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  • Engine_of_Aggression

mehr als 1000 Beiträge seit 03.01.2002

Kritik an Friedenskultur: Sollten lieber für einen schnellen Sieg demonstrieren.

http://www.spiegel.de/kultur/gesellschaft/0,1518,242484,00.html

Der Artikel wird Euch gut tun:

"Wie selten zuvor in Deutschland sind sich Regierung, Intellektuelle
und das Volk einig: Amerikas Krieg gegen den Irak ist falsch, ja
verheerend. Doch zögerlich wird Unbehagen an der neuen "Peace"-Kultur
laut: Kritiker warnen vor Realitäts-Blindheit und fordern
Unterstützung für einen schnellen Sieg."

"Im Gegenteil. Immer wenn, so wie jüngst bei einer Diskussion über
den Irakkrieg in der Evangelischen Akademie Tutzing, für eine
Beseitigung des totalitären, menschenverachtenden Saddam-Regimes
plädiert wird, zischt die Empörung des Publikums durch die Reihen.
Wie kann man nur!"

"Die Organisatoren der "Kurzfilmtage" in Oberhausen luden gar alle
Teilnehmer aus "kriegsbefürwortenden Staaten" wieder aus - Motto:
Schaut nicht bei Spaniern! -, sahen sich aber vergangene Woche wegen
der Idee, Künstler für die Haltung ihrer Regierung haftbar zu machen,
auch harter öffentlicher Kritik ausgesetzt. "

"Idealtypisch hat der Filmemacher Wim Wenders am ersten Angriffstag
den neuen deutschen Friedenskonsens formuliert: "Krieg gehört zum
Schlimmsten, was Menschen einander antun können. Auch der moderne,
computergesteuerte Krieg verursacht Opfer, selbst wenn die
Kriegsberichterstattung das gerne unterschlägt. Das erste Opfer eines
Krieges ist seit jeher die Wahrheit." 

Die Worte sind bewusst gewählt und sie drücken etwas Richtiges aus.
Doch wie kommt es, dass sie zugleich wie ein Mantra klingen, wie eine
Sammlung abgewetzter Klischees, die von jeder Jungschauspielerin in
jeder beliebigen Talkshow zum Besten gegeben werden? Weil diese Worte
schon tausendmal ausgesprochen worden sind? Weil irgendwann jede
Wahrheit zum Allgemeinplatz wird? "

"Nur sehr zögerlich wird ein gewisses Unbehagen an der neuesten
deutschen Friedenskultur laut, auch und gerade unter jenen, die
diesen Krieg mit guten Argumenten kritisiert haben "

"Unter der Überschrift "Hallo, Ihr Protestierenden, aufwachen!"
meldete sich vergangene Woche ausgerechnet in der friedensbewegten
"taz" ein Autor zu Wort, der selbst zu den Demonstranten zählt. Auf
jenen Protestmärschen, die bislang immer für ihre junge, frische,
unideologische Atmosphäre gelobt wurden - "SOS per SMS" -,
beschleiche ihn zunehmend das Gefühl, "sich unter Leuten zu bewegen,
die dabei sind, sich von der Realität abzukoppeln"- ganz so, wie es
bei Teilen der Linken in den neunziger Jahren der Fall gewesen sei.
Das bloße Nein reiche nicht aus:"Wenn wir sicherstellen wollen, dass
die Iraker tatsächlich jene Demokratie bekommen, die ihnen
versprochen worden ist, sollten wir besser auf einen möglichst
raschen Sieg der Alliierten hoffen." "

"Solche erschreckend pragmatischen Schlussfolgerungen gelten den
meisten Deutschen als blanker Zynismus und sind allenfalls
Exil-Irakern und überlebenden Folteropfern gestattet. 

Über die seltsamen Schweigegebote unter deutschen Friedensfreunde
klagt denn auch Jan Ross in der "Zeit". Dass Konflikte mitunter nur
mit Gewalt zu lösen seien, gelte derzeit als "das Unantastbare
schlechthin, ein moralisches Sperrgebiet, ein beinahe oder
buchstäblich religiös bewehrtes Tabu". "

"Dem Autor Ross stößt dabei ein "besonders ungenießbares
Gutmenschentum auf, der schlechte Geschmack von politischem Kitsch".
"

""Gutmenschen" versus "Kriegstreiber": dieser reflexhafte Streit
verabschiedet jede ernsthafte Diskussion, bevor sie überhaupt
begonnen hat. Es ist ja alles klar: Die Alten sagen "Dresden", die
Jungen sagen "Öl". Und viele Künstler geben sich wie der Münchner
Staatsschauspiel-Intendant Dieter Dorn als Hüter zeitloser Moral: "Es
gibt keinen Krieg, der dazu verhelfen könnte, Frieden oder auch nur
zivile Zustände herzustellen." "

"Es scheint, als hätten die Intellektuellen dabei noch gar nicht
gemerkt, dass mit dem populären Friedens-Chic ihre traditionelle
Rolle als einsame Mahner und Warner eher leidet als wächst. Wozu
braucht es die Statements der denkenden Klasse, wenn das Bekenntnis
gegen den Krieg zum Mainstream-Comment auf jeder Party gehört? "

"Eine Frage allerdings stellen sich deutsche Intellektuelle praktisch
nie: Ob die Ereignisse am Ende womöglich doch anders verlaufen
könnten als sie prophezeit haben, ob aus dem gegenwärtigen Unheil
vielleicht doch noch etwas Gutes und Zukunftsträchtiges erwachsen
könnte, ob es also, wie die Zürcher "Weltwoche" formulierte, etwas
Drittes gäbe zwischen "realitätsblinder Moral und moralvergessener
Realpolitik". 

Das historische Gedächtnis aber ist kurz. Ob beim Golfkrieg 1991,
beim Kosovo-Krieg 1999 oder dem Afghanistan-Feldzug 2001 - jedes Mal
wurden die schwärzesten Untergangsszenarien bemüht, und jedes Mal
blieben sie aus. "

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