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  • 1FC

mehr als 1000 Beiträge seit 02.02.2011

Gut gemeint, schlecht gemacht…eher peinlich (Gründe ->)

Ich habe mir echt die Mühe gemacht diese Petition zu lesen. Auch wenn mir vorher schon klar war, was mich bei den Autoren halbwegs erwarten wird.

Alter Schwede ist das peinlich, weltfremd und auch inhaltlich nicht sonderlich fundiert.

Bitte nicht falsch verstehen, natürlich ist jeder Tote ein Toter zu viel. Sowohl auf ukrainischer als auch auf russischer Seite.
Ich wäre auch der Erste, der zu erfolgreichen Verhandlungen gratulieren würde die im Kern zu dem Ergebnis kommen, daß sich Russland komplett rauszieht und alle annektierten Gebiete zurückgibt, daß Russland Reparationszahlungen für den Wiederaufbau leisten muss, daß sich Putin als Kriegsverbrecher vor einem Gericht zu verantworten hat.
Meine Kritik an der Petition ist, daß diese genauso naiv und unrealistisch ist wie mein gerade skizziertes Ergebnis.

Die Ukraine kann zwar – unterstützt durch den Westen – einzelne Schlachten gewinnen.

Leute! Wie oft denn noch: den „Westen“ gibt es hier nicht (mehr). Unterstützt wird die Ukraine nämlich unter anderem von den USA, Canada, EU komplett, Nicht-EU (UK, Norwegen, Schweiz (!)…), Japan (m.W. ist das eher Ostasien als Westen), Taiwan (!), Süd-Korea, Australien, Neuseeland… etc.

Das soll weder Klugscheissen noch Haarespalterei sein, aber wer hier mit „der Westen“ anfängt hat einfach keine Ahnung worum es geht und sollte sich besser anderen Themen widmen. Oder derjenige lebt wie hier ganz offensichtlich die beiden Damen (eine 80 Jahre alt, die andere 53 Jahre alt) noch gedanklich im Kalten Krieg. Mit Sowjetunion und USA als Weltmächte und Europa als Statist dazwischen. Und das zudem inmitten der eigenen, seit Jahrzehnten nicht mehr hinterfragten zurechtgebastelten Filterblase. Das erklärt vermutlich auch, weshalb auch erschreckend/auffallend viele Ost-Deutsche Putins Angriffskrieg nicht immer auch als genau solch einen zu sehen scheinen, sondern immer mit „aber der Westen“ und dergleichen zusammenhanglos langweilen. Da mache ich denen noch nicht mal einen Vorwurf, wer noch in der DDR zur Schule ging ist halt entsprechend geprägt.

Aber sie kann gegen die größte Atommacht der Welt keinen Krieg gewinnen.

Die Ukraine kann und wird sowieso nicht diesen Krieg gewinnen (respektive „siegen“). Die Ukraine hat nämlich niemanden angegriffen sondern wurde angegriffen und verteidigt sich so gut es geht gegen diesen völkerrechtswidrigen Angriff. Erstaunlich daß die Damen nach nur einem Jahr das schon wieder vergessen haben. Die Ukraine kann nur versuchen größeren Schaden abzuwenden und ggf. ihre Gebiete zurückzubekommen. Denn verloren haben sie so oder so bereits, oder wie soll man die Toten, die Zerstörung, all das Elend sonst nennen? Die Ukraine kann jedoch ihre Freiheit (zurück-)gewinnen! Dafür zu kämpfen und damit sie dazu überhaupt erst in der Lage sind sie von außen zu unterstützen ist nicht nur völlig legitim sondern das ist eher ein Manifest für Frieden!

Wir Bürgerinnen und Bürger Deutschlands können nicht direkt auf Amerika und Russland oder auf unsere europäischen Nachbarn einwirken.

Auch als Atheist sage ich da (in diesem Fall): Na Gottseidank! Aber auch hier wieder: Kalter Krieg Narrativ und zudem sind weder die USA noch Europa Kriegsparteien. Die Bereitschaft Verhandlungen zu führen können wir gar nicht beeinflussen. Das müssen die Ukraine und Russland tun.

[…] Allianz für einen Waffenstillstand und für Friedensverhandlungen setzen.

S.o. Die oben aufgezählte internationale Allianz der Unterstützerländer (aus sämtlichen Himmelsrichtungen) wird sicherlich solch eine Chance nicht verstreichen lassen.

Allerdings - und jetzt komme ich auf meinen kritischen Einstieg oben - setzt das voraus daß dazu auch auf Augenhöhe, vernünftig und auch interessensorientiert verhandelt werden kann und daß da auch die Bereitschaft besteht.
Glaub ernsthaft jemand daß dies mit Putin möglich ist? Denn:

Er spricht von einer Pattsituation, in der keine Seite militärisch siegen und der Krieg nur am Verhandlungstisch beendet werden kann.

Ich behaupte daß mittlerweile auch am Verhandlungstisch eher eine Pattsituation vorherrscht. „Gesichtswahrend“ kommt Putin zudem sowieso nicht mehr aus einer Verhandlung raus. Und die Ukraine wird auch nicht die annektierten Gebiete einfach so abgeben. Zurecht wie ich finde, denn wie soll das dann auch mitten in Europa funktionieren? Putins Sowjetphantasien sind seine privaten Nostalgieträume. Würden die Ukraine die Gebiete nämlich „des Friedens wegens“ abgeben, wird da noch lange kein Frieden herrschen. Nicht mehr als ein fauler Kompromiss. Da wäre doch ein Bürgerkrieg oder sonstige dauerhaften Unruhen vorprogrammiert.

Es ist zu befürchten, dass Putin spätestens bei einem Angriff auf die Krim zu einem maximalen Gegenschlag ausholt. Geraten wir dann unaufhaltsam auf eine Rutschbahn Richtung Weltkrieg und Atomkrieg?

Das muss ich ja wohl nicht ernsthaft kommentieren…
Wenn es Russland in einem Jahr noch nicht mal ansatzweise schafft ihre „Spezialoperation“ durchzuziehen (auch ohne Nato Kampfpanzer/ Kampfjets/ Langstreckenrakten auf Seiten der Ukraine), stattdessen ohne Ende Verluste erleidet und Soldaten und Material nachschiessen muss, hält sich meine Angst vor einem etwaigen Weltkrieg/Atomkrieg eher in Grenzen. Sag niemals nie, ich weiß, aber Russland hat offenbar erschreckend viel Schrott im Einsatz. Ähnlich technisch unterlegener Kram wie damals den Müll den wir zur Wiedervereinigung vom Gorbi mitgekauft hatten. Demut Ja, denn Hochnut kommt vor dem Fall. Angst aber definitiv Nein. Russland ist (war) zwar 2. Größter Waffenexporteur aber in der Montage fehlen durch die Sanktionen wichtige elektronische Präzisionsteile aus Taiwan und Süd-Korea. Allein deshalb ist es schon unfair und falsch immer nur vom „Westen“ zu reden. International läuft das. Die Freunde aus dem asiatisch/pazifischen Raum haben bei sich nämlich einen ähnlichen Bekloppten vor der Haustür.
Ich bin der Meinung Putin hat sich einfach verzockt und nicht mit einer derartigen internationalen Unterstützung und dem tapferen Widerstand der Ukraine gerechnet. Ich glaube er dachte wir gucken wieder weg und die Ukrainer laufen jubelnd hinter den Panzern her. Aus der kurzen Spezialoperation ist ein brutaler, handfester Krieg geworden. Die Ukraine hier alleine zu lassen würde ein Massaker nach sich ziehen.

Disclaimer/Fazit:
Diplomatie in Form von Verhandlungen mit dem Ziel das unnötige Blutvergießen und die sinnlose Zerstörung zu stoppen sind natürlich immer das erste Mittel und auch unterstützenswert. In diesem Fall jedoch fehlt bei allen Forderungen nach Verhandlungen was denn konkret verhandelt werden soll, also wie die genaue Zielstellung ist und welche Kompromisse nötig wären. Ist es überhaupt realistisch.
Und bei aller Liebe, diese Petition mag zwar durchaus gut gemeint sein, gut gemacht ist sie eher nicht. Eher ziemlich schlampig wenn man bedenkt um was es hier geht. Respektlos den Opfern gegenüber sich noch nicht mal die Mühe zu machen die Begrifflichkeiten richtig zu verwenden oder zu erkennen was ohne Unterstützung passieren würde. Daß z.B. unsere Außenministerin viel Unfug von sich gibt ist kein Geheimnis, ob es in eine Petition gehört die das Ende des Blutvergießens als Ziel vorgibt muss jeder selbst beurteilen.

In diesem Sinne, Baxter
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Ein Kampf für Freiheit ist immer unterstützenswert. Ein ergebnisloser Kuhhandel mit einem Massenmörder eher nicht.

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