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  • Mrothyr

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Andreas Bohland schrieb am 14. September 2006 21:59

> Also ehrlich gesagt, den Spruch vom "starken Mann" der mal "aufräumt"
> habe ich bei allem Gejammer schon lange nicht mehr gehört, nein, ich
> denke eher, dass darauf auch keine Hoffnung mehr gesetzt wird.

Du überinterpretierst da etwas. Ich meine nicht, daß die Menschen
einen "starken Mann" suchen - ich habe nur den EIndruck, daß sie auf
jemand warten, der ihnen die Verantwortung für ihr Leben abnimmt. Du
kannst das hier auf Heise gern mal verfolgen - bei solchen Themen
kommen auch fast immer Postings mit dem Grundtenor "die Deutschen
sind revolutionsunfähig und obrigkeitshörig". Ich halte von dieser
Ansicht nichts - die Deutschen sind nicht revolutionsunfähiger als
andere. Allerdings haben wir eine gepflegte Kultur der
Selbstabwertung entwickelt - mit dem Effekt, daß kein Deutscher sich
TRAUT, aufzustehen - sondern drauf wartet, daß die anderen
mitspielen. Revolution ja, aber nur, wenn alle anderen auch
mitspielen. Ja nicht selbst Verantwortung übernehmen, ja nicht selbst
den Kopf aus der Masse rausstrecken. Opportunisten halt...

> Dieses
> Desinteresse würde ich eher mit "innere Kündigung (der
> Staatsloyalität)" beschreiben. Den Leuten ist es einfach wurscht, wer
> den Karren aus dem Dreck zieht, auch weil sie - ihrer Erfahrung nach
> - der Karren eh nix angeht. Die Gründe dafür zählst du ja selbst auf:

Hmm, das ist ein anderer Komplex. Ich denke eher, es ist Fatalismus:
Den Karren zieht niemand mehr aus dem Dreck, also warten wir auf den
nächsten Karren, auf den wir aufspringen können.

> Eines würde ich schon sehen: mir missfällt an unserer modernen
> Demokratie nämlich zunehmend dieser Trend zum Mittelmaß, zum
> kleinsten gemeinsamen Nenner, zum Allen wohl und niemand wehe (und
> dabei vertuschen, dass doch manche nennenswerte Abstriche machen
> müssen).

Durchaus. Man muß sich ja heute schon entschuldigen, wenn man mal in
einer Diskussion rhetorisch überlegen ist...

> <arrogant> Ich bin wenigstens teilweise der Meinung, das
> einfach zu viele Leute bei zu vielen Dingen mitreden von denen sie
> nix verstehen und eine Problemlösung oft in der Art zustandekommt,
> dass es so gelöst wird, das die meisten Vorurteile und Resentiments
> unter einen Hut gesteckt werden.

Hmm, vor allem da Einwände gegen die "Problemlösung" dann
schubladengerecht portioniert und danach pauschal abgewertet werden.
Ohne auf den Einwand an sich einzugehen. Bestes Beispiel: Wenn
irgendwas gegen die momentane Mainstream-Marktdefinition geht, ist es
gleich "links". Da kann man sogar Bezug nehmen auf die Väter des
bundesrepublikanischen Liberalismus und der sozialen Marktwirtschaft,
die über den Verdacht des Linksradikalismus erhaben sein dürften -
selbst damit ist man heute pauschal "links" (und zwar ohne daß auf
die Thesen und EInwände selbst eingegangen wird - Klassenkampf und
Parteipolitik, aber keine Sachdiskussion).

> Die Lösung, die mir deshalb vorschwebt, ist das, was gerne mit
> "bürgerlichem Engagement" bezeichnet wird. Ansätze dafür gibt es

Ich kürz das Folgende mal. Ich habe im Vorstand eines Vereins
gesessen und den Verein, der vorher auf privater Basis gut
funktionierte, daran zerbrechen sehen. Ich habe das mit der Straße
hier gesehen (Brückenbau) - und selbst jetzt streiten sich
Stadtverwaltung und Landtag (oder so) um den Bau, weil da sogar
EU-Entscheidungen reinspielen. Ich war in der Organisation eines
Bürgerbegehrens dabei (wegen einer kommunalen
Krankenhaus-Privatisierung) - bis ich erfahren hab, was die
verhinderte Privatisierung bedeutet (nämlich Zwangsvereinigung mit
weiteren Krankenhäusern, Privatisierung in drei, vier Jahren, nachdem
der Verband dann "marktfähig" geschrumpft wurde). Simpel gesagt: ES
NUTZT NICHTS. Und du hast den Finger drauf, warum nicht: Bürokratie,
Bürokratie, Bürokratie.

Persönlich bin ich ein Fan der Genossenschafts-Idee. Ich habe die
Gründung einer Innungs-Krankenkasse aktiv begleitet. Und ich habe
erlebt, wie den AUfsichtsorganen die Kontrolle entrissen und diese
dem Mitgliedernutzen orientierten Organisationen unter fremde
Kontrolle gerieten - ganz legal. Ich kann dir simpel Eines sagen: Es
klappt nicht.

> Nun, mit dem "gegen" habe ich ein Problem. Gegen etwas zu kämpfen,
> bindet Kräfte eigentlich eher sinnlos, und sollte auf das nötigste
> beschränkt werden.

Es ging hier um die Frage, warum es keine wahrnehmbare Gegenbewegung
gibt. Ich stimme dir in dieser Beziehung zu - Bewegungen gegen etwas
sind destruktiv, nicht kreativ. Aber wie bist du kreativ in einem
System, das sich offiziell als Inkarnation deiner eigenen Ideen
hinstellt, diese aber pervertiert? Als Demokrat, als Ordoliberaler
müßte ich eigentlich jeden Tag vor Glück schreien, in der
Bundesrepublik Deutschland als der realen Inkarnation dieser Thesen
zu leben. Warum tue ich das nicht? Ich kann mich momentan nur GEGEN
dieses System stellen, das MEINE ÜBERZEUGUNG besetzt und dabei
pervertiert. Die Zwickmühle dürfte in etwa die sein, in der echte
Kommunisten in der DDR steckten...

> Viel effektiver ist -meine ich-, etwas neues
> aufzubauen, bzw. Werte zu erhalten, und wenns nur eine
> Spielplatzrenovierung ist. Primaten tendieren generell dazu, andere
> Primaten nachzuahmen, Beispiel geben ist die beste (und
> unkontrollierbarste) Propaganda.

Meine Meinung - funktioniert aber nur im basisnahen Rahmen.

> Eine (wörtlich) transnationale Bewegung (allerdings ohne "gegen")
> kenne ich, mit hervorragender Infrastruktur, weltweit vertreten und
> hervorragend organisiert. Ich meine die heilige römisch-katholische
> Kirche ;)

Ich bin überzeugter Materialist. Vielleicht sollten wir mal
versuchen, auch eine einschlägige Religionsgemeinschaft zu gründen.
Schließlich ist der Materialismus auch nicht endgültig beweisbar...

CU

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