganz andere Atomwaffendoktrin als die des Westens, die gar nichts ausschließt. Aber dies nur am Rande.
Wie kann ich da als einigermaßen verantwortungsbewusster Politiker oder Journalist fordern, Russland in seiner Substanz zu gefährden? Seid ihr wahnsinnig? Weil es auch hier wieder um „Prinzipien“ geht, man dürfe Erpressern nicht nachgeben. Aber vielleicht auch nicht mit dem Feuer spielen. Sondern ausloten, was möglich ist. Und nicht den Gegner / Feind in die Ecke drängen.
Ich bin ja nicht so gut informiert, wie unsere Regierung / unsere Journalisten. Aber mir fallen auf Anhieb ein paar Vorschläge ein, die nichts mit „nachgeben“ zu tun haben. So kann Russland ja vorgeschlagen werden, Europa in eine Zone der Abrüstung zu verwandeln. Kein Militärhaushalt darf z.B.mehr als 1% des BSP betragen. Hier könnte man Russland angesichts der erheblichen wirtschaftlichen Überlegenheit der EU durchaus „entgegenkommen“, indem es mehr Geld für das Militär ausgeben darf.
Wesentlicher Bestandteil der Regelung muss sein, die Opfer angemessen zu entschädigen, Kriegsschäden sind wo möglich zu beseitigen. Dass Russland hierbei die Hauptverantwortung als Zahlmeister trägt, sollte klar sein. Weiter sollten ausländische Truppen (vor allem US) in Europa auf ein noch zu definierendes Minimum begrenzt werden. So kann Russland weder die EU bedrohen, noch die EU / NATO Russland. Für die Ukraine sollte dann ein entmilitarisierter Bereich definiert werden, mit Pufferzone, die auf Urkainischer Seite mit BRICS Truppen (ohne Russland) und auf russischer Seite mit NATO Truppen überwacht wird.
Welches das Ergebnis der weiteren Verhandlungen ist, bleibt offen.
Mit diesem Vorschlag gibt es zahlreiche Sieger: die Menschen in Russland, der Ukraine, ja in der ganzen Welt. Das Geld, welches nicht für die Rüstung ausgegeben wird, kann in Zukunft (nachhaltige Energieerzeugung, Bildung etc.) investiert werden. Angesichts der weltweiten Menschheitsbedrohung durch den Klimawandel scheint mir dies mehr als sinnig.
Selbstverständlich gibt es auch Verlierer. Zu nennen ist die Rüstungsindustrie, die leider nicht ganz ohne politischen Einfluss ist. Zu nennen sind ferner Militärs, die in ihrer Eitelkeit eingeschränkt werden. Und zu nennen sind die Nazis im Geiste in Russland, der Ukraine und im Westen, die dann nicht mehr benötigt werden.
6. Weizen
Hier haben wir eine ulkige Situation. Ukrainisches Getreide wird von der hungernden Welt dringend benötigt. Wie Frau Baerbock appelliert: Setzen Sie Weizen nicht als Waffe ein, Herr Putin.
Russisches Getreide dagegen wird ebenso wenig benötigt, wie russische Düngemittel. Die EU Kommission warnt sogar afrikanische Staaten davon, geschenktes russisches Getreide anzunehmen. Unsere Presse erwähnt hämisch, dass Herr Putin zwar Afrika russisches Getreide versprechen kann, es dort aber angesichts der Sanktionen (Schiffstransporte, Versicherung derselben etc.) nie ankommen wird.
Aha. Deutlicher kann man Doppelmoral nicht kundtun.