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  • Mrothyr

mehr als 1000 Beiträge seit 01.06.2001

Rere

demokratie schrieb am 25. September 2006 16:14

> Ja diese Entwicklung beurteile ich fast genauso. Nur das
> Eigentumsdelikte trivialisiert werden denke ich nicht. Ich finde
> eher, das die Entwicklung ähnlich wie in den USA abläuft, wo die
> Justiz sozusagen den "Part des Sozialsystems" übernimmt. In den USA
> sind rund 30% aller unter dreißig jährigen Menschen bereits einmal im
> Gefängniss gewesen. Der gesellschaftliche Konsens 'Eigentum' wird
> dort zwar nicht mehr einheitlich geschützt, sondern nur noch
> partitiell für den reichen teil der Bevölkerung.

Ich denke, du siehst hier nur einen Teil des Problems. Auf der einen
Seite meine ich mit "trivialisiert" durchaus die Toleranz gegenüber
trivialen EIgentumsdelikten, wie sie in Deutschland schon mal
propagiert wurde - gerade von der Linken (Ladendiebstahl straffrei
stellen, du erinnerst dich?). Dies halte ich für falsch - dies
straffrei zu stellen wäre ein negativer Sozialisierungseffekt. Auf
der anderen Seite meine cih aber auch die zunehmende Dunkelziffer von
gemeldeten Delikten, die unter Vandalismus abgelegt werden oder
mangels Erfolgserwartung gar nicht gemeldet werden. Oder deren
verfolgung nicht durchgeführt wird (mangels einschlägiger
Ermittlungskapazitäten). Auch eine immer schwächere Strafverfolgung
ist im Endeffekt eine Trivialisierung - und diese ist sowohl in den
USA als auch in Deutschland (und vermutlich auch im Rest der Welt)
durchaus zu bemerken.

> die Justiz vor den Armen geschützt. Erinnerst du dich an das
> Hochwasser in New Orleans? Dort rückte ja dann nach ein paar Tagen
> die Armee an, nicht um zu helfen sondern um mit Gewalt die
> Besitzstände der Firmen und reichen Bürger zu sichern.

Das war ganz übel - scheint aber eine systemimmanente Entwicklung des
Wirtschaftsliberalismus zu sein. Alles, was nicht direkt verwertbar
ist, ist auch nicht schützenswert.

> Diese Entwicklung ist bei uns auch zu bemerken finde ich. Die 'Gated
> Community' ist zwar bei uns noch selten, hat aber auch schon Einzug
> gefunden.

Jo, schon längst. Auch wenn die Tore noch mehr oder weniger virtuell
sind.

> Also zusammenfassen, denke ich das der sogenannte Konsens 'Eigentum'
> zukünftig eher mit (Staats-) Gewalt durchgesetzt werden wird udn zwar
> von oben nach unten.

Dies ist dann aber eben kein Konsens mehr. Das Wichtigste am Konsens
"Eigentum" war ja, daß er von den Menschen akzeptiert und mitgetragen
wurde, daß Eigentumsdelikte soziopathischer Natur waren. Ein
resozialisierungsorientiertes Strafsystem wie das Deutsche trug dem
Rechnung - es muß aber versagen, wenn "Eigentum" kein
gesamtgesellschaftlicher Konsens, sondern ein gewaltsam
durchgesetztes Privileg darstellt. Dann wird auch das
vergeltungsorientierte Strafsystem der USA nachvollziehbar - es soll
ja abschreckend wirken. Dieses Justizsystem entspricht einer
Gesellschaft, die keinen inneren Konsens kennt, sondern ihre inneren
Konflikte mit Gewalt unterdrückt.

> Nur, warum werden diese Waren denn momentan immer teurer?
> (Elektronik, KfZ's etc.)

Hmm, ich muß ehrlich gesagt die gegenteilige Entwicklung
konstatieren, sehe eher immer noch eine allgemeine Abwärtsbewegung
der Preise. Warum einzelne Waren hochgehen? Wohl weil es die Leute
bezahlen. Markt ist eigentlich simpel: Der Anbieter kalkuliert einen
Preis und versucht den durchzusetzen. Setzt er das dafür ab ist es
nett - wenn nicht, geht er im Preis runter. Wenn die im Markt
angebotenen Waren nicht reichen, um die Nachfrage zu decken, geht er
im Preis hoch.

Gehen jetzt also Waren hoch heißt das, die Kundschaft nimmt die Waren
ab. Oder es werden neue Modelle eingeführt (bewährter Trick, um
preislich stark unter Druck geratene Produkte zu entlasten - man
labelt sie um) - und beginnt so die Angebot-Nachfrage-Spirale neu.

Wir haben das Gefühl, alles wird teurer. Dem ist nicht so, rein
monetär werden Industriegüter immer billiger. Aber es werden auch die
Produktzyklen kürzer, was sich in indirekten Preiserhöhungen
niederschlägt - und vor allem wird das zum Konsum zur Verfügung
stehende Kapital immer weniger, weil die Ausgabenstruktur der
privaten Haushalte sich immer mehr in Richtung Lebenserhaltung und
laufende Kosten verlagert. Schau dir die Ausgabenentwicklung bei
Medien (Elektro, Gas, Wasser, Scheiße) an.

> ärgerliche Reaktionen. Ist schon interessant zu sehen, wie Kollegen
> die in der Firma die tolsten Projekte realisieren im Privatleben
> nicht in der Lage sind von 'eins' über 'zwei' auf 'drei zu schließen.

Ich schalte bei solchen Diskussionen inzwischen geistig ab. Einzig,
wenn es mal wieder "Servicewüste Deutschland" heißt, spreche ich an,
daß wir den Verkauf aus genau dem Grund nur noch an ausgewählte
Kunden machen - denn preislich können wir nicht mit Discountern oder
gar den Ebay-Kistenschiebern mithalten.

Die meisten von den Leuten haben aber ehrlich gesagt kein Gefühl für
den Wert der _eigenen_ Zeit. Ich bezahle gern mal etwas Geld für eine
Dienstleistung - simpel weil ich nach 10 Stunden Arbeit dies nicht
auch noch auf dem Hals haben will. Ich geh zum Fachhandel, weil er
(a) mein Kunde ist und das an ihn gezahlte Geld an mich sowieso
zurückfließt und (b) seine Dienstleistung für mich GELDWERT ist. Denn
meine Freizeit ist für mich geldwert - ich habe zu wenig davon, als
daß ich in dieser auch noch arbeiten will. Mithin bezahle ich jemand,
daß er diese Arbeit für mich übernimmt: Den Fachhandel, der das als
seinen Service rund um das Produkt versteht. Und genauso sehe ich
meine Stellung gegenüber dem Kunden: Meine Dienstleistung ist
geldwert, mithin ist dasselbe Produkt teurer als im Discount oder per
Netz. Aber trotzdem aufgrund der damit zusammenhängenden
Dienstleistung preiswert.

Wer aber seinen eigenen Freizeit keinen Wert zumißt - nun der wird im
Discount immer Schnäppchen machen. Sei es ihm gegönnt.

> Ich muss sagen, das ich 'Grund 2' eigentlich erschrckender finde, da
> es beinhaltet, das das riesige System Kapitalismus ein Selbstläufer
> geworden ist, dessen Richtung sich nicht mehr stoppen lässt und wir
> nur noch zusehen können, wie der Kapitalimus mit sich in die
> Katastrophe des Zusammenbruchs zieht.

Ich denke, daß beide Gründe zutreffen. Das Großkapital treibt
stehenden Auges in den Zusammenbruch - in der Meinung, daß sie den
Arsch an der Wand haben und ihre Position nach dem Zusammenbruch
aufgrund der Kontrolle über die Produktionsmittel gesichert ist. Den
unvermeidlichen Zusammenbruch abzumildern, eine aktive Bewegung für
einen möglichst verwerfungsarmen Übergang in ein neues System zu
etablieren, ist dabei keine Alternative - riskieren sie doch damit
ihre eigene Position.

Warum, meinst du, will Bush auf den Mars? Nein, Scherz :)

> Nun, da sehe ich den Grund in der AUsweitung des Kapitalismus auf die
> ehemaligen kommunistischen Systeme. Dort ist momentan DER (Nachhol-)
> Markt. Wenn sich in China besser Geld verdienen lässt, wer brauch
> dann noch Deutschland als Absatzmarkt? In China gibt es auch keine
> Demokratie, keine lästigen Gewerkschaften, Umweltvorschriften etc..

Ja. Nur wird sich der Reisbauer trotzdem keinen Phaeton leisten
können, sondern höchstens ein klappriges Fahrrad. Und wenn dort die
Reishütten weniger kosten als bei uns die Baugenehmigung für eine
Garage sind auch Plasma-TVs dort eher ein Ladenhüter. Mithin wird, um
das Marktpotential dort abzuschöpfen, auch dort eine Lohnspirale nach
oben einsetzen MÜSSEN - so wie in Japan oder den Tigerländern.
Ansonsten bleibt es beim Luxusgut-Konsum - und die Massenproduzenten
gehen leer aus. Aber gut, wenn die auf einem massenkonsumfreudigen
Niveau angekommen sind ist vielleicht Deutschland als
Produktionsstandort interessant. Was ich nur zu bemerken glaube: Es
ist ein globaler Subventionswettbewerb eingetreten, der so von keiner
Volkswirtschaft gewinnbar ist. Das Argument mit den Lohnkosten ist
gerade bei Industriegütern kaum noch schlagend, der Anteil der
Lohnkosten an den Gesamtkosten ist sehr gering inzwischen. Trotzdem
geraten wir in Nachteil, weil wir verschiedene Standortvorteile
aufgeben (sozialer Frieden, hohes allgemeines Bildungsniveau,
ausgebaute Infrastruktur), statt diese gemeinschaftlich zu pflegen.
Ist auch kein Wunder, weil die Investition in diese Vorteile eine
indirekte Subvention für global agierende Unternehmen sind, die sich
am Steueraufkommen nur in extrem geringem Maße beteiligen. Inwieweit
die heutigen Boomstandorte dieses Subventionsniveau halten können:
Darauf darf man gespannt sein. Der Bonus aus dem guten (um nicht zu
sagen überlegenem) Bildungssystem der DDR war in der Ostzone
innerhalb von 10 Jahren durch Abwanderung und Ausblutung
aufgebraucht.

> Wie oft wird in letzter Zeit China in den Medien zum wirtschaftlihen
> Vorbild stilisiert. Vorbei die Zeiten, in denen protestierende
> Studenten noch als vorbildliche Freiheitskämpfer gesehen wurden.
> Heute werden sie durch unsere Medien zu Al Quaida Terroristen
> erklärt.

Naja, die Medien schweigen es eher tot. Und wenn man mal auf Phoenix
in einschlägige Fachrunden guckt, kommen auch andere Fakten zu Tage -
wie der Umstand, daß wohl letztes Jahr allein 10000 Menschen durch
Arbeitsunfälle in China ums Leben gekommen sind. Wieviel sind es in
Deutschland?

> Auf jeden Fall wird es wieder ein langer Weg werden, den jetzt aus
> Bequemlichkeit verlorenen Boden von den Konzernen zurückzugewinnen.
> DIE werden auch nicht einen Cent kampflos aufgeben.

Jo. Aber der Cent ist nicht das Problem. Sie unter Kontrolle zu
bekommen dürfte ein weiter Weg sein. Wenn schon bei wesentlich
trivialeren Dingen wie dem Klimaschutzabkommen nationalstaatliche
Interessen eine globale Einigung verhindern.

CU

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