Stephan Geue schrieb am 30.10.2024 15:16:
Wenn "es" die Ermordung von 20.000 Menschen war - waren das Russen, sodass die Bolschewiki daraus ähnliche Motive hätten schnitzen können wie aus der Behandlung der Russischsprachigen in der Ukraine durch Asow oder Kiew?
Damals zählte das nicht viel. Die Sowjets waren mit Aufstandsbekämpfung und Bürgerkrieg ausgelastet, da hat man über Einflussnahme im Ausland noch nicht mal nachgedacht, sondern nur ans eigene Überleben.
Die aggressive Auslandspolitik kam erst wieder mit Stalin so richtig ins Rollen.
Vorher war der Sowjetstaat permanent in der Defensive.
Wenn es keine Russen waren - und davon gehe ich aus -, war ihr Tod für die Russen abseits jeden Motivs. Aber natürlich konnten sie 1 und 1 zusammenzählen und sich überlegen: Wer Sozialisten in großer Zahl umbringt, wird mit Kommunisten keineswegs milder umgehen, sobald er ihrer habhaft wird.
Nur dieses "sobald" war sehr, sehr, sehr abstrakt.
Konkret wurde es erst wieder mit dem deutschen Überfall auf Russland, da haben die Finnen tatsächlich auf deutscher Seite eingegriffen.
Als es für Deutschland schlechter lief, haben sie mit Russland einen Separatfrieden geschlossen (klugerweise).
Ob das Misstrauen gerechtfertigt war, habe ich, von den jetzigen vorstehenden Überlegungen abgesehen, nicht bewertet.
Stalin hat sich um 30.000 Tote egal wo nie groß gekümmert.
Wenn, dann wäre das ein Vorwand gewesen.
Ich hatte geschrieben, dass die Russen den Finnen einen Tausch "vorgeschlagen" haben. Wenn sie in den Finnen ein Feindbild gesehen hätten, das jetzt endlich mal vernichtet werden müsse, hätten sie keine Vorschläge gemacht, sondern "einfach" die Rote Armee in Bewegung gesetzt und das Großfürstentum repatriiert.
Genau das haben sie ja im Winterkrieg auch versucht; der war vor dem 2. WK, also auch vor dem finnischen Eingreifen gegen Russland, und da wollten die Finnen in erster Linie die Verluste aus dem Winterkrieg wiederhaben, von einem Großfinnland hat da m.W. schon niemand mehr geträumt (die Karelier wollten eh nicht unbedingt Finnen werden).
Sie sahen Leningrad bedroht, und so kam's dann ja auch - wobei mir klar ist, dass man eine Gefahr durchaus so lange herbeireden kann, bis sie eintritt. (Letztlich behielt Hitler - in einer schrägen Logik - Recht mit seiner Warnung vor den Bolschewiken, denn 1945 standen sie in Berlin. Und meine Sorge ist, dass Leute wie Roth und Kiesewetter solange die russische Gefahr "abschrecken", bis sie an unseren Grenzen steht, um derlei "Abschreckung" abzuschalten, weil das einfach bedrohlich ist, Tag und Nacht abgeschreckt zu werden.)
Tja, das geht halt auch andersrum.
Russland hat diesen Krieg ja bei sich selbst herbeigeredet, denn es wurde nicht mal abgeschreckt: Die NATO hat ja strikten Stationierungsobergrenzen nahe der russischen Grenze zugestimmt, gerade um russische Sicherheitsbedürfnisse zu befriedigen.
Hat halt nix geholfen. Ich denke, in Wirklichkeit hatte die Putin-Regierung nicht Angst, sondern wollte selber imperal aggressiv sein, und die NATO-Osterweiterung muss sie zutiefst frustriert haben, denn NATO-Staaten waren erstmal Off Limits, die konnte man nicht mehr ins neu zu schaffende Neurussische Imperium als Vasallen eingliedern.
Im Moment sieht es so aus, dass beide Kaiser viel weniger Kleider anhaben als gedacht.
Die russische Armee hat sich als sehr viel weniger schlagkräftig, wenn auch immer noch sehr zerstörerisch erwiesen.
Die NATO-Seite hat sich als überwältigend stark, aber nicht sonderlich kampfwillig und auch mit wenig Ausdauer erwiesen; die Rüstungsindustrie hier braucht viel länger zum Hochskalieren als die russische Seite, und es wird auch viel zurückhaltender hochgerüstet. Obendrein hat sich herausgestellt, dass die US-Präsidenten nicht mehr so bedingungslos hinter der NATO stehen wie noch in den 90ern.
Für Russland eröffnet das die strategische Möglichkeit, nach dem Ukrainekrieg ein oder zwei Jahrzehnte hochzurüsten und dann tatsächlich einen NATO-Staat schneller zu überfallen, als die Verbündeten ihm helfen können oder wollen, und selbst dann ist unklar, ob die NATO viel erreichen - in der Ukraine läuft es ja auch heute schon so, auch in der Zukunft braucht es nur einen isolationistischen US-Präsidenten und schon fällt die US-Unterstützung weitgehend aus.
Für Europa bedeutet das dauerhaft 3-4% vom BIP als Militärausgaben. Da hat Russland dann die Abschreckung, vor der es sich so fürchtet (angeblich) und die seine imperialistisch-revisionistischen Pläne gefährdet.
Oder Europa tut das nicht und richtet sich darauf ein, von russischen Militärdrohungen mehr und mehr eingeschüchtert zu werden, bis wir wieder einen Ostblock haben.