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  • Mrothyr

mehr als 1000 Beiträge seit 01.06.2001

Hmm, ein paar Thesen

demokratie schrieb am 14. September 2006 16:53

> Woher kommt also dieses Desinteresse an politischer Teilhabe, die so
> gut wie nie in Anspruch genommen wird?

 - Menschen sind von Natur aus Opportunisten, sie suchen den Schutz
der Menge. Die Deutschen machen da keine Ausnahme. Eher im Gegenteil
- während sie auf den "Führer" warten, der sie aus dem Tal der Tränen
geleitet, heulen sie gern über den Opportunismus ihrer Landsleute.

 - Der Kippeffekt fehlt bisher. Es sind zwar quantitativ durchaus
Einschnitte zu spüren, das Geld wird knapper - aber eine neue
Qualität (im Sinne von massenhaftem gesellschaftlichen Abstieg)
findet man nicht. Einen gesellschaftlichen Abstieg erleben vor allem
die mittleren EInkommen. Der Mittelstand, das Bürgertum dünnt aus,
wird entweder proletarisiert oder schafft den Sprung in die oberen
Schichten. Richtig Mische wird es erst geben, wenn das Proletariat
einen deutlichen qualitativen Lebensqualitätsverlust zu verarbeiten
hat - also das Brot-und-SPiele-System versagt.

 - Teile und Herrsche funktioniert recht gut. Wenn sich soziale
Spannungen zu entladen drohen, finden sich durchaus genügend Kräfte,
die eine geschlossene Front der Betroffenen verhindern. Florida-Rolf
war so ein Fall, wo die "Sozialschmarotzer-Diskussion" den Blick auf
die Realitäten verstellte. Die Hartz-IV-Kundgebungen, wo sich die
extreme Linke zu willigen Idioten machen ließ und mit ihrer
politischen Instrumentalisierung der Proteste den Mittelstand und das
Bürgertum von einer Teilnahme abschreckte, war ein weiterer Fall.
Sollte mal kein passender Sündenträger zur Hand sein, kann man immer
noch einen externen Effekt nutzen (<hust>Terrorgefahr</hust>).

 - Verholzung der politischen Entscheidungsmechanismen. Selbst wenn
du heute einen Protest anzettelst kommt die Quintessenz des Protestes
nur in einer stark vorbearbeiteten Form bei den Entscheidungsträgern
an. Die Presse geht durch diverse Büros, Meinungsbilder werden von
professionellen Meinungsbildmalern aufgearbeitet. Ein protest, der
für die Entscheidungsträger tatsächlich DEUTLICH ist, muß in
Deutschland vermutlich schon die Qualität haben, die der
Bauernaufstand für die damaligen Adligen hatte. Denn im gegensatz zur
DDR darfst du heute alles sagen - nur interessiert sich keine Sau
dafür. Den Leuten ist wohl bewußt, daß die Entscheidungsstrukturen
derart lang und die Entscheiderkarrieren derart fern des Volkes sind,
daß Entscheidungen zu Problemen sowohl zeitlich als auch sachlich so
nah an der Realität sind, wie ein Wasserstoffatom in Andromeda nah an
einem Koffeinmolekül in meinem Nachmittagskaffee ist. Selbst wenn die
POlitik guten Willen hat...

 - Revolutionsmüdigkeit. Mal ehrlich: Was haben uns die Revolutionen
denn bisher gebracht? Ich war '89 dabei, ich habe damals _nicht_ CDU
gewählt, ich kämpfe tagtäglich mit der Bürokratie, die sich aus der
politischen Kurzschlußmentalität ergibt. Und bin ehrlich gesagt zu
müde, nach dem alltäglichen Kleinkrieg gegen Ämter, Kunden,
Lieferanten, Interessengruppen, Ämter, Behörden, sagte ich schon
Ämter? noch einen politischen Klein- oder gar Großkrieg zu führen.

 - Alternativlosigkeit. Welche Alternativen gibt es (ob nun real oder
eingebildet), die man aus eigener Anschauung heraus betrachten oder
zumindest aus allgemeinbildungstechnischer Sicht heraus erfassen kann
(nein, es sollte "volkskompatibel" sein - und das sind momentane
Alternativkonzepte nicht). Uns wird doch immer noch erzählt, daß wir
in einer sozialen Marktwirtschaft leben - wobei das Wort zur
Worthülse ohne Inhalt verkommen ist. Warum? Weil keien Sau mehr weiß,
was drin steckte. Uns fehlt in der Bevölkerung die Bildung, die
hilft, Ursachen für den Abstieg zu vermitteln, so daß die Bevölkerung
sich mehr als mit *blök* artikulieren kann. AUf der anderen Seite
fehlen auch die grünen Wiesen, zu denen man die Schafe locken kann.
Denn seien wir ehrlich: In einer globalisierten (auch noch so eine
rabulistische Worthülse - entnationalisierten würde es besser
treffen) Weltwirtschaft gibt es KEINE nationalen Alleingänge mehr -
und somit auch kein Rückzugsgebiet, das man dem Volk beispielhaft
vors geifernde Maul halten kann. Mithin müßte eigentlich eine
TRANSNATIONALE Gegenbewegung entstehen - sehr unwahrscheinlich bei
der zu beobachtenden Xenophobie des "gemeinen Volkes" und der
Rechristianisierung des Abendlandes. Womit wir wieder bei "divide et
impera" wären.

CU

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