Ach, klaffende Wunden sehe ich an mir nicht. Es gab Zeiten, da habe ich das alles persönlicher genommen. Das mag zwar nach wie vor so gemeint sein, aber wenn man sich die Psychologie der Kommunikation mit unbekannten und unsichtbaren Menschen vor Augen hält, der gegenüber dem Aug in Aug die 6/7 des Eisbergs unter Wasser fehlen, also all der nonverbale Kram, Mimik, Gestik usw., dann weiß man, dass die Defizite sich irgendwie und irgendwo niederschlagen müssen, und dann gelingt es mir doch, das eine oder andere abperlen zu lassen - was den zuweilen ruppigen Ton angeht. Die Botschaft indes bleibt dieselbe. Wer die Ansicht äußert - und das dank der Anonymität wie ein mathematisch bewiesenes Theorem vorträgt, an dem jeglicher Zweifel geradezu kriminell ist -, Person XY sei ein Kriegsverbrecher, der würde wahrscheinlich wirklich einen guten Tropfen öffnen, wenn dieser Person etwas Schlimmes zustieße. Ich hatte erst gestern im ganz realen Leben ein für mich überraschendes Gespräch mit einem Kollegen, das noch nicht einmal ich auf politische Pfade geführt hatte - was Seltenheitswert hat: Der ist eigentlich ein Gemütsmensch, kaum in Wallung zu bringen und trug daher in stoischer Ruhe sein Glaubensbekenntnis vor. Da habe ich natürlich bei meiner Gegenrede Gesichtsforschung betrieben - schließlich will ich mit ihm auch fachlich weiter konstruktiv zusammenarbeiten. Ob ich am Ende Überzeugungen erschüttern konnte, weiß man immer erst, wenn es ein Folgegespräch gibt. (Nun wirst du vielleicht fragen, wieso nicht am Ende ER einen Teil MEINER Ansichten ins Wanken bringen konnte. Nein, hat er nicht, denn eigentlich hat er nur einen Querschnitt von vielen Tagesschauen wiedergegeben, wobei ich das aktuell eigentlich gar nicht mehr sagen dürfte, weil ich schon seit Jahren keinen Fernseher mehr habe und auch auf Besuche der Internet-Präsenz der ÖR verzichte.)
Im Schützengraben werden wir uns schwerlich begegnen. Ich werde dieses Jahr 60 und weiß, dass ich im Kriegshandwerkszeug nichts reißen kann. Und gegen wen sollte ich antreten, vor allem mit Aussicht auf Erfolg? Es gibt Mächte auf dieser Welt - und dazu dürften die meisten Atommächte gehören -, denen man vielleicht Schmerzen zufügen, aber gegen die man nicht gewinnen kann, aber man hat gute Chancen, ihnen gegenüber unterzugehen, wenn man sich mit ihnen anlegt. Da sollte man sich also vorher die Karten legen und sich fragen, ob man es mit Franz-Josef Strauß halten und sagen will: lieber tot als rot. (Die Nazis sollen den Spruch schon verwendet haben, lese ich gerade.) Oder ob man sich irgendwie mit den Umständen arrangieren kann. Deutschland tut das seit 1945 gegenüber den USA. Wir mussten uns dafür ordentlich verbiegen, und da wir kein Volk von Engeln sind, fällt uns das in der Masse nicht schwer. Wir haben auch viele Nachteile dafür in Kauf genommen. Aber dafür wurde Morgenthau nicht umgesetzt. Wir haben uns also anders als Strauß gegen tot entschieden. Und wenn man's aus der Distanz betrachtet, geht's uns als kriegsverlierende Nation z.T. besser als Nachbarn, die am Krieg wenig Schuld hatten. Aber neuerdings "are we at war against Russia", und der politischen "Elite" kommt nicht einmal in den Sinn (Scholz vielleicht phasenweise), dass es bei konsequenter Weiterentwicklung dieser Haltung wie während der letzten zwei Jahrzehnte schlimmer als Morgenthau kommen könnte?