Bei der lebenslangen Freiheitsstrafe sehe ich nun wirklich wenig Handlungsbedarf. Der frühere Justizminister Heiko Maas, der sowohl in diesem Amt als auch später als Außenminister ein Totalausfall war, hatte zu Beginn seiner Amtszeit eine Reform der Tötungsdelikte geplant. Da würde ich ansetzen.
Mord und Totschlag werden in Deutschland seit den 1940er Jahren, anders als früher und anders als beispielsweise im angelsächsischen Recht, nicht danach unterschieden, ob der Täter die Tötung mit Vorbedacht oder, wie es das StGB von 1871 formulierte, "mit Überlegung" ausgeführt hat, sondern ob bei der Tat eines oder mehrere von verschiedenen, in § 211 StGB aufgezählten Mordmerkmalen vorliegt. Die derzeit gültige Fassung des Mordtatbestandes stammt also aus der NS-Zeit, wobei die Grundidee durchaus nicht voll nazi ist, Diese Differenzierung war eine Idee der Schweizer, die bei Erlass ihres ersten landesweit einheitlichen Strafgesetzbuchs so zwischen Mord und Totschlag differenzierten.
Das Problem bei der deutschen Kopie des Schweizer Modells ist zum einen, dass die Mordmerkmale uferlos weit formuliert sind - insofern ist die Umsetzung des Schweizer Modells in Deutschland durchaus voll nazi. Außerdem ist nach § 211 StGB bei Vorliegen eines Mordmerkmals zwingend eine lebenslange Freiheitsstrafe zu verhängen, auch wenn es noch so viele Milderungsgründe gibt, wegen derer eine lebenslange Freiheitsstrafe an sich unangemessen hart ist.
Als Beispiel nur folgender Fall: Der als gewalttätig polizeibekannte und auch mehrfach wegen Gewaltdelikten vorbestrafte Möchtegern-Gangster G tyrannisiert eine gesamte Nachbarschaft und hat auch schon ein Auge auf die Tochter von T geworfen und diese bereits angegrapscht. T befürchtet, dass seine Tochter von O vergewaltigt werden könnte. Anzeigen haben nichts gebracht, die Polizei ist untätig. Da T glaubt, in einem offenen Kampf von Angesicht zu Angesicht gegen O keine Chance zu haben, lauert er O auf und ersticht ihn von hinten. Nach geltendem Recht liegt hier mindestens das Mordmerkmal der Heimtücke vor, so dass T zwingend zur Höchststrafe zu verurteilen ist. Zudem kann man hier das skandalös weit formulierte Mordmerkmal "aus sonstigen niedrigen Beweggründen" begründen, denn Selbstjustiz wird durchaus gern als ein "sonstiger niedriger Beweggrund" angesehen.
Meiner Meinung nach sollten die Mordmerkmale "Heimtücke" und "sonstige niedrige Beweggründe" ersatzlos aus dem § 211 StGB gestrichen werden. Dafür besteht auch kein kriminalpolitisches Bedürfnis. Es ist nämlich auch möglich, einen Totschläger zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe zu verurteilen. Nur läuft der besonders schwere Fall des Totschlags in § 212 Abs. 2 BGB praktisch leer, weil deutsche Schwurgerichte in der Praxis bei besonders schweren Tötungsfällen immer eines der uferlos weiten Mordmerkmale finden können.
Alternativ könnte man die österreichische Lösung wählen. In der Umgangssprache wird in Deutschland der Totschlag mit dem minder schweren Fall des Totschlags nach § 213 StGB gleichgesetzt. Man könnte das Gesetz an den allgemeinen Sprachgebrauch anpassen und grundsätzlich jede vorsätzliche Tötung als Mord und die Tötung im Affekt, wie in § 213 StGB, als Totschlag. Innerhalb des Mordtatbestandes kann man dann die besonders schweren Fälle, bei denen eines der heutigen Mordmerkmals vorliegt, als besonders schweren Fall des Mordes qualifizieren und als Regelfall eine lebenslange Freiheitsstrafe vorsehen.
Eine weitere Möglichkeit wäre die Einführung eines minder schweren Falles des Mordes, so dass ein Schwurgericht in Fällen wie dem obigen nicht gezwungen ist, die Höchststrafe zu verhängen. Selbst unter den Nazis gab es einen minder schweren Fall des Mordes, bei dem statt der ansonsten obligatorischen Todesstrafe eine lebenslange Freiheitsstrafe verhängt werden konnte - der minder schwere Fall des Mordes wurde erst in der Bundesrepublik abgeschafft.
Aber eine solche sachliche Diskussion ist ja in Deutschland, wie man gesehen hat, leider nicht möglich.