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  • AMi65

mehr als 1000 Beiträge seit 31.07.2001

Arbeit und Natur. Ein destruktives Verhältnis

Obwohl dieses nur eine kurze inhaltliche Darstellung der Stoßrichtung
eines Seminares mit Martin Dornis ist

Arbeit und Natur. Ein destruktives Verhältnis

Die Arbeit konstituiert als spezifisch warengesellschaftliche
Produktionsweise einen sozialen Zusammenhang, welcher durch ein
„verhältnisloses Verhältnis" des Individuums zu sich selbst, seinen
Lebensgrundlagen und seiner Mitwelt gekennzeichnet ist. In diesem
Seminar soll ein Spannungsbogen gezogen werden, der von der
warengesellschaftlich spezifischen Art des Wachstums, über das
Mensch–Natur-Verhältnis im warenproduzierenden Patriarchat bis hin zu
möglichen Ansätzen seiner Überwindung reichen kann. Da der Mensch
selbst als ein, wenngleich vermittelter Teil der Natur begriffen
werden kann, muss das Mensch-Natur-Verhältnis als eines des Mensches
zu sich selbst und auch zu seiner „inneren Natur" begriffen werden:
Gewissermaßen begegnet also die Natur im Menschen sich selbst. Der an
sich paradoxe Begriff des „verhältnislosen Verhältnisses" trifft die
warenförmig-patriarchale Mensch-Natur-Beziehung der Moderne in ihrem
Kern als eine, in der zwischen Menschen und ihrer äußeren Umwelt
ebenso wie zwischen ihnen und eines jeden zu sich selbst nur ein
Quasi-Verhältnis existiert.

Die über den Wert vermittelte Gesellschaft impliziert einen Wachstum
um seiner selbst willen. Als über Arbeit vermitteltes
Quasi-Verhältnis ist sie kein Austausch zwischen Mensch und Natur
sondern eine Einbahnstrasse (Postone) auf der Menschen und Güter in
Zeiteinheiten verwandelt und katastrophisch vernutzt werden. Das kann
auf einer endlichen Erde nicht endlos fortgesetzt werden.

Die grundlegenden Kategorien des warenproduzierenden Patriarchats
existieren nicht nur einerseits real/ materiell und werden
andererseits im Denken und Fühlen reflektiert. Vielmehr gehört eben
dieses Denken und Fühlen bereits der Konstitution des
Wert-Abspaltungsverhältnisses an. Seine Reflexion in den Menschen ist
selbst Moment seiner Konstitution. Daher muss in diesem Kontext die
philosophische Reflexion des modernen Mensch-Natur-Verhältnisses ins
Blickfeld gerückt werden. Die Aufmerksamkeit ist daher auf die
Herausbildung und Entwicklung der bürgerlichen Naturphilosophie zu
richten. In den philosophischen (Selbst-)reflexionen der
warenproduzierenden Moderne lässt sich das „verhältnislose
Verhältnis" zur Natur nachzeichnen. Galt sie in den aufklärerischen
Denkrichtungen als das Böse, aufgrund seiner zerstörenden Wirkung
Angst einflössende Andere, das zu bekämpfen, zu überwinden und zu
beherrschen wäre, so wurde es in der antiaufklärerischen romantischen
Gegenbewegung in genau dieser Form affirmiert -  als Verherrlichung
der befriedeten, harmonischen Natur oder als Begeisterung für ihre
zermalmende Wucht (meist beides in oft widersprüchlicher Vermengung).
Beide Denkrichtungen dachten nicht daran, die Warenform zu
überwinden, die die gemeinsame Grundlage ihres Denkens bildete: Die
Natur als das ganz andere des Menschen, zu dem man sich nicht an sich
bereits in einem Verhältnis befindet, trotz und obwohl man ein Teil
davon ist, war jeweils vorausgesetzt. Einmal soll die Natur
beherrscht und zugerichtet, ein anderes Mal hingegen die menschliche
Gesellschaft überwunden und in Natur überführt werden. Beiden
Denkweisen liegt ein ähnliches verhältnisloses Verhältnis zur Natur
zugrunde. Da sie Gesellschaft und Natur nicht ineinander vermittelt
begreifen, lösen sie jeweils, wenngleich bisweilen mit gegenteiligem
Anspruch, eines ins andere auf. Die romantische Gegenrichtung gegen
den naturbeherrschenden und –zerstörenden Strom des Fortschritts
verherrlichte dabei die Natur bereits als verstümmelte und
zugerichtete, sah sie durch einen warenförmig zurechtgequetschten
Blick und legitimierte damit nachträglich ihre Unterwerfung. Dafür
ist sie zu kritisieren, nicht für ihre „Rückständigkeit". Die
Philosophie Adornos mit ihrem  reflektierten Naturbegriff scheint aus
dem falschen Gegensatz von wissenschaftlich aufgeklärtem Zugriff,
Beherrschung und Unterwerfung und romantischer Verherrlichung einen
Ausweg zu bieten, dessen Chancen und Grenzen ausgelotet werden
müssen. Als das ganz Andere und Dunkle oder auch Geheimnisvolle
korrespondiert die Natur mit dem in der Warengesellschaft
abgespaltenen Weiblichen, während der naturbeherrschende,
-unterwerfende ebenso wie der naturaffirmierende und -romantisierende
Zugriff dem männlich abspaltenden Prinzip des Werts entspricht. Zum
Zugriff auf die äußere Natur passt die patriarchale, abstrakte
Herrschaft des männlichen Prinzips der Arbeit in der
Warengesellschaft ebenso wie der Selbstbeherrschung der eigenen,
inneren Natur. Die Wachstumslogik setzt ein Herrschaftsverhältnis zur
inneren Natur voraus, was eine Selbstobjektivierung nach sich zieht.
Auch die innere Natur wurde romantisch überhöht und verklärt, als
jene, der man doch intuitiv folgen solle. Aber diese Intuition ist
bereits eine warengesellschaftlich und patriarchal
zurechtgestückelte. Man soll dabei dem intuitiv folgen, was vorher
mit brutaler Gewalt oft mit wahrsten Sinne des Wortes durchpeitscht
wurde, jetzt aber verinnerlicht ist und daher als natürlich und
ursprünglich erlebt werden kann.

Die Überwindung des destruktiven Naturverhältnisses der Moderne kann
nicht in einer Erhöhung der (bereits zugerichteten) Natur und einem
wie auch immer gearteten Verzicht bestehen. Der Verzicht ist vielmehr
selbst als asketisches Ideal und reale Bedingung der Arbeitenden
Vorbedingung der Herausbildung der Warengesellschaft gewesen, war
stets ihr heimlicher Begleiter und feiert heute wieder bei Anhängern
wie Gegnern des Verwertungssystems fröhlich Urständ. Heute wird
sowohl eine Fortsetzung des entfesselten Wachstums als auch das
romantisierende Small-is-beautiful unter Verweis auf notwendigen
Verzicht eingefordert. Dass das entfesselte Wachstum nur noch durch
brachialen Verzicht am Laufen zu halten ist wird allzu offenkundig.
Die Alternative dazu kann nur in einer emanzipatorischen Aneignung
des stofflichen Reichtums durch frei assoziierte „Re-ProduzentInnen"
(Gaston Valdivia) liegen. Unter diesen Bedingungen könnte ein
bewusstes Verhältnis zwischen Gesellschaft und Natur wirklich werden.

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