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  • Mrothyr

mehr als 1000 Beiträge seit 01.06.2001

Re (III)

demokratie schrieb am 20. September 2006 16:27

> Somit bin ich ein
> Befürworter der direkten Demokratie und, inzwischen, Gegner der
> Demokratie des Parlamentarismus oder auch der repräsentativen
> Demkratie. Grund hierfür ist das die Gewaltenteilung und der
> Repräsentationsgedanke durch das Kapital mittels Korruption völlig
> unterlaufen worden ist und (nennen wir ihn mal) "Otto-Normal-Bürger"
> aus den Entscheidungsprozessen fast völlig ausgeklammert (zum teil
> auch aus dem von mir beschriebenen Desinteresse)

Hier stimmen wir durchaus überein. Deswegen ja auch meine Aussage:
Demokratie ist Machtteilung, ist Machtauffsplitterung, ist die
Begrenzung von Machtkonzentration auf den minimal notwendigen Wert.
Die parlamentarische Demokratie ist deswegen veraltet, weil die
technischen Mittel zum Diskurs, zur kommunikativen EInflußnahme die
Etablierung von Vertreterforen unnötig machen. Die Machtkonzentration
in Parlamenten war notwendig, weil ansonsten die Entscheidungsfindung
ZU LANG dauerte. Dieser Zustand hat sich umgekehrt.

Übrigens halte ich VOLKSENTSCHEIDE ebenso für verfehlt. Der Entscheid
setzt zu spät an, die Entscheidung bestimmt der, der die wählbaren
Alternativen definiert. Deswegen brauchen wir eien Zerschlagung der
parlamentarischen Hierarchien und eine Glasnost-Bewegung in der
politischen Klasse - keine Volksentscheide oder Barrikaden. Wenn
allerdings Barrikaden notwendig sind, um die Macht wieder nach unten,
an das Volk, zu verteilen, bin ich gern dabei.

> Das ist für mich ein entscheidender Punkt. Demokratie (und zwar die
> von mir angestrebte direkte) und Kapitalismus sind nicht miteinander
> vereinbar.

Absolute Übereinstimmung. Kapitalismus ist Kapitalkonzentration,
Diktatur ist Machtkonzentration - ein kapitalistisches System wird
damit immer zu einem diktatorischen System tendieren.

> Entweder durch ein alternativ zu entwickelndes
> Warenverteilsystem (nichts anderes sollte ein "Wirtschaftssystem
> eigentlich sein) oder durch Demokratisierung der Konzerne.

Wie wäre es einfach wieder mit MARKT? Und der Staat bekommt einen
eindeutigen Regulierungsauftrag, nämlich Kapitalkonzentrationen
aktiv, um nicht zu sagen aggressiv, zu zerlegen? Markt im
ursprünglichen SInne ist das für den Waren- und Geldverkehr, was
basisnahe Demokratie für die Machtverteilung ist. Marktwirtschaft und
Demokratie harmonieren sehr gut, das Problem ist der
Konzentrationsprozeß im Markt (Problem der gleichen Augenhöhe).

> im Weg sind. Es hat in der Geschichte schon öfter den Fall gegeben,
> das Konzerne verstaatlicht wurden, weil sie zu mächtig geworden sind.
> Dieses Vorgehen sollte man mal wieder ins Auge fassen. Die Konzerne
> verstaatlichen, in vernünftig große Teilunternehmen wieder aufteilen
> und in sozialverantwortliche Hände zurück privatisieren. Jetzt werf
> mir nicht gleich wieder realitätsferne vor, mir ist selber klar das
> das ein weiter Weg ist.

Das ist ein Ansatz, der von mir geteilt wird. Und das ist ein Ansatz,
der auch von anderen liberalen Kräften geteilt wird. Wo der Staat den
Markt und dessen Mechanismen sichern soll. Denn der Markt kann es
regeln - wenn es Konkurrenz auf Anbieterseite gibt.

> Demonstrieren und zwar als legitimer Ausdruck des
> verfassungsrechtlichen Souverän unseres Landes (Alle Macht geht vom
> Volk aus).

Ach, als Ausdruck können sie gern rumlaufen, hab ich kein Problem
mit. Aber nsonsten betreiben sie Erpressung der Mächtigen, weil sie
an den Mechanismen der Macht vorbei Forderungen durchsetzen und so
auch alle Checks & Balances unterlaufen. Ich hab zumindest bisher
keine Demonstrationen gesehen, die einer Demokratisierungsbewegung
ähneln würden und das Ziel hatten, die Macht zurück an das Volk zu
geben - und zwar innerhalb sinnhafter Kontrollsysteme.

> Wie ließe sich dieser Widerstandswille denn wieder beleben?
> Erfahrung, wie man ein System kippt muss ja vorhanden sein ;) Ich
> möchte nicht, das dieses potential nur von den Rechtsradikalen
> genutzt (bzw. missbraucht) wird.

Radikalismus ist eine externe Klassifizierung - es gab Zeiten, da
waren die heutigen Rechtsradikalen die Mitte der Gesellschaft. Und es
gab Zeiten, da war die heutige Mitte der Gesellschaft ein widerlich
brauner Sumpf. Das Potential, das die Rechtsradikalen ausnutzen, ist
das Potential, das die etablierten Parteien erst schaffen. Zum
Beispiel durch das Spielen mit nationalistischen und xenophoben
Positionen (Beckstein, Stoiber). Durch bedingungslose Anbiederung an
das Großkapital (Schröder, Merkel - du erinnerst dich an die
Geschichte der NSDAP und welches Potential die zuerst aktiviert
haben). Durch die Aufgabe der nichtmilitärischen Interventionspolitik
zugunsten militärischer Aktivitäten (Kriegswirtschaft war schon
einige Male bei einigen Völkern das Mittel der Wahl, innere Konflikte
zu unterdrücken).

Insofern ist der Widerstandswille genau da, wo du ihn nicht sehen
willst: Bei den radikalen Organisationen. Das Meinungsspektrum der
Mitte halten die etablierten Parteien IN DER ÖFFENTLICHEN SICHT fest
besetzt, Demokraten und Liberale finden sich dort nicht wieder, sehen
aber auch keine programmatischen Alternativen. Unser Parteiensystem
verbaut kapitalschwachen Vertreterorganisationen den Weg zur
Machtbeteiligung - insofern bleiben nur die radikalen Organisationen
übrig, da das Potential der Mitte mehr oder weniger in den
etablierten Parteien konzentriert wird. Die radikalen Organisationen
sind BTW auch die einzigen Organisationen, die sich momentan
"kampfbereit" zeigen - also ihre außerparlamentarische Opposition
durchaus auch gewaltsam fortzuführen bereit sind. Für viele Vertreter
gemäßigter Standpunkte (mich eingeschlossen) ist dies (noch?) keine
Option. Eher wandern die Leute, die eine gewaltsame Zerschlagung
befürworten, in die extremen Lager ab, als daß sich im gemäßigten
Lager eine starke und artikulationsfähige APO etablieren kann. Ach
übrigens: Wenn ich von extrem rede, rede ich von rechts UND links.
Das rechte Lager hat kein Monopol auf Terrorsysteme.

> den Wirtschaftsliberalismus stattfindet. Der 'Neoliberalismus'
> (bleiben wir mal bei dem von dir ungeliebten Begriff) MUSS als
> Alternativlos erscheinen. Das ist DAS Dogma dieser Ideologie.

Und hier sind wir wieder beim Grundproblem der heutigen Zeit:
Bildung, Bildung, Bildung. Die Grenzen, die Probleme des "modernen
Neoliberalismus" sind doch schon mit Logik zu durchschauen, allein
die momentane marktliberale Politik muß früher oder später zum
Zusammenbruch des Systems führen (Ausbluten der Absatzmärkte,
Kannibalisierung der Anbieter, Nachfragekrise mangels
verkonsumierbaren Einkommens - und zwar GLOBAL). Wenn es nicht mit
extremen Verwerfungen und massenhaften menschlichen Tragödien
einherginge und ei danach kommende Terrorherrschaft auch nicht gerade
als Alternative erscheint könnte man simpel abwarten, bis das
Kartenhaus zusammenbricht. Die Rhetorik, die der
Wirtschaftsliberalismus da abläßt, all die Versuche, bestimmte
Menschengruppen oder Sozialmaßnahmen zu diskriminieren oder
gemeinschaftliche ERFOLGREICHE Konzepte (wie das duale
Ausbildungssystem, das auch eien starke Sozialkomponente darstellt)
zu vernichten - all dies muß doch einem normal gebildeten Menschen
auffallen.

> Außer das ich auswendig lernen musste, wieviel Parlamentarierer in
> welcher Kammer sitzen, wann ich wen zu wählen habe und wie die
> Gewaltenteilung funktionieren sollte, habe ich von Dialektik oder
> politischer Meinungsbildung nichts mitbekommen.

Schlimm. Dafür haben wir dann, als es konkret wurde, Rotlicht
bekommen. Ich bezweifle, daß das so viel besser war. Der Unterscheid
war wohl, daß wir tatsächlich ÜBERZEUGT werden sollten, daß es bei
uns eine halbe Gehirnwäsche war - und dabei natugemäß auch
Grundlagenwissen rumkam. Der Westen machte Formalschulung - Fakten,
Fakten, Fakten und ja nicht ans Interpretieren denken. Und die Fakten
werden mangels Geldmitteln immer weiter reduziert.

> Wunderbare Argumentation für eine direkte Demokratie.

Ja sicher, ich bin ein Fan der direkten Demokratie. Und zwar eben
nciht der Eventdemokratie mit Volksentscheiden, die trotzdem zentral
organisiert und umgesetzt werden, sondern der basisnahen Demokratie,
wo Einflußnahme so gewöhnlich ist wie Zeitunglesen. Wo anstehende
Entscheidungen transparent diskutiert werden - und zwar mit der
gesamten Gruppe, die sich betroffen fühlt.

> Besitzrechten nicht versteht. Sie denken, sie können sich ihren
> Besitz sichern, indem sie Häpchenweise ihre Freiheiten aufgeben.

Ja, sie nehmen ihr EIgentum als "gottgegeben" an. Daß Eigentum
eigentlich nur eine gesellschaftliche Vereinbarung ist, die bei zu
großem Ungleichgewicht schnell aufgekündigt werden kann, vergessen
die Meisten.

> Wahrscheinlich muss das parallel geschehen. Attac war schonmal kein
> schlechter Ansatz oder das Weltsozialforum.

Kommt drauf an. Zumindest das, was ich bisher von Attac sehe, leidet
am APO-Problem - sie stehen außerhalb der politischen Mechanismen und
könnens ich so nur auf Erpressungsversuche, also das Aufkündigen des
sozialen Friedens, zurückziehen. Dazu geht es aber zumindest den
Menschen der ersten Welt eigentlich noch zu gut (auch und gerade in
Deutschland).

> Vieleicht gibt es ja noch weitere ;) Leider verlegt sich das TP Forum
> immer mehr auf gegenseitiges anpöbeln, statt auf Diskussion.

Zu viele Leute, zu geringe Aufmerksamkeitsspanne, zu viel
missionarischer Eifer. Es ist schwer, in einem Forum eingehend zu
diskutieren, wo man schon Probleme hat, die eigenen Beiträge von vor
zwei Tagen nachzuverfolgen - geschweige denn die Diskussionen sauber
nach Interessen zu filtern. Ja, ich bin ein alter, aber in letzter
Zeit eher inaktiver Usenet-Freak :)

Was das Pöbeln betrifft: Telepolis ist da noch handzahm. Schau mal
nach dspm :)

CU

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