Ansicht umschalten
Avatar von Mrothyr
  • Mrothyr

mehr als 1000 Beiträge seit 01.06.2001

Toleranz und so...

demokratie schrieb am 28. September 2006 16:47

> Aber was du dort negativ erlebst ist ja nicht ein Mangel des
> Volksentscheids, sondern eher der bürokratischen Hürden die die
> Politiker um dieses Instrument herum aufgetürmt haben, das es ja
> schließlich ihre Macht beschränkt.

In dem ersten Fall vielleicht. Im zweiten Fall zeigt es eigentlich,
wie MANIPULIERBAR solche Entscheide sind. Wenn der Bürger nicht die
Möglichkeiten hat, dahinterzusehen.

> Wie handhabst du dann aber Überschneidungen? Also wenn deine
> Ansprüche an deine Individuelle Freiheit andere Menschen in ihrer
> Freiheit beschränkt?

Normalerweise bin ich kompromißorientiert. Mir ist klar, daß ich
meine Partikulärinteressen nicht über die Interessen der Masse
stellen kann - und so ihre Akzeptanz für meine Interessen erwerben
muß. Und zwar so, daß sie möglichst wenig Konsequenzen für sie zeigt.
Insofern werde ich daran interessiert sein, keine SOnderrechte zu
erreichen, sondern sich aus Sonderrechten ergebende Vorteile der
Mehrheit abzubauen (siehe Familienrecht - nicht einer Minderheit die
gleichen Rechte wie dem staatlich genehmen Partenerschaftsmodell
zugestehen, sondern dem staatlich genehmen Partnerschaftsmodell die
Privilegien entziehen, so daß die Gleichheit beider Modelle auf der
nichtprivilegierten Ebene hergestellt ist).

> Nur, wer anders als Minderheiten bedürfen denn der Toleranz? Die
> Mehrheit braucht keine Toleranz, sie legt die Spielregeln fest. Sie
> kann das absolut tun, oder eben tolerant und Minderheiteninteressen
> mit einbeziehen.

Das Problem ist, daß es keine wirklichen Mehrheiten gibt, es gibt nur
die Möglichkeit, daß es eine Art Konsens auf einer Ebene gibt, bei
der sich die Mehrheit der Beteiligten privilegiert sieht und deswegen
dem Konsens zustimmt. Auch die Mehrheit bedarf der Toleranz. Denn
auch ich als Vertreter der Mehrheit benötige die Akzeptanz der
Minderheit, deren Lebensstil ich ablehne - nämlich in der Form, daß
ich nicht gewaltsam, aggressiv mit diesem Lebensstil konfrontiert
werde. Wenn die Minderheit der Raucher rauchen will - c'est la vie,
das akzeptiere und toleriere ich. Mich belästigt aber gerade in
Gaststätten der Rauch, er übertüncht den Geschmack der Speisen. Ich
benötige die Toleranz der Raucher (und das, obwohl ich eigentlich in
der Mehrheitsposition in dieser Gesellschaft bin), daß diese das
Rauchen einstellen, während ich esse.

Toleranz ist für mich das, was woanders mal mit "Die individuelle
Freiheit hört da auf, wo sie die Freiheit eines Anderen
einzuschränken beginnt" umschrieben wurde. Egal was ich zu einer
Lebensart meine - ich akzeptiere und toleriere diese Lebensart. Wenn
es aber Überschneidungen gibt (aus welchen Gründen auch immer), muß
man kompromißorientiert sein.

Nehmen wir ein aktuelles Beispiel: Ich finde Burkas gräßlich - nicht
zuletzt weil ich den Anblick schöner Frauen liebe. Ich toleriere
Burkas allerdings - sie sind der Ausdruck einer religiösen
Einstellung, die ich nicht teile, die ich vielleicht auch kritisiere
- aber die trotzdem die individuelle Freiheit der Frau betrifft. Wo
die Toleranz für mich aufhört, ist, wenn diese Gläubigen fordern, daß
andere Frauen sich ebenfalls verschleiern sollen - denn dann wird aus
der Toleranz, aus der Akzeptanz gegenüber dieser Lebenseinstellung
ein Zwang, eine Einschränkung für andere Menschen (und vielleicht gar
für mich). Diese Minderheit MUSS auch die Lebenseinstellung der
Mehrheit akzeptieren und damit tolerieren, daß diese sich
unverschleiert oder gar freizügig zeigt - egal inwieweit es ihre
eigene Lebenseinstellung tangiert. Der aggressive Versuch, eine
derartige Einschränkung der Mehrheit durchzusetzen, kann dabei aber
zu einem permanenten Unruheherd werden - und dann wird (falsch
verstandene) Toleranz zum Kampfbegriff dieser Minderheit.

Ein Feld, wo subtiler unter dem Motto der "Toleranz" seit Jahrzehnten
ein Kampf um Privilegien geführt wird, ist die sogenannte
"Emanzipation der Frau". Ist im Ansatz durchaus eine gute Idee - aber
bis heute wird alles getan, Frauen analogen Privilegienzugang zu
ermöglichen, den auch die scheinbar privilegierten Männer genießen.
Daß die Mehrheit der Männer ebenso wenig privilegiert ist, wird dabei
vergessen. Quotenregelungen sollen dabei Frauen ebenfalls Zugang zu
einschlägigen Privilegien verschaffen. Statt daß die Privilegien
global ABGEBAUT werden und so Frauen und Männer global unter weniger
Ungerechtigkeiten durch privilegierte Personen gleich welchen
Geschlechtes zu erleiden haben.

Deswegen: Toleranz heißt für mich primär Akzeptanz. Und zwar auf
beiden Seiten. Es heißt, daß ich gegenüber Christen die (manchmal
überlegen scheinende) Akzeptanz gegenüber ihrem Glauben aufbringe und
sie nicht vom Materialismus zu überzeugen versuche. Es heißt aber
ebenso, daß die mich (und MEINE Schutzbefohlenen) nicht
christianisieren wollen - weder persönlich noch über staatlichen
Einfluß. Ich weiß nciht, welche von beiden Gruppen jetzt in der
Überzahl ist - ob die (in sich nicht allzu homogen organisierten)
Christen oder die (in sich nicht allzu homogen organisierten)
Atheisten. Toleranz sollten sich beide entgegenbringen - und zwar in
Form von Akzeptanz und nciht nur Duldung.

Bewerten
- +
Ansicht umschalten