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  • Mrothyr

mehr als 1000 Beiträge seit 01.06.2001

Hmm (II)

> Schon....aber hier kommt das desinteresse an der Demokratie wieder
> zum tragen. Demokratie ist nunmal per Definition ein instabiles
> System (und das ist auch gut so) das jedem Bürger politische
> Anteilnahme ermöglicht (oder ermöglichen sollte). Problematisch wird
> es, wenn der Bürger diese Beteiligung (ich sag mal provokant) aus
> Bequemlichkeit nicht wahrnimmt und sich lieber "regieren lässt".

Ich seh aber vor allem eine bürokratische Verholzung bei
gleichzeitiger Machtkonzentration. Die lokale Entscheidungsfähigkeit
wird immer weiter ausgehölt, Gesetzesänderungen speziell bei der
Steuerpolitik gingen primär zu Lasten der kommunalen Haushalte (bis
zum Extrem - der Zahlungsunfähigkeit der Kommune und der darauf
folgenden Übernahme der Entscheidungsgewalt durch dei
Aufsichtsbehörden). Persönlich denke ich, daß der Versuch, in eine
ENTSCHEIDUNGSFÄHIGE poltische Position zu kommen, dich soweit vom
Volk, von der Basis entfernt, daß deine Entscheidungen zwangsweise
falsch bzw. lobbyorientiert sind. Denn die Entscheidungen selbst
werden von immer höher geschichteten Hierarchien getroffen. Die
Druckwirkung von oben nach unten ist da mannigfaltig - das geht von
Parteitreue bis hin zu Regulierungsvorschriften.

> Das stimmt so nicht. Der Aspekt der Bevölkerungsentwicklung muss hier
> vernachlässigt werden denke ich. Die sogen. Mittelschicht ist ja
> keine eigenständige "Klasse" die abgeschlossen für sich lebt. Die
> Mittelschicht wird durch ihre Kaufkraft definiert und nicht, sagen
> wir mal, durch ihren Familienstand. Die Mittelschicht ist die zu
> Wohlstand gekommene Arbeiter- und Angestelltenebene mit Haus, Hund,
> Auto und genügend Kapital für die Grundversorgung plus Luxuskonsum.

Hmm, das Problem ist, daß die sich durchaus isoliert. Die
Ghettoisierung ist ebenso fakt wie die Stadtflucht. Die Entwicklung
hin zu No-go-Areas, national befreiten Zonen, Parallelkulturen,
privat bewachten Schutzgebieten hat auch bei uns eingesetzt. In
Deutschland ist der soziale Status eines Kindes bereits so
entscheidend für die Bildungsmöglichkeiten wie in Drittweltländern.
Die Durchlässigkeit der Gesellschaft tendiert gegen Null. Selbst der
Kulturbetrieb, früher der große Gleichmacher, entwickelt aufgrund der
Filterwirkung der Medien und der Unterteilung in (aktive) Produzenten
und (passive) Konsumenten inzestiöse Tendenzen.

Du selbst hast von Klassenkampf gesprochen (weiter unten) - dazu
gehört auch, daß man die Existenz einer isolierten Mittelschicht,
einer Klasse zwischen Proletariat und Großkapital, akzeptieren muß.

> Diese Ebene blutet momentan aus. In Deutschland ist dieser Vorgang
> noch nicht abgeschlossen, aber z.B. in den USA ist die Mittelschicht
> nahezu verschwunden, da dieser Schicht fast völlig das kapital
> entzogen wurde. Dies geschah (bzw. geschieht bei uns) durch die
> sogen. Privatisierung. Die staatlichen Leistungen der
> umlagefinanzierten sozialen Sicherungen sind kommerzialisiert
> worden(sofern in den USA vorhanden) und die Mittelschicht musste nun
> ihr gesamtes Kapital zu Existenssicherung ausgeben.

Hier stimme ich dir durchaus zu. Wir bewerten diesen Effekt nur etwas
anders (fluchtfähiges vs. nichtfluchtfähiges Kapital bei mir).

> Nicht ganz. man darf nicht die Mittelschicht der Bevölkerung mit den
> Mittelständischen Unternehmen verwechseln. Das sind zwei verschiedene
> Dinge.

Die mittelständischen Unternehmen sind in der Mittelschicht
verankert. Beides sind nur zwei Seiten einer Medaille.

> Weiter ist nicht die Gesellschaft feindlich gegenüber der
> mittelständischen Wirtschaft(die ja knapp 80% alle Arbeitsplätze in
> Deutschland stellt) eingestellt, sondern das Großkapital und die
> multinationalen Konzerne.

Tja, du machst diesen Untersachied, ich mach den. Aber der
durchschnittliche Arbeitnehmer nicht.

> Ach naja. Du wirkst ja nicht eben Kritikunfähig oder? ich denke auch
> das die Mehrheit der Kritiker des Neoliberalismus ebenso wie die
> Montagsdemonstranten durchaus differenzieren können.

Die STimmung war aufgeheizt dort. Das ist nicht das Klima für
Grundlagendiskussionen, da werden Parolen geschrien und "Schuldige"
benannt. Um Prozesse, kausale Wirkungsketten und Eigenverantwortung
ging es da nicht.

> Doch das hat man begiffen. Die Kritik richtet sich ja auch gegen die
> Unternehmerverbände und Konzerne. Sicher gibt es auch in den
> Kritikerkreisen Menschen die nicht in der Lage sind zu
> differenzieren, aber die bilden dort nicht die Mehrheit.

Hmm, merkwürdig. Ich habe im Zusammenhang mit der mittelständischen
Wirtschaft eigentlich nur gehört, wenn die sich gegen die Patentideen
des EPA und des Rates gestellt haben (meist wirkungslos, die Bitkom
und andere großindustrielle Lobbyisten übernahmen dann ja wieder die
Deutsungshoheit für "die Wirtschaft"). Im Rahmen der
Wirtschaftsentwicklung werden auch die Kleinunternehmen immer unter
"Arbeitgeber" subsummiert, die Löhne reduzieren und am liebsten nach
Polen auswandern wollen. Und zwar von allen politisch aktiven
Kräften. Und ja, ich geb zu, die einschlägigen Verbände tun ihr Teil
dazu - wenn ich den Handwerkskammerpräsidenten sehe fehlen mir auch
99 Cent zu nem Euro.

> Aber nur für die mittelständischen Unternehmen. Die Konzerne
> interessiert nur die Exportwirtschaft und der Kapitalgewinn. Wenn
> Deutschland wirtschaftlich mal am Ende sein sollte....na und....gibt
> genug andere Länder die es auszubeuten gilt. Argentinien ist ein
> gutes Beispiel für dieses Vorgehen.

Es ist extremer - die großen Unternehmen interessiert nicht mal mehr
der wirtschaftliche Erfolg. Es geht um Kapitalrendite an der Börse -
und zwar in immer kürzeren Zeiträumen. Und wie du sicher auch weißt
kann man auch bei Wertverlusten Gewinne machen. Wenn ich nur an die
Krokodilstränen damals vom Intershop-Chef denke, der zugeben mußte,
daß er nicht mehr genug Kapital an der Börse auftreiben kann, um die
operativen Kosten des Unternehmens zu decken - ja mein Gott, was ist
das für ein Unternehmen, das seine operativen Kosten nicht aus der
eigenen Unternehmenstätigkeit deckt? Auch die Unternehmenskultur ist
völlig pervertiert, speziell in den Großstrukturen.

> Also ich fürchte(und das als 'Nichtmarxist) das der Klassenkampf
> mittlerweile wieder Realität ist. Nur wird er diesmal von "Oben nach
> Unten" geführt.

Zum Kampf gehören immer mindestens zwei. Aber zugegeben - momentan
ist eher das Kapital in der Offensive, um einen gesellschaftlichen
konsens zu verschieben.

> Entschuldige wenn ich das mal so arrogant sage. Mensch MUSS sich die
> Zeit nehmen. Alternative wäre ein Feudalsystem oder eine Diktatur. Da
> brauch man sich die Zeit dann nicht mehr zu nehmen.

Ja. Aber Zeit wird dann, wenn sie eben nicht im Übermaß zur Verfügung
steht, auch unter Effizienzgesichtspunkten verbraucht. Und von der
Wirksamkeit eienr Demonstration für ich als Kleinunternehmer konnte
mich eigentlich noch niemand überzeugen. Bei Hartz IV damals über
eine Teilnahme nachzudenken udn einmal Präsenz zu zeigen war auch
eher aus dem Grund, weil einfach der Druck, der Frust rausmußte.

Teil 2 morgen...

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