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  • Mrothyr

mehr als 1000 Beiträge seit 01.06.2001

Hmm (I)

demokratie schrieb am 20. September 2006 15:27

> Zugegeben....der Begriff Neoliberal ist bei mir weniger
> wissenschaftlich belegt, denn ein Sammelbegriff für den
> vorherrschenden Kapitalismus und seiner negativen Auswüchse.

Lies mal den Wikipedia-EIntrag dazu - dort ist es recht gut in einen
Kontext gesetzt. Ich will allerdings nicht auch noch argumentativ den
Kapitalismus und die Marktwirtschaft argumentativ vermischt sehen.

> Allerdings ist die soziale Marktwirtschaft nun wirklich kein Kind des
> Wirtschaftsliberalismus.

Nein, natürlich nicht. Sie ist die Realisierung des Ordoliberalismus,
also der Ideen der "klassischen Neoliberalen", von denen später dann
Hayek abfiel und den amerikanischen Wirtschaftsliberalismus (der in
weiten Teilen auch auf deutsche moderne deutsche Unterfütterung
zurückgreift - zum Beispiel Hoppe)argumentativ unterfütterte.

> Gerade Smith ist gegen
> jeglichen "sozialen Schutz", da das nur die Effektivität der
> Konkurenzgesellschaft mindern würde.

Jo, der Anarcholiberalismus an der Schwelle zum Sozialdarwinismus.
Der feiert fröhliche Auferstehung momentan. Nur ignoriert er, daß
Eigentum und Besitz momentan von einem vergleichsweise starken Staat
gesichert werden - wenn der Staat weiter geschwächt wird, dürfte sich
auch der gesellschaftliche Konsens, was Eigentum und Besitz betrifft,
verflüchtigen. In Teilen ist das ja schon der Fall.

> Die soziale Marktwirtschaft wurde ja gerade als Gegenmodell zum so
> genannten Manchester-Kapitalismus entwickelt und das war meines
> Wissens erst nach dem zweiten Weltkrieg (Es fällt öfter der Name
> Alfred Müller-Amack).

Nein, die soziale Marktwirtschaft war eine praktische Realisierung
von Ideen, die der Liberalismus in den 30ern entwickelte - als
Konsequenz aus den extremen politischen Tendenzen, die die
europäischen Gesellschaften zeigten und die die Neoliberalen (die
nannten sich selbst so) auf eine extreme Wirkung des entfesselten
Kapitals im smithschen Liberalismus des ausgehenden 19. und
beginnenden 20. Jahrhunderts zurückführten. Der Marxismus sah es ja
ähnlich - auch er hielt das Kapital für aggressiv, wenn der
Wachstumsbedarf nicht mehr im gesamtgesellschaftlichen Konsens
befriedigt werden konnte. Der Unterschied war, daß der Marxismus das
Kapital (primär das Produktivkapital) verstaatlichen, der
Ordoliberalismus aber den Staat als starke Kontrollinstanz gegen
Marktverzerrungen und deren politische Wirkungen in Position bringen
wollte.

Das größte Problem dürfte sein, daß der amerikanische Liberalismus
diesen Erkenntnisprozeß nie schmerzhaft vollziehen mußte und so die
smithsche Lehre nie im Extrem Wirkung zeigte (bisher - was nicht ist,
kann ja noch werden). Rein ökonomisch betrachtet ist der
Wirtschaftsliberalismus natürlich im Vorteil, ist er doch effektiver
bei der Konzentration des Kapitals. Allerdings zeigt sich eindeutig,
daß die vond en Wirtschaftsliberalen beschworenen
Selbstregulierungskräfte des Marktes versagen, weil eben
marktsegmentübergreifende Wirkungen ignoriert wurden.

> Sicherlich ist 'Neoliberalsimus' heute zum Schlagwort geworden, da
> nehme ich mich auch nicht von aus. Aber es ist immerhin ein recht gut
> definierter Begriff, den jeder eigentlich schnell recherchieren kann.

Genau das ist eben das Problem - die Recherche setzt voraus, daß man
bereit ist, sich mit dem Thema zu beschäftigen. Aber allein daß mit
zunehmender Beschäftigung mit dem Thema auch die Lehren immer mehr
auseinandergehen und die Vertreter der diversen Fraktionen durchaus
auch manchmal die Seiten wechselten (siehe den heute prominenten
herrn von Hayek) macht den Begriff "neoliberal" zu einem sehr
schlecht defineirten Kampfbegriff, der keine reale Unterfütterung
mehr hat.

> Nun, zumindest wurde die Aufhebung des Kündigungsschutzes erfolgreich
> zurückgewiesen. Ich habe nicht gesagt das das zu grundlegenden
> Veränderungen geführt hat, aber es zeigt (zumindest mir) das die
> neoliberale Ideologie keineswegs so unbesiegbar und sattelfest ist,
> wie sie sich gibt und wie sie teilweise dargestellt wird.

Nun, es ist ein Scheinsieg. Der Frontalangriff war nicht erfolgreich,
also läßt man den Gegner jetzt ausbluten. Eine merkwürdige
Eigenschaft des aktuellen Klassenkampfes (sic! - man muß wohl
inzwischen auf solche Begriffe zurückgreifen) ist ja, daß
merkwürdigerweise der Aktive (das Kapital, das eine gesellschaftliche
Änderung anstrebt) unter Zeitdruck zu stehen scheint - sonst würde er
die defensive Seite (das "Proetariat", das den Status quo verteidigt)
einfach ausbluten lassen. Dies muß einen Grund haben...

> Das ist soweit richtig. Gewinnen kann man die Auseinandersetzung mit
> der neoliberalen Ideologie nur international. Im ersten Schritt muss
> es aber erstmal eine Art (Re-)Emanzipation der Bürger in den
> nationalstaaten stattfinden. Irgendwie muss man ja anfangen. Eine
> internationale Bewegung ensteht ja nicht aus dem nichts heraus.

Diese Re-Emanzipation ist aber ein Bildungsproblem. Sonst hast du den
Effekt der DDR-Revolution - eine Menge Menschen, die auf den
nächstbesten Verführer reinfallen. Man verzeihe mir das Argument:
Aber auch 33 hatte ein kleiner Österreicher einen tollen Plan.

> Mag sein, ich bin kein Wirtschaftswissenschaftler oder BWL'er. Nur
> meinst du das es für die Kapitalgesellschaften inen Unterschied
> macht, ob wir unser Einkommen für 'High Tech Elektronik' oder für
> 'Kartoffeln und Reis' ausgeben?

Ja klar - für Kartoffeln und Reis geben wir unser Geld doch eh aus,
das ist Grundbedarf. Und der Preis dieser Waren orientiert sich
primär an der Zahlungsfähigkeit der Bevölkerung. High Tech dagegen
ist kein Bedarf, sondern Luxus - der ist ein Plus auf die
Bedarfsausgaben. Dort wird zuerst gespart, dort werden aber auch die
höchsten Gewinne erzielt (geringer Personalaufwand, durch
Automatisierung beinahe endlos verbilligbar, zumeist "virtueller"
Eigenwert).


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