Möglich, aber auch ziemlich spekulativ. Aber das Grundmuster ist plausibel, nämlich dass Russland seinen Einfluss auf die Ukraine schwinden sah und die Kontrolle über wichtige Ressourcen im Donbass zu verlieren drohte, die traditionell das Rückgrat der sowjetischen Schwerindustrie bildeten. Möglicherweise werden wir nie erfahren, ob es mehr das Ausnutzen einer günstigen Gelegenheit oder die Angst vor Kontrollverlust war, was Putin 2014 letztlich zum schnellen Handeln trieb. Am Ende weiß er das nur selber und wir werden nie wissen wann er lügt und wann er (möglicherweise unbeabsichtigt) die Wahrheit preisgibt. Anders als 2/22 gab es vorher keinerlei Forderungen und Drohungen, es sollten ganz offensichtlich Fakten geschaffen werden.
Völkerrechtlich ist es irrelevant, was irgendwelche Demonstranten auf dem Maidan möglicherweise gefordert haben. Es berechtigt Russland nicht, die stationierten Truppen außerhalb ihrer Standorte gegen das Gastland einzusetzen. Das gilt völkerrechtlich, unabhängig davon ob dabei geschossen wird, als Aggression gegen das Gastland und hätte die Ukraine berechtigt, die Truppen und ihre Basis ihrerseits unter Feuer zu nehmen. Aber die Ukraine war mit ihrer heruntergewirtschafteten Armee (da hatte Russlands Statthalter Janukowitsch ganze Arbeit geleistet) und der politischen Instabilität nicht in der Lage, organisierten Widerstand zu leisten. Vielleicht war es auch nur klug, Russland keinen Anlass für eine noch größere Aktion zu liefern.
Russland strebte ursprünglich für Sewastopol einen Status nach dem Muster von Gibraltar an, also eine Exklave unter russischer Hoheit. Vielleicht wäre das ja ein Ansatz für die Zukunft. Allerdings müsste Russland die Basis komplett von See aus versorgen, da es kein freundliches Hinterland mehr gibt, was den militärischen Wert einschränkt.
Sewastopol ist nicht die einzige russische Marinebasis am Schwarzen Meer, sie wäre militärisch durchaus zu ersetzen, zumal die Lage auf einer Halbinsel mit schwer zu sichernden Zugängen in Reichweite des Feindes nicht sonderlich günstig ist. Nur ist Sewastopol eine durch und durch russische Stadt und Putin hat ja deutlich gemacht, dass für ihn überall Russland ist wo Russen leben. Ich denke, diese Doktrin ist das entscheidende Motiv und bietet den Vorteil, Grenzen sehr flexibel je nach Erfolg der eigenen Truppen neu ziehen zu können. Dort wo ein paar Russen zur Mehrheit fehlen "evakuiert" man halt die Ukrainer, soweit sie nicht fliehen oder Russen werden wollen und ersetzt sie durch importierte Russen. Das hat schon Stalin so gemacht.