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  • Detlef Schaefer

10 Beiträge seit 24.09.2017

Eine kleine Einschätzung nach nun 25 Jahren in Katalonien und Spanien

Hallo,
Ich habe fast 25 Jahre in Katalonien und Spanien gearbeitet, mein 1. Wohnsitz ist noch dort und ich pendle nun zwischen der BRD und Katalonien hin und her. Ich traue mir also zu, die Situation ein wenig einschätzen zu können. Ich muss dazu leider etwas ausholen.
Katalonien, wie das Baskenland, ist eine eigene Sprach- und Kulturregion mit mehr als 800 Jahren langer Tradition.
Zentralspanien und somit auch Madrid waren bis ins letzte Jahrhundert hinein noch stark feudalistisch, kolonialistisch und klerikal (Opus dei...) geprägt. Eine Phase der Aufklärung hat es nur marginal gegeben. Bis heute pflegen Teile der Gesellschaft den grossen hispanischen Traum und zählen jeden Spanisch sprechenden Menschen in dieser Welt, sozusagen aus der Sicht spanischer Urvaterschaft. Im Militärputsch der Franquisten 1936 gegen die demokratisch gewählte fortschrittliche Regierung kulminierten die Widersprüche zwischen dem reaktionären, erzkonservativen, katholischen, spätfeudalistischen Spanien und dem fortschrittlichen Bürgertum, einer syndikalistisch (teilweise anarchistisch) organisierten Arbeiterschaft und einer stark marginalisierten Landbevölkerung. Die Truppen Francos gewannen, auch durch die nicht unerhebliche Unterstützung der deutschen und italienischen Faschisten, bekanntermassen diesen Bürgerkrieg, dem eine grausame Repressionswelle, vor allem auch in Katalonien, folgte. U.a. wurde katalanische Sprache verboten. Wenn die paramilitärische Polizei Guardia Civil Menschen auf der Strasse Katalan sprechen hörte, wurden diese drangsaliert und aufgefordert, eine "christliche Sprache" zu sprechen.
Nachdem Franco 1975 im Bett starb, gab es die sog. Phase der Transición (Übergang). Der reaktionäre Kern der rechtsnationalistischen Gesellschaft war nur unwesentlich geschwächt, obwohl dann die sog. sozialistische Partei während einer relativ langen Regierungsphase das Land modernisieren konnte auf Basis einer bürgerlichen Verfassung. Ein ehemaliger Minister aus dem Kabinett Francos gründete dann eine reaktionäre Partei, aus der dann die derzeit regierende Partido Popular (PP) hervorging. Noch heute stammen nicht unwesentliche Teile dieser Regierung aus alten franquistischen Familien.
Was sich nun in Katalonien abspielt, reaktiviert die alten Traumata dieser faschistischen Zeit. Das prosperierende Katalonien mit der Hafenstadt Barcelona als Mittelpunkt steht in der Tradition einer weltoffenen, aufgeklärten, ja fast libertär modernen Handelsbourgeoisie, vielleicht von der Mentalität vergleichbar eher mit der Hanse oder dem holländischen Bürgertum. Es war in den 20ziger und 30ziger Jahren Zentrum der stärksten libertär anarchistischen Bewegung Europas. Nicht dass es diese Phänomene nicht in Madrid gäbe, aber das Zentrum Spaniens stand und steht fast immer im direkten Konflikt mit diesem klerikal spätfranquistischen Klüngel, der derzeit mal wieder die Regierung stellt.
Neben dem derzeit hinlänglich in der kritischen Auslandspresse dokumentierten Ausnahmezustand in Katalonien wurden von der Zentralregierung alle Veranstaltungen in Gesamtspanien verboten, die in irgendeiner Weise das Volksabstimmungsbegehren der KatalanInnen unterstützt. Die spanische Justiz und Regierung hatte versucht, durch Entzug von Räumlichkeiten an diesem Wochenende ein Treffen der drittgrössten Partei Spaniens Podemos
und anderen nahestehenden Parteien in Zarragoza zu verhindern.
Es hatte in mehreren Städten, auch in Madrid in der letzten Woche Versammlungen und Demonstrationen gegen die Militärstaatsstrategie der PP-Regierung gegeben, wohl wissend in welch gefährlicher Tradition sich diese Partei und das von ihr durchsetzte Justizsystem steht. Grosse Teile der konservativen Medien Zentralspaniens haben, soweit ich das in meinen 25 Jahren dort beurteilen konnte, auch gut und gerne die Ressentiments basierend auf den Hispanidad-Gefühlen gegen die Katalanen bedient. Natürlich gibt es auch Entsprechungen in der teilweise nationalistisch geprägten katalanischen Unabhängigkeitsbewegung wie z.B. Vorurteile gegen Südspanien etc.. Aber es wäre vollkommen verkehrt, die katalanische Unabhängigkeitsbewegung auf nationale Identitäten zu reduzieren. Sie spielen vielleicht bei einem gewissen Teil eine Rolle, aber so weit ich das einschätzen kann, motiviert den grössten Teil der bewegten Menschen vor allem die Ablösung von diesem reaktionären Zentrum Spaniens, zu dem mensch auch gewisse Teile der spanischen Sozialdemokratie zählen kann. Letztere verhalten sich wie so oft in der Geschichte mal wieder vollkommen indifferent und hatten in der vergangenen Woche eine parlamentarische Initiative für die Unterstützung der PP-Rajoy Politik nur wegen unerheblicher, teils formaler Widersprüche nicht unterstützt. Im Baskenland demonstrierten, auch unterstützt von der bask. Regierungspartei PNV, ca. 40 000 in Solidarität mit den KatalanInnen, obwohl letztere Anfang dieses Jahrhunderts die Basken bei einer ähnlichen Initiative ziemlich im Regen stehen gelassen hatten.
Der damalige Präsident Kataloniens Pujol hatte derzeit mit dem ultrakonservativen PP-Präsident Aznar wegen Haushaltsvorteilen ziemlich geklüngelt.
Zusammengefasst bzgl. Katalonien kann ich sagen, dass es in dem in sich recht heterogenen Spektrum der katalanischen Unabhängigkeitsbewegung alle einig sind in der Ablehnung der reaktionären und korrupten Politikkaste Zentralspaniens, dass diese Bewegung insgesamt, trotz nationaler Identitäten, weitgehend fortschrittlich ist, und stark Europa orientiert ist.
Ich kenne in Katalonien viele Menschen aus dem links-libertären Spektrum, die diese Unabhängigkeitsbewegung nicht unterstützen, weil sie kein politisches Projekt in diesem Gemenge identifizieren können und vor allem den heiklen Pakt mit der katalanischen Bourgeoisie, denen es gewiss auch um Machtgewinn geht, ablehnen. In dem demokratischen Begehren, diese Angelegenheit nun endlich mal in Form einer Volksbefragung zu klären, sind sich aber alle einig, ausser etwa 20 % der Menschen, die dort eben diese PP und die neue neoliberale Partei Ciudadanos unterstützen.
Hinsichtlich Gesamtspanien ist das Bild diffuser. Grosse Teile der PP-kritischen Bevölkerung sind nicht einverstanden mit der polizeistaatlichen Brachialgewalt der Rajoy-Regierung. Das Podemos-Wählerspektrum (ca. 18 % der Wählerstimmen) unterstützt die basisdemokratische Referendumsinitiative in Katalonien.
Teile der Gesellschaft in der Region Valencia und auf den Balearen, wo Sprachen gesprochen werden, die mit dem Katalan fast identisch sind, haben sich mit den KatalanInnen solidarisiert. Der Rest Spaniens wird zum grössten Teil auf Grund eines gewissen Nationalstolzes eine Abtrennung Kataloniens nicht befürworten, aber es existiert auch eine gewisse Offenheit, um andere, stärker föderalistische Konzepte zu diskutieren.

Das augenblickliche Gemenge ist hochbrisant und vor dem Hintergrund der noch recht jungen Geschichte der Demokratie Spaniens werden die Auswirkungen der militärpolitischen Politik Rajoys in Katalonien nicht mehr zu kitten sein. Dass der erzreaktionären spanischen Bourgeoisie ähnlich wie 1936 nichts anderes einfällt, als militärische Mittel und Repression zur Lösung von gesellschaftlichen Konflikten einzusetzen, ist zu befürchten und es wird deutlich werden, dass die spanische Gesellschaft die Erfahrung des Faschismus der Francozeit nie aufgearbeitet, sondern einfach nur verdrängt hat. Vor allem die PP hat das verhindert.
Vielleicht in gewisser Vorahnung gab es kürzlich am 11.
September dieses Jahres am katalanischen Feiertag Diada eine extra grosse Veranstaltung zum 11/09/1973, an dem in Chile die demokratisch gewählte sozialdemokratische Regierung Allendes durch einen Militärputsch angeführt von General Pinochet gestürzt wurde.

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