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  • Haschpappi

mehr als 1000 Beiträge seit 10.07.2017

Auf Lohn verzichten fürs „Team“?

Basisstundenlohn der Lieferando-Fahrer liegt laut Gewerkschaft Nahrung, Genuss, Gaststätten (NGG) bei zehn Euro. Ergänzt werde er "durch ein völlig intransparentes, gefährliches und diskriminierendes Bonussystem", so die NGG. Das Unternehmen hält dagegen: Die Fahrer, die sogenannten Rider, kommen mit den Boni auf einen durchschnittlichen Stundenlohn von 13 Euro. Das sei "mehr als die Angestellten in vergleichbaren Servicebereichen" bekämen.

Vor über vier Jahren schrieb die taz zum Thema:

"Die Revolte der neuen Dienstboten (...)

Psychischer und physischer Druck

Um überhaupt für eines der beiden Unternehmen arbeiten zu können, benötigt man neben einem Fahrrad ein Smartphone der neueren Generationen, denn der Arbeitsalltag wird von einer App bestimmt. Diese übermittelt den jeweils aktuellen Standort der Fahrer. Jede Schicht beginnt mit dem Log-in in die App; einloggen kann sich nur, wer sich im vorgesehenen Startgebiet befindet. So wird das Smartphone zur digitalen Stechuhr. Während der Schichten ist es wiederum ein Algorithmus, der die online eingehenden Essensbestellungen den Fahrern zuteilt.

Die App misst auch die Leistung der Kuriere. Auf dieser Grundlage erstellen Foodora und Deliveroo Statistiken etwa über Durchschnittsgeschwindigkeit beim Fahren oder Treppensteigen und die durchschnittliche Anzahl der ausgefahrenen Bestellungen. Der Lohn der Fahrer hängt teilweise von diesen Statistiken ab. Bei Foodora gibt es ein sogenanntes leistungsbasiertes Bonussystem: Wer im Monatsdurchschnitt mehr als 2,2 Lieferungen pro Stunde schafft und mindestens 20 Stunden pro Monat am Wochenende arbeitet, erhält rückwirkend einen Euro zusätzlich für jede gearbeitete Stunde. Für die „freien Mitarbeiter“ bei Deliveroo dagegen gibt es gar keinen festen Stundenlohn mehr, sondern nur noch etwa fünf Euro je ausgelieferter Bestellung. Für die Fahrer bedeuten diese Bedingungen eine hohe psychische und physische Belastung und große finanzielle Unsicherheit.

Die Investoren erwarten Rendite

Für Foodora und Deliveroo ist die Digitalisierung dagegen Geschäftsmodell. App, Webseite und Algorithmen sind im Wesentlichen das, was sie zur Wertschöpfungskette beisteuern. Sie bieten damit eine Plattform, über die Bestellungen zwischen Restaurants, Fahrern und Kunden vermittelt werden. Etwa 30 Prozent des Umsatzes erhalten sie von den Restaurants als Provision, eine Liefergebühr in Höhe von 2,50 Euro von den Kunden. Ihre digitalen Dienstboten bezahlen sie zwar selbst, doch ein Großteil der Kosten für deren Arbeitsmittel – Fahrrad und Smartphone – wird an die Fahrer ausgelagert.

Seit der Gründung von Foodora in München 2014 und von Deliveroo in London 2013 schreiben die weltweit agierenden Unternehmen noch rote Zahlen. Ähnlich wie im Fall des Fernbusunternehmens Flixbus besteht ihr unternehmerisches Konzept darin, den jeweiligen Konkurrenten in einem erbitterten Preisunterbietungswettbewerb vom Markt zu verdrängen und sich so in Monopolstellung zu bringen. Diese Strategie ist nur durch langfristige, risikoreiche Investitionen möglich. Investoren aber erwarten Rendite.

Beide Unternehmen sind also einem doppelten Preisdruck ausgesetzt: Einerseits müssen sie ihre Preise niedrig halten, um im Konkurrenzkampf bestehen zu können; andererseits brauchen sie (perspektivisch) große Gewinnmargen, um ihre Investoren nicht zu verärgern.

Auf Lohn verzichten fürs „Team“?

Dieser Druck wird an die Fahrer weitergegeben. Das passt zur Rhetorik der Unternehmen: Sie gerieren sich als kleine „Start-up-Teams“, die ums Überleben kämpfen, und suggerieren, die Fahrer seien Teil dieser „Teams“. Stets freundlich teilen sie ihren Beschäftigten in regelmäßigen Abständen weitere Verschlechterungen der Arbeitsbedingungen mit. In dieser „Team“-Rhetorik sind Lohnkürzungen oder die Abschaffung von Zuschlägen lediglich kurzfristige Nachteile, die die Fahrer zum Wohle des Unternehmenswachstums doch sicher in Kauf nähmen. Schließlich machten sie ihren Job ja gerne – und wollten ihn nicht verlieren.

Mit dieser Kombination aus Zuckerbrot und Peitsche setzen Foodora und Co. ihre Fahrer unter Druck und verschleiern die fundamental entgegengesetzte Interessenlage der Arbeiter auf der einen und der Investoren und Manager auf der anderen Seite. Denn während erstere das Unternehmensrisiko (mit-)tragen, indem sie auf gerechten Lohn „verzichten“ und ihre Arbeitsmittel selbst stellen, werden Profite ausschließlich an die Investoren fließen.

Flexibilität als Trugbild

Ein weiterer wesentlicher Bestandteil der Marke „Start-up“ ist die Flexibilität. Wer für die digitalen Lieferdienste arbeite, genieße größtmögliche Freiheit in der Einteilung der Arbeitszeit und könne sich „schnell mal ein paar Euro dazu verdienen“.

De facto ist die Kuriertätigkeit allerdings Haupt- oder sogar einzige Einnahmequelle vieler Fahrer. Auch bei der Flexibilität stehen die Interessen der Arbeiter denjenigen des Unternehmens diametral entgegen. Gibt es mehr Schichten als Fahrer, können sich diese ihre Arbeitszeit flexibel einteilen. Ist das Verhältnis dagegen umgekehrt, entsteht ein Konkurrenzkampf um Schichten, der dem Unternehmen in die Hände spielt. Um eine ausreichende Anzahl an Stunden arbeiten zu können – und damit ein existenzsicherndes Einkommen zu haben –, müssen die Fahrer ständig auf Abruf sein und jede Schicht annehmen, die sie kriegen können.

So werden sie aus Unternehmenssicht zu einer flexibel einsetzbaren Masse an Arbeitskraft; die Optimierung der Arbeitsabläufe ist damit garantiert. Auch hier ist also wieder eine Verlagerung des Unternehmensrisikos auf die Arbeiter zu beobachten, die hinter dem Trugbild der Flexibilität verschwimmt. (...) (taz, 22.07.17)

https://taz.de/Arbeitsbedingungen-bei-Foodora-und-Co/!5428832/

Hat sich an diesem arbeitnehmerfeindlichen Konzept bis heute gravierendes geändert?

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