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  • Mrothyr

mehr als 1000 Beiträge seit 01.06.2001

IVa

demokratie schrieb am 22. September 2006 18:08

> Der sogenannte Volksentscheid ist aber doch eigentlich DAS
> basisdemokratische Instrument.

Nein. Er ist zentralistisch und scheindemokratisch. Die
Entscheidungsmöglichkeiten sind zentral ausgearbeitet, die
Formulierungsbasis nur selten einsehbar. Bevor der Bürger frei
entscheiden kann, muß er sich frei informieren können. Das heißt, er
muß den GESAMTEN Komplex der Entschedungsfindung passiv oder gar
aktiv begleiten können.

> Der Grund das der Volksentscheid
> häufig zu 'Langsam' ist, sind die bürokratischen Hürden
> (Bürgerbegehren, Quoren Volksentscheid....ein gigantsicher
> bürokratischer Ablauf). Das ist aber eher ein 'technisches' Problem.

Nein, es ist ein Zentralismus-Problem. Die
technisch-organisatorischen Möglichkeiten bestehen, um den gesamten
Prozeß durch den Bürger begleiten zu lassen. Das Problem ist, daß
Volksentscheide eine Ausprägung der "Eventdemokratie" sind, wo der
Bürger in einem zentralisierten System hin und wieder die
"hervorgehobene Gelegenheit" (Event) hat, sich scheinbar frei zu
artikulieren. Artikulationsfreiheit bedeutet aber eben NICHT, nur die
Wahl zwischen einzelnen Möglichkeiten zu haben.

Die Beteiligung des Bürgers muß so einfach werden wie Zeitungslesen
oder halt die Forenteilnahme. Er muß einsehen können, was seine
Vertreter grad machen, was sie vorschlagen, warum und wieso. Er muß
es kommentieren können. Diese Entscheidungsfindung muß basisnah
erfolgen - bei Angelegenheiten in Hintertupfingen halt auch in
Hintertupfingen und nicht in Brüssel. So daß auch nur Hintertupfinger
da mitmachen und nicht ein Franzose der Meinung ist, da mit
reinzuregulieren. Dann ist auch der organisatorische Aufwand kein
Problem - denn die Organisation bleibt in den basisnahen Strukturen
verteilt und reduziert sich auf ein paar technische Aspekte.
Basisdemokratie ftw.

> Es freut mich aber das deine Position bezüglich der Demonstrationen,
> in diesem Post wieder etwas toleranter scheint ;)

Ich bin kein toleranter Mensch. Zumindest nicht im heutigen Sinn. Ich
bin tolerant, weil ich jedem Menschen seine individuelle Freiheit
zugestehe, solang er mir die Meine zugesteht, seine Lebensweise oder
seine Überzeugung abzulehnen. Wenn du Demonstrationen als sinnhaft
ansiehst - deine Sache. Wir können auch gern darüber argumentieren.
Ich würde das Demonstrationsrecht nie einschränken, es ist für mich
ein Aspekt der individuellen Freiheit, seine Meinung auf diese Art zu
artikulieren. Das ist meine Art von Toleranz - Toleranz bedeutet für
mich aber nicht, meinen Mund dazu zu halten, wenn ich diesen
Standpunkt nicht teile.

Mir ist heute "Toleranz" ein viel zu oft gebrauchter Begriff, der vor
allem zum argumentativen Stummschaltung führt.

> Könnte klappen. Ich bin ja auch nur ein Gegner des Kapitalismus nicht
> ein Gegner des Handels mit Waren und Dienstleistungen. Vieleicht
> sollte einfach der Faktor 'Geld' aus diesem System entfernt werden
> bzw. deutlich mehr funktionalisiert werden.

Das Geldsystem hat ein paar Defekte - vor allem was den
Kapitalrendite-Aspekt betrifft. Oder den Diskont-Defekt. Nur wird das
das grundsätzliche Problem nicht lösen. Das grundsätzliche Problem
ist, daß wirtschaftliche Macht nciht von politischer Macht entkoppelt
ist.

> Denn wie sagte es
> Brecht: "Erst kommt das Fressen und dann kommt die Moral". Ohne eine
> gewisse soziale Sicherheit (auch jenseits des Erwerbslebens) gibt es
> kein politisches Engagement der Bürger, ergo kann keine Demkratie
> funktionieren.

Durchaus, bin ich bei dir. Ich bin eben wegen dieses Aspektes auch
ein Befürworter des Bürgergeldes (unter Einbeziehung anderer Aspekte:
Krankentagegeld, Grundrente, steuerfreies Grundeinkommen,
Arbeitslosengelöd etc. pp.). Alles, was darüber hinausgeht, sollte
aber vom Staat entkoppelt und in private Hand gegeben werden.

> Also mir ist der Begriff der radikalen Organisationen etwas zu
> schwammig. Du verstehst darunter alles, was sich außerparlamentarisch
> äußert habe ich den Eindruck.

Nein, ich verstehe darunter alles, was von einem gewissen
Grundkonsens abweicht. Es gibt auch Organisationen, die sich
außerparlamentarisch äußern, aber eben pro status quo. Radikal
versteh ich primär als auf den kurzfristigen gesellschaftlichen
Wandel orientiert.

Und verzeihe mir, daß ich über Rechtsradikalismus vs.
Linksradikalismus nicht diskutieren will. Vond en Rechtsradikalen hab
ich bisher nichts Intelligentes zu hören bekommen, die linksradikale
Gesellschaft dagegen habe ich erlebt. Ich will BEIDE nicht noch mal
umgesetzt sehen.

> Da kommen wir ja langsam am Ausgangspunkt der Diskussion an. Warum
> ist die 'gesllschaftliche' 'bürgerliche' Mitte (wo auch immer die
> sein soll ;) ) nicht in der Lage sich politisch zu artikulieren? Es
> geht doch in anderen Ländern (mein Blick nach Südamerika).

Vermutlich, weil unsere VERTRETERDEMOKRATIE die Standpunkte der
bürgerlichen Mitte in der öffentlichen Diskussion fest besetzt hält,
so daß die bürgerliche Mitte nicht auf eine programmatische
Hinterfütterung ihrer Position rückgreifen kann?

Du hast selbst den Finger drauf: Der Neoliberalismus duldet keine
Alternativen im gleichen Lager, sondern assimiliert sie argumentativ.
Das ist das Problem der bürgerlichen Mitte - speziell in einer
Mediokratie, wo Standpunkte sowieso extrem verkürzt und
verschlagwortet werden. Die "Mitte" wurde in der gesamten Breite
durch die etablierten Parteien besetzt - unabhängig ob sie
programmatisch überhaupt abgedeckt wurde.

> da sind wir uns ja doch näher, als ich im Verlauf deiner Antworten
> befürchtet habe.

Sicher - ich bin nur ein wenig zentralismusfeindlicher als du :)

Lies mal "Das Spiel Azad" von Iain Banks. Der beschreibt mit der
KULTUR angenehm unaufgeregt eine Gesellschaft, die mir gefällt und
die unter dem Aspekt einer Überflußwirtschaft tatsächlich zu
funktionieren scheint (nein, Banks ist gerade KEIN Kommunist, auch
wenn seine Romane so mißinterpretiert werden). Dieses Buch speziell
reflektiert in Form des Imperiums Azad unsere Gesellschaft und läßt
auch einige Aspekte anklingen, die die KULTUR da untersscheiden.

> Da erwische ich mich aber auch häufig bei ;( Aber ich bemühe mich ...

Ich sag nur: Ich will ein NNTP-Gateway :)

CU :)

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