Erstens die Frage der Zugehörigkeit der Krim. Die Halbinsel ist nicht nur irgendein Stück Land, dass Russland einkassiert hat, sondern es ist sowohl emotional für die Russen ein Teil Russlands, als auch enorm wichtig für das russiche Militär. Russland die Kontrolle über die Krim abzunehmen wäre ähnlich, wenn man den USA Hawaii wieder abnehmen würde…
Heißt das, das die Unverletzlichkeit der Grenzen für Russland nur so lange gilt, bis es seine tiefgreifende emotionale Bindung zu einem Teil eines seiner Nachbarländer entdeckt? Sind wir uns nicht einig, dass es in Europa vor ungerechten und willkürlichen Grenzen nur so wimmelt und dass so eine Anmaßung der gerade Weg zurück in ein Zeitalter immerwährender Kriege, jeder gegen jeden, wäre? Ohne irgendeinen Nutzen für die Bevölkerung? Für die sind offene Grenzen und Bürgerrechte sicher wichtiger als die Fahne auf dem Autokennzeichen. Im besten Fall hat die Eroberung der Krim durch Russland die Unterdrückung der Russen durch die Ukrainer durch eine Unterdrückung aller Nichtrussen durch die Russen ersetzt.
Die Annexion von Hawaii durch die USA fand um die Jahrhundertwende statt, als solche imperialistischen Gebietsgewinne noch als normal galten und ganze Länder gegen Geld verkauft (z.B. Alaska) oder gewaltsam unterworfen wurden. Ein Referendum über die Aufnahme in die USA als 50. Bundesstaat fand erst 1950, 50 Jahre später, statt (94% Zustimmung). Nicht nach zwei Wochen wie auf der Krim, die vorher immerhin 60 Jahre lang zur Ukraine gehört hatte.
Die industrielle Perfektionierung des Tötens und die Entwicklung von Massenvernichtungswaffen, die den Ersten Weltkrieg prägte, führte zu einem Umdenken und zu einer schrittweisen Ächtung des Krieges, noch einmal verstärkt durch den 2. Weltkrieg und das Aufkommen der Atomwaffen. Der Preis dafür ist die Festschreibung der Grenzen, auch die der möglicherweise historisch fragwürdigen. Deswegen stellt der Ukrainekrieg so einen unfassbarer Bruch dar, weil Russland aus diesem Prozess, dessen Teil es die letzten hundert Jahre war, offensichtlich ausgestiegen ist und völlig einseitig, brutal und gegen alle Warnungen gehandelt hat. Dadurch ist weltweit eine Renaissance des Krieges als Mittel der Politik zu beobachten, die im Falle Russlands sogar die direkten Drohung mit Nuklearwaffen einschließt. Es sei nicht verschwiegen, dass auch der "Krieg gegen den Terror" seinen Teil zu dieser unheilvollen Entwicklung beigetragen hat.
Es ist letztlich eine nebensächliche Frage, welche Fahne in zehn Jahren über der Krim weht oder wem die Ukraine dann "gehört". Es ist eher die Frage, wie der Trend zu gewaltsamen und konfrontativen Lösungen gestoppt werden kann - und ob dafür ein Sieg der Russen in der Ukraine wirklich ein Schritt in die richtige Richtung wäre.