hamburgerbude78 schrieb am 05.03.2021 12:36:
So fällt das Zitat:
Verschiedene Arbeiten werden nicht ausgeführt, um menschliche Bedürfnisse zu befriedigen, sondern ihr Hauptzweck liegt abstrakt darin, allgemeinen Reichtum in Form von Geld zu schaffen.
Welches falsch oder zumindest nichtssagend ist.
Das ist weder falsch noch nichtssagend, sondern lediglich ziemlich abstrakt. Ein konkretes Beispiel: Ich werde hier ständig mit Cold Calls von irgendwelchen Callcenter-Sklaven belästigt, die sich ihren reduzierten Mindestlohn damit verdienen, Wildfremden Produkte und Dienstleistungen anzudrehen, die wirklich kein Mensch braucht. Der einzige Zweck der ganzen Aktion ist, ihrem Auftraggebern zu Geldgewinn zu verhelfen.
Treibende Kraft im kapitalistischen System sind die menschlichen Bedürfnisse selbst. Es gibt kein "Goldenes Kalb", konkurrierend zu den "menschlichen Bedürfnissen".
Die Existenz menschlicher Bedürfnisse ist nicht treibende Kraft des Kapitalismus, sondern notwendige Voraussetzung aller Produktion, wie auch immer sie gesellschaftlich gestaltet sein mag.
"Allgemeiner Reichtum in Form von Geld" ist die Definition von Bedürfnisbefriedigung, die das System selbst etabliert.
Nein, ist es nicht. Mit Geld als Ware kann man in der Regel relativ wenig anfangen. Selbst um sich den Hintern damit abzuwischen gibt es hygienischere und angenehmere Methoden, zum Feuermachen ist es mittlerweile auch ziemlich ungeeignet wegen der enthaltenen Giftstoffe. "Allgemeiner Reichtum" ist höchstens die Definition von Kapazität zu sofortiger Bedürfnisbefriedigung in einer fortgeschrittenen Tauschwirtschaft, und nicht von Bedürfnisbefriedigung selbst.
Ergo:
Mit Geld kann ich meine Bedürfnisse befriedigen, also brauche ich keine anderen Bedürfnistreiber als Geld.
Nehmen wir mal an, du hast dich im Urlaub irgendwo im Dschungel verlaufen, und das einzige Gut, das du bei dir hast, sind Geldscheine im Wert von einer Million Euro. Sind damit alle deine menschlichen Bedürfnisse befriedigt?
Das Investoren auf einer Hauptversammlung einem Vorstand Druck machen, ist nichts anderes als aggregierte Bedürfnisäußerung.
Das ist der abstrakte Hauptzweck, aus Geld mehr Geld zu machen. Das ist ziemlich tautologisch. Wozu soll aus Geld mehr Geld gemacht werden? Natürlich um aus mehr Geld noch mehr Geld zu machen, was denn sonst?
Wo liegt das Problem solcher Artikel?
1.
Die Definition von "Wert" macht bereits der Markt. Mehr Definition braucht es nicht. Warum auch? Man kann natürlich beliebige Definitionen zugrundlegen, die den Markt einfach nicht interessieren und daher sinnlos sind. Was automatisch zum zweiten Punkt führt:
Der Markt definiert nicht den Wert, sondern er setzt den Wert als gegeben voraus und verhandelt stattdessen den Preis, der nicht nur vom Wert sondern auch von anderen Marktfaktoren abhängt wie Angebot und Nachfrage.
2.
Wenn ich mich der Wertbestimmung des Marktes nicht unterwerfe, dann komme ich in einen Bereich in dem ICH bestimme, was etwas Wert ist und was nicht. Und dann kann ich auch sagen: Das ist "guter Wert" (aka menschliche Bedürnisse) vs "schlechter Wert" (aka allgemeinen Reichtum in Form von Geld).
Wenn man nicht mal zwischen Gebrauchswert, Tauschwert und Preis zu unterscheiden weiss, wird man in der Diskussion darüber, was Wert ist und was er für die Ökonomie bedeutet, nicht weit kommen. Das war so in etwa Stand der Diskussion vor 200 Jahren.
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Die Betrachtungen sind daher sinnlos, weil sie einen Makel oder Widerspruch des Kapitalismus aufzeigen wollen, der nicht existiert.
Nein, es ist völlig normal, dass eine entwickelte Ökonomie alle paar Jahre in Krisen schlittert, das muss so sein. Das ist Naturgesetz. Das lässt sich grundsätzlich nicht vermeiden. Dass es in den reichsten Ländern der Erde unfreiwillige Obdachlose gibt, dass Leute nach 40 Jahren Arbeit wegen einer Krankheit in Hartz IV abgeschoben und zwangsenteignet werden, das ist alles völlig normal. Dass Krankenpfleger trotz 70Stundenwoche kaum genug Geld für ihre Miete haben, das muss so sein. Dass trotz immer weiter fortschreitender Technologie die Profitrate bei Waren immer weiter zusammenschrumpft und deshalb immer mehr produziert werden muss, um dieselben Gewinne zu erzeugen, das ist halt so, ist völlig gewollt und wir dzu einer glänzenden Zukunft führen.
Oder noch Kürzer:
"Assumptions are the mother of all fuckups".
Wohl dem, der seine eigenen Zitate beherzigt.
Denn die Annahme, dass der Markt hier falsche Werte zuweisen würde, ist kein Problem des Marktes sondern Konsequenz einer verqueren Sichtweise auf das Wort "Wert".
Es hat überhaupt niemand behauptet, dass der Markt "falsche" Preise (ich übersetze das jetzt mal) erzeugen würde. Dass die Preise manchmal völlig aus dem Ruder geraten, liegt unter anderem an genau diesen inneren Widersprüchen des Kapitalismus, die du nicht wahrhaben willst.