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mehr als 1000 Beiträge seit 18.03.2009

Bravo, Herr Schmidt!

Endlich mal ein vernünftiger Artikel über Wirtschaft. Trotzdem einige
kritische Anmerkungen:

Sie betrachten nur die fiskalischen Auswirkungen der Zyklen im
Frühling-Sommer-Herbst-Winter-Schema von Gordon. Kondratjew selbst
schlug jedoch vor, viel stärker in die Realwirtschaft zu gucken als
in die Finanzwelt. Der Beginn eines Zyklus' resultiert nicht etwa aus
niedrigen Zinsen, sondern aus einer hohen Produktivität durch eine
Basisinnovation. Kondratjew meinte, ein Wirtschaftsaufschwung wird
langanhaltend nur von bahnbrechnenden Erfindungen getragen, die in
allen wirtschaftlichen Bereichen zu erheblichen
Produktivitätssteigerungen führen. Diese Erfindungen werden aber
nicht gemacht, weil die Zinsen niedrig sind, sondern weil sie REAL
gebraucht werden. Die Dampfmaschine wurde nicht erfunden, weil die
Zinspolitik im England des 18. Jh. so günstig war, sondern weil die
Bergwerksbesitzer leistungsfähigere Pumpen benötigten, um das
Grundwasser aus ihren Stollen zu kriegen. Erst mit Erfindung der
Dampfmaschine konnte das realisiert werden und Eisenerz aus größeren
Tiefen gefördert werden, was u.a. den ersten Aufschwung brachte. Vor
allem aber die breite Anwendung der Dampfmaschine in allen möglichen
Wirtschaftsbereichen.

Es ist auch nicht richtig, die Kondratjew-Zyklen mit Aktienhausses zu
verbinden. Kondratjew und seine Anhänger sprechen von bisher 5
Zyklen, und zwar nicht am Aktienmarkt gemessen, sondern an der
Realwirtschaft. Der Aktienmarkt und die Finanzpolitik im Allgemeinen
durch Zinsen und Steuern wird richtigerweise als Anhängsel
betrachtet, nicht als "Steuerungselement" wie bei Keynes. Kondratjew
meinte lediglich, dass sich an den Börsen Spekulationsblasen bilden,
weil nicht mehr genügend Kapital in die (kaum noch
produktivitätsseigernde) Innovation am Ende eines Zyklus fließt. Es
ist ein Grenzkosteneffekt: Jede zusätzliche Dampfmaschine, jeder
zusätzliche Eisenbahnkilometer, jeder neue Computer im Büro macht uns
nicht mehr wesentlich produktiver, wie noch am Anfang eines Zyklus'.
DARUM fließt das Kapital nicht mehr in die Realwirtschaft sondern
sammelt sich an der Börse und Spekulationsblasen bilden sich. Es
fehlt einfach eine neue Basisinnovation, in die es sich zu
investieren lohnt.

> Es sind also nicht tiefe Zinsen, die die Wirtschaft vorantreiben, sondern es
> ist schlicht und einfach das Konsumverhalten.

Das stimmt leider nur im ersten Teil. Es sind nicht die Zinsen,
richtig. Aber es ist auch nicht das Konsumverhalten. Denn Kondratjew
meinte, auch das Konsumverhalten ist nur die FOLGE einer gestiegenen
Produktivität durch neue Basisinnovationen. Die Wirtschaft wächst
nicht, wenn viel konsumiert wird. Denn dabei wird nichts Neues
geschaffen. Die Produktivität steigt kein bisschen durch den Konsum
an. Es kommt vielmehr darauf an, was die Menschen REAL mit den Gütern
MACHEN, die sie kaufen. Kauft jemand ein Handy, um damit Mäuse zu
jagen, kann er das gern tun. Davon steigt die Produktivität kein
bisschen. Kauft jemand ein Handy, um damit Gespräche nicht vom Büro
aus, sondern von unterwegs führen zu können, dann hat er die
restliche Zeit des Tages Zeit, andere Dinge zu erledigen. Er schafft
in der gleichen Zeit mehr als vorher (mit Festapparat). Seine
Produktivität ist gestiegen. Konsum allein bringt also gar nichts. Es
kommt wesentlich darauf an, WOFÜR die Dinge REAL verwendet werden.
Die englischen Grubenbesitzer hätten tausende Dampfmaschinen kaufen
können und damit ihre Schlösser beheizen können. Es hätte nur einen
minimalen Effekt gehabt. Sie haben diese Dinger aber dazu benutzt,
die Produktivität ihrer Gruben zu steigern. Die bloße Konsumförderung
trägt damit kaum oder gar nicht zum Wirtschaftswachstum bei.

Kondratjew und seine Anhänger sagen auch, dass für den Konsum ganz
entscheidend die Werte des einzelnen Menschen sind. Wofür ich mein
Geld ausgebe, hängt davon ab, was ich damit ANFANGEN will. Das ist
aber wesentlich geprägt von den Werten und Einstellungen des
einzelnen. Wir sollten uns also davon verabschieden, Wirtschaft nur
als ökonomische oder gar fiskalische Leistung zu betrachten. Sie ist
vielmehr eine kulturelle Leistung als wir alle meinen.

> Die geheime Quelle der Technologiezyklen ist deshalb der demographische
> Faktor. Und hier helfen teure Konjunkturprogramme im Grunde genommen gar
> nicht. Sex ist der beste Konjunkturmotor!

Das stimmt leider auch nicht. Demografische Entwicklungen sind FOLGE
von ökonomischen und soziokulturellen Voraussetzungen, nicht die
Ursache für Wirtschaftswachstum. Manchmal werden mehr Kinder geboren,
wenn es den Menschen wirtschaftlich gut geht, manchmal ist es
umgekehrt. Manchmal hängt es gar nicht davon ab, sondern von den
Werten bzgl. Familie, Religion etc. Der beste Konjunkturmotor ist
nicht Sex (was für eine antiquierte Vorstellung, dass daraus auch
immer gleich Kinder entstehen müssen!), sondern die Förderung eines
innovationsfreundlichen Klimas in Wirtschaft und Gesellschaft. Teure
Konjunkturprogramme helfen nicht, wenn sie die Industrien der alten
Zyklen unterstützen (z.B. Auto, vgl. Abwrackprämie - was für ein
Schwachsinn, wir hätten das Geld gut gebrauchen können), sondern die
Erschließung der neuen Zyklen unterstützen. Die Krux ist: Man weiß
nie genau, wo ein neuer Zyklus entsteht. Manche meinen im
Gesundheitssektor, denn dort ist die Produktivität am schlechtesten
und die Korruption am größten.

Aber es gibt auch andere Kandidaten, z.B. im sozialen Bereich. Ein
Großteil unserer heutigen Arbeit ist Informationsarbeit unter
hochspezialisierten Einzelkönnern. Aber was hilft das, wenn diese
Leute nicht gut zusammenarbeiten können, wenn Mobbing und
Hahnenkämpfe die Produktivität lahm legen? China mag all die
bisherigen technischen Kondratjew-Zyklen aufholen, aber wenn es
keinen Weg findet, produktiv mit Informationsarbeit umzugehen, wird
es ebenfalls nicht weiter kommen als der Westen. Es wird in Zukunft
eine kulturelle Frage sein, wie produktiv wir Wirtschaft betreiben.
Eine Frage der Kritikkultur im Betrieb zum Beispiel, des Umgangs mit
Fehlern, mit Abweichungen von der Norm, mit unterschiedlichen
Positionen im Team, mit gesunden Arbeitsbedingungen, mit
Investitionen in den produktiven Mitarbeiter u.v.a. - da könnten die
Chinesen und Japaner wieder einen Vorteil haben, weil sie eher eine
Kultur haben, die das kollektive in den Vordergrund stellt und nicht
das individuelle. Die künftigen Produktivitätsreserven liegen nicht
in den Gebärmüttern, sondern in dem Umgang miteinander, denn
Wirtschaft wird immer noch von Menschen GEMEINSAM gemacht.

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