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  • Mrothyr

mehr als 1000 Beiträge seit 01.06.2001

Re (II)

...

> Ja genau....und ? Wo ist das Problem?

Beim Bauernaufstand ging es durchaus blutig zu.

> So funktioniert Demokratie nun
> mal.

Nein, so funktioniert sie nicht. Demokratie ist Machtteilung, nicht
Machtausübung. Demokratie ist die Vermeidung von Machtkonzentration
über das absolut notwendige Maß hinaus. Hier geht es aber, wie auch
beim Bauernaufstand, um die Übernahme von Machtpositionen, um die
Durchsetzung eigener Interessen auf der Grundlage von konzentrierter
Macht. Das ist keine Demokratie, das ist Krieg. Das kann nur Mittel
zum Zweck sein - aber niemals ein normales Mittel zur
Entscheidungsfindung.

> Man muss sich konsequent einsetzen für das was man erreichen
> will. Einmal zu einem netten Sonntagsspaziergang mit
> 'Plakathochhalten' gehen reicht nun mal nicht aus, um sich gegen
> milliardenschwere Konzerne durchzusetzen, da muss man schon
> deutlicher werden.

Das Problem ist, daß es diese Konzerne überhaupt gibt. Womit wir
wieder beim Ursprungsthema sind: Wo liegen die Ursachen? Wir können
auch wieder mit Maschinen stürmen anfangen - aber das ändert nichts.
Das Problem ist der Konzentrationsprozeß, der die politische
Entscheidungsfindung entmachtet hat, der die Politik in eine
defensive Rolle gedrängt hat. Dies wußten die Neoliberalenschon, die
Definition dersozialen Marktwirtschaft beinhaltete eine starke
Staatsrolle, die auch Monopolen aktiv entgegenwirken sollte. Dieser
Staat ist aber ENTMACHTET, dieser Staat ist SCHWACH - ein Kampf auf
der Straße richtet sich aber immer gegen den Staat und nciht gegen
den den Staat dominierenden Lobbys. Die Betroffenen müssen fähig
werden, ihre Entscheidungen im Markt auch POLITISCH zu fällen. Ein
Anspruch, den allerdings auch die grüne Bewegung erfolglos stellte.

> Jaja....im Ausreden suchen um uns nicht auf die Straße zu begeben und
> lieber bequem im Internet zu jammern sind wir Weltmeister. ;)

Das Internet ist ein Kommunikationsmedium. Es geht hier nicht um
jammern, sondern um Ideen- und Informationsaustausch. Ich sehe keinen
Sinn in Demos. Ich denke, die Bevölkerung muß bildungstechnisch auf
einen Stand gebracht werden, wo sie ihre marktregulative und damit
auch politische Funktion begreift.

> Ex DDR-Bürger? Da habe ich mal eine kleine Frage. Warum habt ihr
> eigentlich damals die DDR in die Geschichtsbücher verbannt, wenn ihr
> heute wieder seelenruhig dabei zuschaut das der gleiche
> Überwachungsmist in Gesamtdeutschland wieder etabliert wird?

Seelenruhig? Nein. Fatalistisch ist der richtige Ausdruck. Ich wollte
die DDR nciht in die Geschichtsbücher verbannen, ich habe den
EInigungsprozeß damals schon kritisch gesehen. Ich habe VOR der
Wiedervereinigung bereits erlebt, wie die DDR als reiner Absatzmarkt
behandelt wurde. Ich habe gesehen, wie die Wendehälse ihre Stellung
ausnutzten und Unternehmen in Abhängigkeit gebracht haben. Ich war
gegen die Wiedervereinigung, war allerdings für eine Demokratisierung
nach bundesrepublikanischem Muster (oder was wir damals dafür
gehalten haben - also quasi die "soziale Marktwirtschaft", die wir
aus der Theorie kannten). Ich kann dir heute nicht mehr sagen, ob ich
damals die bundesrepublikanischen Realitäten verkannt habe oder ob
wir tatsächlich in den Jahren seit der Wiedervereinigung einen
derartigen gesellschaftlichen Abstieg erleben. Der Beitrittsvertrag
war und ist für mich ein Schanddokument, dessen Auswirkungen wir bis
heute spüren, weil damit große Teile der Aktiva und Passiva der DDR,
die durchaus zur Refinanzierung der Einheit hätten dienen können,
ohne entsprechende Gegenleistung privatisiert wurden.

Nein, die "Verbannung der DDR in die Geschichtsbücher" war ein
typischer Zauberlehrling-Effekt. Die Geister, die man rief (das
gemeine Volk, das das gute Leben des Westens wollte - und zwar jetzt)
wurde man halt nicht mehr los, indem man im Prinzip den Wiederaufbau
aus eigenen Kräften schaffen wollte. Die Masse wurde korrumpiert
durch Westgeld und Privatfernsehen, von Ananas und Spanienurlaub. Die
"Revolution" in der DDR war halt eine Bananenrevolution - die
geistigen Kräfte dahinter wollten wohl eine selbstbestimmte Änderung
des politischen Systems, die mobilisierte Masse wollte nur die
grüneren Wiesen in Nachbars Garten. Die Demokratisierungsbewegung von
'89 ist ja inzwischen auch weitgehend assimiliert wurden - oder was
ist übrig vom Bündnis 90 bei den Grünen? Was ist übrig von der
bürgerlichen Bewegung, die hauptsächlich die FDP assimiliert hat? Die
DSU etwa? *kicher*

> nein, weil sich keine Sau für den Erhalt der sozialen Marktwirtschaft
> einsetzt und lieber versucht den eigenen Hintern an die Wand zu
> bekommen('Vieleicht erwischt es ja dann nur den Nachbarn')

Irrtum. Keine Sau weiß, was die "soziale Marktwirtschaft" von der
wirtschaftsliberalen Marktwirtschaft der USA unterscheidet. Die Ideen
dahinter sind heute kein Thema mehr - weder in der öffentlichen
Diskussion noch im Diskurs der politischen Akteure. Die Linke schreit
"Neoliberalismus", die Marktliberalen schreien "Kommunismus" und
dazwischen gibt es nichts mehr. Daß die "soziale Marktwirtschaft" auf
einer liberalen Gegenbewegung zum smithschen Neoliberalismus fußt und
gerade ein Gegenkonzept zum Wirtschaftsliberalismus bildete (auch aus
der Erkenntnis heraus, daß der Wirtschaftsliberalismus ursächlichen
Anteil an der Radikalisierung breiter Bevölkerungsschichten in Europa
hatte) - und die Veramerikanisierung der deutschen Gesellschaft
diesen dritten Weg verrät - das können die Meisten heute nicht mal
mehr argumentativ unterfüttern. Und da sind die gelernten DDR-Bürger
aufgrund ihrer ideologischen Vorbildung noch im Vorteil - sie haben
wenigstens didaktische Grundlagen bekommen. Wenn ich mir heute
ansehe, was die Jugend in Gesellschaftskunde erzählt bekommt...

> Also ich habe auch nur Fachhochschulabschluss und eine
> Berufsausbildung und kann mir zusammenreimen was hier abgeht.

Du kannst es dur nur "zusammenreimen"? Schlimm genaug, daß du dir
etwas zusammenreimen mußt, statt grundsätzliche Bildung über
Marktmechanismen, liberale Grundkonzepte und politische Systematiken
zu bekommen.

> Meine
> Beobachtungen sagen mir eher, das die Menschen (kann mich da leider
> auch nur teilweise von ausnehmen) zu bequem sind um sich für ihre
> Rechte und in letzter Konsequenz auch für ihren Besitz einzusetzen.

Nein, sie sind nicht zu bequem. Das Problem ist, daß wir eine Art
Vertretergesellschaft etabliert haben. Die Menschen sind nicht zu
bequem, für ihre Rechte einzutreten, sondern sie haben gelehrt
bekommen, daß es immer jemand gibt, der für ihre Rechte eintritt. Sie
müssen den nur hin und wieder dafür legitimieren ("Wahl"). Die
Vertreterdemokratie hat die Menschen dazu erzogen, ihre
Artikulationsfreiheit ebenso wie die Verantworttlichkeit für die
politische Entwicklung an geeignete Institutionen zu delegieren. Es
gibt selbst für die schwulen Hamsterzüchter aus Hintertupfingen noch
eine Möglichkeit, eine geeignete Vertreterinstanz zu benennen, der
sich für ihre Rechte starkmacht. Der gelernte Bundesbürger ist
jemand, der es gewohnt ist, Verantwortlichkeiten zu delegieren und
delegiert zu bekommen.

Mir gefällt bei deiner Wortwahl übrigens eins nicht: Du setzt
implizit "Besitz" höher als "Rechte" ("...sich für ihre Rechte und in
letzter Konsequenz auch für ihren Besitz..."). Mal abgesehen davon,
daß es einen Unterschied zwischen Besitz und Eigentum gibt, sind die
Rechte eines Individuums für mich immer höher zu setzen als deren
EIgentum, weil Eigentum ERSETZBAR ist. Persönlichkeitsrechte aber
nicht. Eigentum, Besitz fußt auf Individualrechten...

> Viele wissen und verstehen was hier abgeht, ignorieren es aber
> einfach, da am 1. ja doch noch die Gehaltsüberweisung kommt und es
> doch einfacher ist die Klappe zu halten und lieber auf
> Schnäppchenjagd zu gehen.

Sie wissen es nicht besser. Momentan haben sie ja noch weitgehend
eien Scheinfreiheit. Trifft ja nur die Anderen.

> Das ist unbedingt erforderlich! Aber damit eine Gegenbewegung
> transnational wird  muss sie erstmal auf nationaler Ebene entstehen
> und sich dann international Vernetzen. Das Weltsozialforum war
> schonmal ein erster Ansatz finde ich.

Vielleicht. Aber das Problem ist nicht nationalstaatlich, es ergibt
sich daraus, daß ein transnational freibewegliches Kapital die
einzelnen nationalen Gemeinschaften gegeneinander ausspielen kann.
Deswegn hielt ich auch mal die Gründung der E(W)G für eine gute Idee.
Nur leider wird der europäische Einigungsprozeß ja heute schon durch
die Kapitalvertreter korrumpiert, eine demokratische Kontrolle ist
nur scheinbar gegeben.

> Schade das ich erst jetzt Gelegenheit zum antworten habe. Vieleicht
> gibt es ja trotzdem noch eine Reaktion ;)

Jo, allerdings eher durch Zufall...

CU

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