"Wenn "Kiews Truppen nicht über die Masse, die Ausbildung und die Ressourcen" verfügen, um eine erfolgreiche Offensive zu starten, wie es in dem Bericht heißt, dann deutet es stark darauf hin, dass die USA die ukrainische Regierung vor einem solchen Versuch hätten warnen müssen."
Damit wird unterstellt, dass die ukrainische Armeeführung minderbemittelt ist und unfähig, zu erkennen, was und wieviel ihre Truppen mit welcher Ausrüstung ausrichten können.
Das wäre etwa so, als wenn ein Kunde, der eilig eine 500 km lange Fahrt antritt, kurz vorher mit fast leerem Tank an einer Tankstelle vorfährt und "bitte volltanken" ordert. Der Tankwart füllt aber statt den möglichen 48 Litern nur 0.2 L ein.
Wird der Kunde/Fahrer selbst einschätzen können, ob er die Fahrt antritt oder muss ihm der Tankwart das vorher erklären: "Also passen Sie jetzt gut auf, mit 0.2L schaffen Sie keine 500 km"
Die Einschätzung, die hier vermittelt wird, nämlich dass die Ukraine mit einer (vermeintlich) aussichtslosen Offensive begonnen hätte, weil sie zuvor nicht "aufgeklärt" worden sei, ist daher unplausibel und abwegig.
Das Problem ist ein ganz anderes:
Die Motivlage von NATO und Ukraine überlappen sich zwar darin, dass beide eine Abwehr der russischen Invasion anstreben. Sie unterscheiden sich aber in anderen Aspekten: So muss die westliche Koalition bei allem, was sie unternimmt und bei jeder Unterstützung, die sie leistet, immer auch deren potentielle Auswirkungen im Hinblick einer nuklearen Eskalation abwägen. Der Ukraine sind solche Erwägungen zwar nicht völlig egal, aber spielen nur eine nachrangige Rolle anbetracht des Umstands, dass das eigene Land ohnehin gerade massivst attackiert, enteignet, besetzt und vernichtet wird.
Das erklärt unter anderem, warum der Westen ein ganzes Jahr damit vertrödelt hat, darüber zu diskutieren, ob man Panzer liefern darf und ob man damit Herrn Putin nur unnötig aufregen würde. Jetzt wird wieder monatelang darüber debattiert, ob man denn Flugzeuge liefern darf und wie lang die Raketen fliegen können dürfen, ohne dass der Kreml anfängt auf roten Knöpfen herumzudrücken.
Andererseits ist die Ukraine extrem auf das Wohlwollen und das öffentliche Meinungsbild in den westlichen Gesellschaften angewiesen: Neigt sich die öffentliche Meinung dazu, einen Misserfolg der Ukraine zu antizipieren ("Die schaffen doch eh nix mehr"), wird das in den relevanten demokratischen Geberländern (primär die USA und Deutschland) die weitere Unterstützung durch die Regierungen und Parlamente erheblich erschweren.
Also muss man versuchen, "zu liefern": Sprich: maximalen Einsatz zeigen, Erfolge und damit positive Schlagzeilen generieren. Die öffentliche Meinung im Westen muss "bei Laune" gehalten werden, damit es überhaupt noch irgendwie vorangeht.
Also entscheidet sich der Fahrer im PKW, der nur 0.2L getankt hat, dennoch loszufahren und unternimmt gewisse Maßnahmen, um möglichst weit zu kommen: so baut er die Rückbank aus und schmeißt sämtlichen Ballast aus dem Wagen, auch entscheidet er sich, den Wagen zunächst zu schieben, in 10 km Entfernung soll es nämlich die nächste Tankstelle geben, wo er vielleicht etwas mehr Sprit bekommen kann.
Und so läuft es eben mit der ukrainischen Offensive: Man weiß natürlich, dass man nicht wirklich ausreichend ausgestattet ist, geht aber mit dem Mut der Verzweiflung voran und krabbelt sich Meter um Meter nach vorne, in der Hoffnung, dass notwendige Ausrüstung noch kommen wird.
Kann man das der Ukraine verdenken?
Das Posting wurde vom Benutzer editiert (28.07.2023 14:26).