Vor Jahren hatte ich es hier schon mal geschrieben: ich war dereinst auf vielen Demonstrationen. Das hielt ich für eine Form der Teilnahme an der demokratischen Willensbildung. Ok, ich war "jung und naiv" Ich vermute, dass ich auf mehr Demos war, als der Autor von solchen live berichtete. Falls er das jemals tat. Im vorliegenden Fall wohl nicht.
Schon damals in meinem linken Umfeld und auch, als ich hier im Forum das berichtete, mochte man es nicht hören. Nicht, weil man es besser wusste, schon gar nicht, weil man es belegen konnte, sondern einfach, weil man es nicht mochte: ich habe keine einzige erlebt, in der Gewalt von der Polizei ausging. Ich wurde auch weggestoßen, in einer mir missfallenden Weise angesprochen, habe (innerlich, weil mit Resten von Verstand ausgestattet) "du blöder Sch...bulle" gedacht. Wurde aber nie unprovoziert geschlagen usw. Anlass für Gewalttätigkeiten waren immer die "Schwarzen" die sich damals noch "Autonome" nannten. Wobei ich nicht weiß, woher diese Selbstbezeichnung kam. Kaum wegen des Anspruches, autonomes Denken zu repräsentieren.
Dass der Autor mit den Protesten sympathisiert ist ok und seine Sache. Ich selbst halte die Idee, mit verbrannter Braukohle die Probleme des dritten Jahrtausends zu lösen, auch für herben Unsinn. Das aber ist nicht das Thema. Er schreibt einen Bericht -obwohl, ich wiederhole es, er nicht vor Ort war - über Polizeigewalt gegen die "Guten". Mag sein, ich bin auch nicht dort gewesen, werde hier also nicht behaupten, dass es so nicht stimmt. Auch wenn ich davon -also davon, dass es falsch ist- sehr überzeugt bin Aber er zitiert durchgehend einseitige Quellen, von denen er erkennbar keine einzige einer Überprüfung unterzog. Darunter sogar Tweets.
Die verlinkten Videos zeigen -wenn man nicht ideologisch bedingt etwas anderes sehen will- dass der Tenor der Berichte falsch ist. Wer das Spiel ein paar mal mitgemacht hat, weiß sehr genau, was das passierte: Abweichen von der Route, Versuch gesperrtes Gebiet zu betreten, Aufforderung (in der Regel mehrfach) das zu unterlassen und den Ort zu verlassen, Ankündigung der Räumung, Räumung. Und da setzen die Videos ein. Man sieht die fliegenden Steine, man sieht auch, wie Demonstranten, die mit erhobenen Händen weggehen wollen, unbehelligt bleiben, man kennt die Berichte von den Sprechchören, man solle Polizisten töten. Ich habe das Video gesehen, wo hunderte Berliner "Antifaschisten" 9 Milimeter Geschosse gegen die Polizei forderten.
Nun gut, ich habe hier nur kurz angerissen, warum ich der Meinung bin, dass der Autor fehl geht. Ich bin nur Leser. Aber ich habe sehr prinzipielle Fragen. Wenn man als richtiger Berufsjournalist für Geld arbeitet, ich meine jenseits der semifaschistischen "taz" oder dem transatlantischen Revolverblatt "Süddeutsche", also wenn man den Anspruch hat, diesem Beruf gerecht zu werden, müsste man dann nicht alle Quellen sammeln, diese prüfen, müsste man nicht vor Ort sein, statt nur einem selbst genehme Quellen zu lesen, daraus zu eigenen Überzeugungen passende Fragmente zu selektieren und zu einem neuen Artikel zusammenzufügen? Darf man dann diese Quellen vollkommen distanzlos und ungeprüft als richtig darstellen und sich eindeutig zu eigen machen? Darf man andere Aussagen, die eigenen Überzeugungen (die man selbstverständlich haben kann und soll) widersprechen, ignorieren und unterschlagen? Fühlt man sich als Journalist dann noch wohl oder reicht es einem, wieder im Kampf für das Gute eine Schlacht geschlagen zu haben? Und kommen einem, wenn man im wokeschistischen Zeitgeist mitschwimmt, manchmal Zweifel, ob man tatsächlich das richtige unterstützt. Und diese Frage geht weit über die Braunkohleschlacht hinaus.
Und nein, ich frage nicht für einen Freund.