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  • morgen Stern

988 Beiträge seit 03.10.2015

Re: Schwurbel

Tsu Tang schrieb am 08.03.2021 09:37:

Hi,

danke für die konstruktive Antwort und Entschuldigung für die späte Antwort.
Aber nun :-)

Kein Ding, Eile mit Weile. :-)

"Deine Beziehung zu den Verkaufenden ist dann über die Dinge vermittelt"

Das nennt man Handel. Und dann sollte man das auch so nennen. Hat den Vorteil, dass es klarer wird: Menschen treiben Handel miteinander.
Kling halt nicht so doll wie:
"Beziehung zwischen Menschen wird durch Gegenstände (Arbeitsprodukte) vermittelt"

Manche Leute nennen das Handel, andere haben halt andere Wörter. Die Formulierungen stehen in einem langen, altehrwürdigen Theoriekontext, der spätestens bei Hegel beginnt, für große Teile der Arbeiter_innenbewegung wichtig war und bis heute bedeutsam ist - wenn auch vielleicht nicht für dich. Den Artikelautoren ging's dem Anspruch nach darum zu erläutern, was das regulatorische Prinzip des Handels ("Wert") ist und setzen dabei stillschweigend voraus, dass nur Marx da eine vernünftige Antwort hat. Und in diesem Theoriekontext ist das regulatorische Prinzip sprachlich halt das Vermittelnde in einem Vermittlungszusammenhang. Die bürgerliche Wirtschaftswissenschaft sagt in der Regel, dass es da kein regulatorisches Prinzip gebe, sondern nur individuelle Präferenzen von Angebot und Nachfrage - und malt dann Pareto-Optimum-Diagramme.

"Zu Marx' Zeit waren Dienstleistungen nicht so wichtig wie heute."

Die Autoren haben den Artikel aber im Jahr 2021 publiziert. Und heute sind Dienstleistungen ein erheblicher Anteil an der Wirtschaft. Da zu Zeiten Marx' Menschen billig waren und Gegenstände teuer, waren damals Dienstleistungen ggf. auch schon ein erheblicher Teil des Arbeitsvolumens.

Ich finde deine Kritik berechtigt, ich bin auch der Meinung, dass eine moderne Übersetzung von Marx' ja eineinhalb Jahrhunderte altem Werk fürs heutige Verständnis den Dienstleistungsbegriff auch bereits bei den Grundbegriffen nicht vergessen sollte. Ich kann da für die Autoren höchstens um Nachsicht bitten: Das erste Kapitel vom Kapital, um das sich der Artikel in der Sache eigentlich bloß dreht, ist relativ schwer verständlich und gleichzeitig der Schlüssel zum Verständnis des Rests, daran hängt insbesondere auch das Verständnis der politisch zentral-bedeutsamen Kategorien Ausbeutung und Krise, die erst viel später geklärt werden. Das erste Kapitel hat etwa 50 Seiten, die drei Kapitalbände zusammen deutlich über 2.000, zudem ist es unabgeschlossen geblieben, zweiter und dritter Band posthum von Engels herausgegeben, es gibt unzählige Vor- und Nebenarbeiten, Marx war Vielschreiber, allein die Editionsgeschichte ist selbst für Expert_innen kaum zu überschauen. Die Sekundärliteratur wiederum füllt Bibliotheken. In der Marxschen Systematik würde der Dienstleistungsbegriff, wenn er sich denn für den näher interessiert hätte, frühestens nach ein paar hundert Seiten im Kontext der Lohnarbeit und der Korporation auftauchen und dann nach locker tausend Seiten im zweiten und dritten Band, wo es dann eher um Betrachtung größerer Sektoren der Ökonomie geht. Die Systematik derart dem heutigen Verständnis zuliebe umzustellen, dass er gleich im Beginn auftaucht, ist keine leichte Aufgabe.

Seit es abstrakte Gegenständlichkeiten gibt
Nope. Im Artikel hieß es:

Eine Beziehung zwischen Menschen wird durch Gegenstände (Arbeitsprodukte) vermittelt und nur dadurch wird aus einem Gebrauchswert eine Ware.

Es handelt sich laut der Autoren also explizit um Gegenstände.

Ja, es ist ein bisschen gaga, dass die Autoren so tun, als wären alle Lesenden eigentlich bereits hinreichend darüber aufgeklärt, wovon sie schreiben, nämlich über spezifische Fragen im Kontext der Marxschen Kritik der politischen Ökonomie. Bei tp folgt das einer gewissen redaktionellen Linie und ist insofern akzeptabel - zumal in den Foren ja Hintergründe diskutiert werden können.

Wer sich heutzutage noch nie mit Marx befasst hat, kann das überhaupt nicht verstehen. Die Formulierung wendet sich in ihrer Kürze echt nicht an Leute, die von Marx keinen Plan haben, obgleich der Artikel ein wenig so tut.

Marx spricht von Wertgegenständlichkeit z. B. so:

Die Wertgegenständlichkeit der Waren unterscheidet sich dadurch von der Wittib Hurtig, daß man nicht weiß, wo sie zu haben ist. Im graden Gegenteil zur sinnlich groben Gegenständlichkeit der Warenkörper geht kein Atom Naturstoff in ihre Wertgegenständlichkeit ein. Man mag daher eine einzelne Ware drehen und wenden, wie man will, sie bleibt unfaßbar als Wertding. Erinnern wir uns jedoch, daß die Waren nur Wertgegenständlichkeit besitzen, sofern sie Ausdrücke derselben gesellschaftlichen Einheit, menschlicher Arbeit, sind, daß ihre Wertgegenständlichkeit also rein gesellschaftlich ist, so versteht sich auch von selbst, daß sie nur im gesellschaftlichen Verhältnis von Ware zu Ware erscheinen kann.

(MEW23, S. 62 bzw. http://mlwerke.de/me/me23/me23_049.htm#S62)

Wird's dadurch vielleicht ein wenig klarer? Es geht dabei halt um ein regulatorisches Prinzip, das die gesamte Ökonomie und damit auch ihre Gegenstände durchdringt. Selbst ist es abstrakt, aber beispielsweise im Handel wird es ganz konkret (Geld gegen Sache z. B.). Marx spricht auch von einer "gespenstige[n] Gegenständlichkeit" (MEW 23, S. 52).

"Planwirtschaften haben zwar Austauschbeziehungen nicht gänzlich beseitigt"

Mal von der Arbeitspflicht in der DDR abgesehen kann eine Wirtschaft die einen Teil der Gesellschaft von der Notwendigkeit befreit, Güter bereit zu stellen auf Dauer nur mit Zwang funktionieren. Denn die Erbringer werden sich irgendwann fragen, warum sie immer arbeiten und die anderen nur konsumieren.

Das finde ich eine sehr verzerrte Wahrnehmung von Planwirtschaften, obgleich es selbstverständlich in allen formell sozialistischen Staaten das Problem des Parteibonzentums gab/gibt, in Kuba vielleicht eher weniger, kann ich nicht beurteilen. Das Parteibonzentum hat sich in der Regel aber weit weniger gesellschaftlichen Reichtum zugeeignet als das obere Zehntausendstel im Westen, insofern passt deine Kritik eher auf den Kapitalismus als auf die DDR. Meine Frau, in der DDR aufgewachsen, erzählt immer mal wieder davon, dass die Miete für die Familienwohnung bei 27 Mark lag und die Grundnahrungsmittel im Prinzip ebenso fast nichts gekostet haben. Luxus- und Importartikel waren teuer und schwierig zu bekommen, der Grundbedarf (wohnen, essen/trinken, Standardklamotten) war aber wohl mit weniger als 10 % des Gehalts zu decken. Überleg mal, wie viel des Durchschnittsgehalts heute für Wohnen, Essen/Trinken, Klamotten draufgeht.

Der Arbeitspflicht in der DDR stand ein Recht auf Arbeit gegenüber, in D-Land hast du heute auch eine zumindest indirekte Arbeitspflicht, die über Sanktionen in ALG-II exekutiert wird, aber sicherlich kein Recht auf Arbeit.

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