Philipp Müller_952 schrieb am 11.06.2022 20:02:
Für alle anderen: Die Lehrerausbildung ist nicht nur praxisfern, sie ist vollkommen fehlgesteuert, führt bereits im Studium zur Frustration, ist unterfinanziert und, durch den Bildungsföderalismus, nicht am realen Bedarf ausgerichtet. Seit Jahrzehnten.
Gebe ich dir vollkommen Recht! Ich behaupte sogar, dass in den letzten 15 Jahren keine einzige praxisrelevante pädagogische Innovation aus dem Bereich Forschung und Lehre der Pädagogikabteilungen der Unis/Fachhochschulen stammt.
Man bekommt den Eindruck, als wenn dort für`s erste Staatsexamen nur von Menschen gelehrt wird, die keinerlei Ahnung von der pädagogischen Realität haben und zum großen Teil auch tatsächlich selber seit Jahrzehnten (wenn überhaupt!?) nicht die Klassenräume besucht haben, für die sie ihre Studenten meinen vorbereiten zu können.
Die praktizierte Lösung für den Lehrermangel besteht nicht nur aus Quer- und Seiteneinsteigern, halbausgebildeten Studenten oder fachfremden Lehrkräften, sondern auch in Vorschlägen Lehrern ein größeres Arbeitspensum zuzuschieben, indem bspw. die Teilzeitregelungen verschlechtert werden sollen (mehr Mindeststunden). Dabei sind die Lehrkräfte nicht aus Langeweile in Teilzeit, sondern weil vielerorts die Arbeit in Vollzeit nicht (dauerhaft) leistbar ist. Ein größeres Arbeitspensum dürfte dadurch zwar für einige Jahre die größten Löcher reduzieren, aber mittelfristig umso stärker zurückschlagen: Mehr Leute, die ihren Job aufgeben, mehr berufsbedingte Erkrankungen. Vor allem dann, wenn die Ausbildung weiterhin unzureichend bleibt, was Qualität und Anzahl der Neuausgebildeten angeht. Genau danach sieht es allerdings aus.
Berufsneulinge im Lehrerberuf, die mit voller Stundenzahl und voller Enthusiasmus ins Berufsleben einsteigen, haben dank ihrer weltfremden Ausbilder im ersten/zweiten Staatsexamen und dank ihres Dienstherren angesichts der Realität überhaupt gar keine Chance, IHREN Anspruch und den Anspruch an SIE zu erfüllen!
Mit Verwunderung lese ich die Beiträge mancher Mitforenten, die die Schuld am Bildungsschlamassel den Lehrern wegen ihrer Arbeitsmoral oder ihrer Berufbiographie zuschreiben (sinngemäß 'wenn man nicht weiß, was man werden soll, wird man Lehrer und dann wundert man sich, wie schwer das ist'). Da wird dann Kant zitiert oder die banale Aussage vorgetragen, dass es 'sone und solche' Lehrer gibt, um die Überlastung der Lehrer zum individuellen Problem zu erklären. Ganz so als würde das Arbeitsumfeld in den Schulen nicht politisch bestimmt, die Lehrerausbildung auch nicht und als hätten die Probleme der Schüler, die in der Schule aufgefangen werden sollen, keine gesellschaftlichen Ursachen.
Das sind dann Mitforenten, die selber keine Kinder haben, oder solche, die ernsthaft meinen, dass es allein Schuld der Lehrer ist, dass "ihr schwerstmehrfachbegabtes Kind" immer noch keine Schleife binden, oder die Analoguhr nicht lesen kann!
Es gibt Schulen, an denen die Arbeitsmoral schlecht ist - nicht zu wenige. Meist stinkt der Fisch vom Kopf und die Schulleitung leistet schlechte Arbeit und wer sich dem nicht anschließen will, der kämpft auf verlorenem Posten. Denn wenn die Schulleitung nicht richtig arbeitet, dann kommen auf alle anderen Mehraufwände zu. Frustration ist da vorprogrammiert und die Kollegen, die einen gewissen Standard einhalten wollen, geben früher oder später auf - sie gehen oder passen sich an. Das ist auch nicht schulspezifisch, sondern kann überall da beobachtet werden, wo der Abteilungsleiter eine Pfeife ist, aber seine Aufgaben über den eines unnötigen Wasserkopfes hinausgehen. Eine engagierte, qualifizierte Schulleitung bewirkt wahre Wunder. Ich würde jedem, der sich in der glücklichen Situation befindet die Schule seiner Kinder aussuchen zu können, raten, sich vorher einen Eindruck von der Schulleitung zu machen. Nur ist es so, dass Schulleiter, wenn sie wirklich alle Aufgaben erfüllen wollen, selbst ständig überlastet sind: Organisation mit unzureichenden Mitteln, undurchführbare Verwaltungsvorgaben, Kampf mit der Politik - alles im Aufgabenbenbereich der Schulleitung und höchst frustrierend. So ist es auch kein Wunder, dass deutsche Schulverwaltungen Schwierigkeiten haben neue Schulleitungen zu finden und dann teilweise auf, von vornherein, ungeeignete Direktoren zurückgreifen. Teilweise findet man auch geeignete Kandidaten, die dann nach Jahren frustriert aufgeben.
Das kommt dann noch dazu! Wer will noch Schulleiter werden? Ich beobachte die Tendenz, dass sich für die unzählig vakanten Schulleiterstellen überdurchschnittlich viele Psycho-/Soziopathen melden... ... die die vakanten Stellen (gott sei dank!) nicht vollständig auffüllen, aber eine zusätzliche Belastung für Kollegien und Schüler darstellen!
Auf der Ebene der Lehrer selbst, gibt es viele Fälle, wo die konkrete Arbeit und die Motivation keinen guten Unterricht zulassen. Aber auch hier wieder das gleiche Problem: Die außerunterrichtlichen Aufgben haben zugenommen, sind aber oftmals sinnlos oder frustrierend, die Ausstattung ist teilweise schlecht.
Alle 2 Jahre ein neues Schulprogramm... ...ein Medienkonzept für die mediale Ausstattung... sinnlose ILE-bögen... ... etc. etc. ...all das ist derzeit nur erfüllbar, wenn man es pragmatisch sieht und dieser Sinnnlosigkeit mit "Copy und paste" begegnet...
... wenn man wirklich und ernsthaft Zeit in die Förderung der Kinder investieren will!
Um die gesellschaftlichen Probleme aufzufangen, die sich in den Schülern widerspiegeln, sind die Klassen zu groß, sodass Schüler zwangsläufig zurückbleiben.
Und ICH habe das Gefühl, als wenn die Lehrer unserer Kinder mittlerweile die Einzigen sind, die deswegen noch nachts schlecht schlafen... ...während Eltern und Kultusministerien diesbezüglich keinerlei Schlaftstörungen haben.