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Avatar von xray1
  • xray1

943 Beiträge seit 11.10.2002

Verrechtlichung

Das ist einfach Ausdruck der immer weiter fortschreitenden Verrechtlichung.

Manche hier im Forum schreiben, es läge "an dem Glauben der EU an den heiligen Markt" oder ähnliches. Das halte ich für Unsinn.

Politik ist einfach nur angewandte Rechtswissenschaft. Es ist natürlich kein Zufall, dass sich in der Gesetzgebungsmachinerie egal welcher Stufe überwiegend Juristen befinden. Mit dem Recht soll Gerechtigkeit geschaffen werden. Was ja auch nicht grundsätzlich falsch ist. Das Recht wirkt auf alle gleich. Dinge, die gesetzlich geregelt sind, sind dem Zufall und dem willkürlichen Ausgang entzogen. Wenn irgendein Sachverhalt doch einmal nicht richtig im Recht abgebildet wird, muss das Recht einfach nur verbessert werden, detaillierter werden.
Diese Grundidee ist völlig unabhängig von jeglicher politischer Ideologie, weshalb das ganze auch unabhängig vom gerade regierenden Lager fortschreitet.
Dabei wird das neue Erlassen von Gesetzen und Verordnungen immer komplexer, weil man immer leichter in Widersprüche mit schon existierenden Gesetzen und Verordnungen gerät.
Geprägt ist das ganze vom kontinentaleuropäischen Rechtsverständnis in römisch-französischer Tradition ("civil law"). Das englische common law atmet mehr Pragmatismus und es ist sicher kein Zufall, dass das eine Charaktereigenschaft ist, die man Engländern gerne zuschreibt. Neben vordergründiger populistischer Beeinflussung ist dieses ganz unterschiedliche Rechtsverständnis eines der wesentlichen Faktoren dafür, dass sich die Briten immer schwer taten mit der EU und letztlich auch raus sind. Aber das nur nebenbei.

Die Verrechtlichung ist mMn auch eine der Ursachen für den Erfolg von Populisten, insbesondere in Osteuropa (einschließlich Ostdeutschland). Man hatte ein altes System abgestreift und glaubte, alles frei entscheiden zu können, nur um in einem rechtlich hochausdifferenziertem System aufzuwachen, in dem alle wesentlichen Fragen längst beantwortet waren.... Das Buch von Politikwissenschaftler Philip Manow "Unter Beobachtung" ist in dem Zusammenhang auch interessant.

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