In den, sagen wir mal, Neunigerjahren des vergangenen Jahrhunderts wären die Aktivitäten eines russischen media outlets im Westen mit der gleichen Aufmerksamkeit verfolgt worden, wie der sprichwörtliche Sack Reis in China. Und auch zu Zeiten der Sowjetunion gottselig wäre es keiner westlichen Regierung eingefallen, ihren Bürgen etwa zu verbieten, die Prawda zu lesen. Heute, da die romantischen Neigungen des Westens – um einen berühmten amerikanischen Psychiater zu zitieren – anfangen, ins, sagen wir mal, Exotische abzugleiten, da seine Universitäten peu à peu zu Orten des organisierten Wahnsinns mutieren, seine Führungsmacht von einem Mann regiert wird, der ohne fremde Hilfe vermutlich nicht mal mehr seine Hose richtig herum anziehen könnte – ohne dass dies von der kritischen Presse thematisiert würde – in diesen Zeiten kann sich der Westen eine solche Nonchalance nicht mehr leisten. Er wird Schritt für Schritt unsouveräner. Seine Fähigkeit, Standards zu setzen und global verbindlich vorzuschreiben, seine Deutungshoheit, nimmt kontinuierlich ab.
Als Bewohner eines westlichen Staates, als jemand, dessen Wohlergehen – wie mittelbar auch immer – von der globalen Bedeutung dieses Gebildes abhängt, kann mich das nicht gleichgültig lassen.
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Aber das Ganze hat auch eine gute Seite, eine Moral gewissermaßen*:
Der Nachruf auf die Geschichte, die Ankündigung ihres Endes** ist verfrüht.
Es bleibt spannend!
*) "Ich liebe Geschichten mit 'ner Moral!"
(Warren Oates, Blue Thunder)
**) "Je ne suis pas un Fukuyamiste!"
(Francis Fukuyama)
Das Posting wurde vom Benutzer editiert (03.10.2021 18:36).