1. Ja, das Azov-Batallion (und vielleicht auch die ukrainische Armee) verüben Greueltaten an der Zivilbevölkerung (wenn man Twitter glauben kann). Warum machen sie das? Diese Greueltaten haben ihre Quelle einerseits in ihrer Ideologie - sie sind Nationalisten und alles, was russisch ist steht ihrem Anspruch eine originär ukrainische Ukraine haben zu wollen im Weg. Das hat schon in Friedenszeiten gegolten und das gilt für alle politischen Bewegungen, die die Durchsetzung eines nationalen Standpunktes gegen Teile der Bevölkerung geltend machen, die sich nicht dazuzählen bzw. die unter Verdacht gestellt werden nicht dazuzugehören. Das ist sowas wie die Ausländerfeindlichkeit hier, nur auf höherem Niveau. Das erklärt die Dildo-Verprügelvideos gegen Sinti und Roma in Kiew und anderen Städten, das Pogrom in Odessa usw...
Andererseits aber sind sie ein militärischer Verband, der eine Stadt verteidigt und da ist es
naheliegend dem Gegner die Kalkulation zu eröffnen sich moralisch zu diskreditieren und Stellungen angreifen zu müssen, die in Wohngebieten usw. liegen. D.h. darauf wird nicht nur keine Rücksicht genommen, sondern man postiert sich so, dass der Gegner das muss, wenn er einen angreifen will. Das ist für die Zivilbevölkerung eine Zumutung und sie wehrt sich i.d.R. dagegen. Und ein Mittel im Umgang damit ist eben Terror. Man erschießt sie, wenn sie im Weg stehen, sodass sie eingeschüchtert und so zur brauchbaren Manövriermasse der Verteidiger werden.
Aber: Ob das die Azov-Leute schuldig macht steht auf einem ganz anderen Blatt:
2. In den Augen eines ukrainischen nationalen Aktivisten sicher nicht, da der das Anliegen die Kontrolle ukrainischen Bodens über das Leben der Menschen zu stellen grundsätzlich teilt d.h. der hält das für ein berechtigtes Anliegen und hält deshalb die Verteidiger Mariupols für (nationale) Helden. Wer ist für den der Schuldige? Die Russen, wer sonst!
3. Für einen russischen Nationalisten sieht die Sache wieder anders aus. Für den sind die Azov-Leute schuld, dass Mariupol in Schutt und Asche liegt und das illustriert er mit ihren (erfundenen und tatsächlichen) Greueltaten.
4. Die Sache ist wie oben beschrieben: Beide Parteien legen, indem sie ihren Gegensatz betätigen, Mariupol in Schutt und Asche und beide legen Wert darauf, dass ihr Standpunkt ideell im Recht d.h. die Gegenseite schuld ist. Das ist eine ziemlich einfältige Übung, weil jede Seite ihre Rechtsgüter hat, an denen sie ihr Schuldurteil fällt. Da es kein objektives Recht (letztinstanzlich sowas wie Naturrecht) gibt, kann man sich darüber munter streiten, wird sich nie einigen und illustriert den eigenen Rechtsstandpunkt mit den (tatsächlichen oder unterstellten) Greueltaten der Gegenseite.
Sich die Schuldfrage zu stellen ist daher der Fehler und nicht ihre jeweilige Beantwortung. Die Schuldfrage ist antikritisch, ihr Ziel ist Parteilichkeit zu legitimieren.
Das Posting wurde vom Benutzer editiert (02.04.2022 18:55).