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  • walking_the_border

18 Beiträge seit 04.12.2021

Revierkämpfe

Wie schon Rousseau zutreffend erkannt hat, ist es ein Kennzeichen der in einem engstirnigen Sinn bürgerlichen Gesellschaft, durch Grenzziehungen Einflussbereiche zu definieren. Diese Vorgehensweise betrifft nicht etwa nur das eigene Grundstück, sondern auch Fragen der Hegemonie, bei denen es darum geht, wer in welchem Bereich den Ton angibt bzw. überhaupt mitzureden hat. Die Fixierung auf diese Denkweise führt dazu, dass in Bereichen, wo eindeutige Besitzansprüche nicht festzustellen sind, etwa bei der Erhaltung der klimatischen Bedingungen, ein enormer Schlendrian einkehrt. Wenn sich praktisch nicht nachverfolgen lässt, wer genau welchen Einfluss auf die Emission von Treibhausgasen oder auf Umweltverschmutzung im Allgemeinen hat, dann meinen viele, sich in dieser Hinsicht nach Belieben gehen lassen zu können. Um es deutlich zu sagen: Wer heutzutage ohne triftigen Grund einen SUV fährt oder gar über einen Privatjet verfügt, ist durchaus vergleichbar mit jemandem, der seine Notdurft im Schwimmbecken verrichtet und dabei womöglich noch unverschämt grinst. Es liegt viel von archaischer Reviermarkierung in solchen Verhaltensweisen. So kann es nicht verwundern, wenn manche, die lebensfreundliche klimatische Bedingungen als schützenswertes Gut erkannt haben, ihrerseits den Finger in die Wunde legen und dort den Stachel ansetzen, wo es für viele schmerzhaft ist, weil sie ihre Reviergrenzen verletzt sehen. Denn um nichts anderes geht es, wenn sich Leute über Aktionen auf Flughäfen oder in Museen empören. Da geht es nicht um angebliche Gefährdung von Menschen (man hofft teilweise geradezu auf entsprechende Vorkommnisse, um sie instrumentalisieren zu können), und auch die Wertschätzung von Kunst dürfte sich bei den meisten dieser Empörten in Grenzen halten. Was ihnen aber furchtbar weh tut, ist das Infragestellen ihrer heilen Welt, in der sie sich so behaglich eingerichtet haben, mit anderen Worten: ihrer Reviergrenzen. Dass diese aber ohnehin auf Dauer nicht aufrechtzuerhalten sind, dass das Unbequeme an den derzeitigen Aktionen nur ein lauer Vorgeschmack auf das ist, was uns alle an Unannehmlichkeiten erwarten wird, wenn der Gedanke der Nachhaltigkeit nicht von Grund auf ernst genommen wird und die Klimakrise weiter fortschreitet - das werden sie früher oder später nicht mehr ignorieren können.

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